Ein Tag hinterm Zaun: Der trostloseste Ort Hamburgs – direkt neben dem Hauptbahnhof
Auf einer Fläche fast so groß wie ein Fußballfeld hängen tagtäglich rund 250 Menschen ab. Kranke. Sehr kranke Menschen. Manche kauern auf dem Boden, sind umgekippt im Drogenrausch. Wir schauen in leere, eingefallene, blasse Gesichter. Es sind Deutsche, aber zunehmend auch Araber und Osteuropäer. Manche Junkies wirken wie Zombies, interessiert nur noch an einem: so schnell wie möglich an neuen Stoff zu kommen. Oft gibt es Stress. Zu Schlägereien kommt es täglich, häufiger auch zu Messerstechereien.
Wir beobachten einen Mann, der sich gerade Heroin ins Bein spritzt, Blut läuft runter. Andere zünden sich ihre Crack-Pfeifen an. Einer sucht in gebückter Haltung den Boden ab: Was er da macht? Ein anderer Junkie erklärt es uns: „Der hofft, dass er zwischen all dem Dreck irgendwo einen Krümel findet, den jemand fallengelassen hat.“
Wo wir sind? Im August-Bebel-Park am ZOB, in Sichtweite des Hauptbahnhofs. Direkt gegenüber ist das Museum für Kunst und Gewerbe. Passanten, die hier vorbeimüssen, wechseln lieber die Straßenseite. Oder legen einen Zahn zu und schauen stur geradeaus – um bloß das Elend nicht zu sehen.
Psychedelische Motive als Sichtschutz: Weiße Hände und Augen, die einen anstarren
Nun hat die Stadt das Weggucken ein wenig leichter gemacht, denn es gibt jetzt einen Sichtschutz: Metallplatten, die bunt bemalt sind mit psychedelischen Motiven: Weiße Hände, dazwischen Augen, die einen anstarren. Auch ein paar Slogans haben die Künstler hinterlassen. „Krankheit hat viele Gesichter“ lesen wir da. Oder „Hinsehen – zuhören“.
Genau das wollen wir tun: Wir wollen nicht weggucken wie die anderen. Wir versuchen, mit den Drogenabhängigen ins Gespräch zu kommen.
Als Erstes stellen wir fest, dass die bunten Bildchen auf dem Sichtschutz ganz offensichtlich nicht dafür gedacht sind, den Junkies den Aufenthalt angenehmer zu machen. Denn die Bemalung befindet sich ausschließlich auf der Außenseite. Von innen ist alles grau und trist. Passend zum Rest des Parks. Schon die Bezeichnung „Park“ ist der Hohn.
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Auf einer Fläche fast so groß wie ein Fußballfeld hängen tagtäglich rund 250 Menschen ab. Kranke. Sehr kranke Menschen. Manche kauern auf dem Boden, sind umgekippt im Drogenrausch. Wir schauen in leere, eingefallene, blasse Gesichter. Es sind Deutsche, aber zunehmend auch Araber und Osteuropäer. Manche Junkies wirken wie Zombies, interessiert nur noch an einem: so schnell wie möglich an neuen Stoff zu kommen. Oft gibt es Stress. Zu Schlägereien kommt es täglich, häufiger auch zu Messerstechereien.
Wir beobachten einen Mann, der sich gerade Heroin ins Bein spritzt, Blut läuft runter. Andere zünden sich ihre Crack-Pfeifen an. Einer sucht in gebückter Haltung den Boden ab: Was er da macht? Ein anderer Junkie erklärt es uns: „Der hofft, dass er zwischen all dem Dreck irgendwo einen Krümel findet, den jemand fallengelassen hat.“
Wo wir sind? Im August-Bebel-Park am ZOB, in Sichtweite des Hauptbahnhofs. Direkt gegenüber ist das Museum für Kunst und Gewerbe. Passanten, die hier vorbeimüssen, wechseln lieber die Straßenseite. Oder legen einen Zahn zu und schauen stur geradeaus – um bloß das Elend nicht zu sehen.
Psychedelische Motive als Sichtschutz: Weiße Hände und Augen, die einen anstarren
Nun hat die Stadt das Weggucken ein wenig leichter gemacht, denn es gibt jetzt einen Sichtschutz: Metallplatten, die bunt bemalt sind mit psychedelischen Motiven: Weiße Hände, dazwischen Augen, die einen anstarren. Auch ein paar Slogans haben die Künstler hinterlassen. „Krankheit hat viele Gesichter“ lesen wir da. Oder „Hinsehen – zuhören“.
Genau das wollen wir tun: Wir wollen nicht weggucken wie die anderen. Wir versuchen, mit den Drogenabhängigen ins Gespräch zu kommen.
Als Erstes stellen wir fest, dass die bunten Bildchen auf dem Sichtschutz ganz offensichtlich nicht dafür gedacht sind, den Junkies den Aufenthalt angenehmer zu machen. Denn die Bemalung befindet sich ausschließlich auf der Außenseite. Von innen ist alles grau und trist. Passend zum Rest des Parks. Schon die Bezeichnung „Park“ ist der Hohn.
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„Hamburg schämt sich seiner kranken Leute“, sagt der 57-jährige Sebastian* voller Sarkasmus. „Vom Hauptbahnhof vertreiben sie uns. Hier werden wir hinter diesen Zaun gepackt, damit die Gäste, die demnächst zur EM anreisen, nicht mit dem Elend konfrontiert werden.“ Er lacht. „Ich komme mir vor wie im Knast.“
„Hamburg schämt sich seiner Kranken. Komme mir vor wie im Knast“
Sebastian stammt – das ist nicht zu überhören – aus Berlin. Er erzählt, dass er schon seit 40 Jahren drogenabhängig ist. Früher sei er mal 20 Kilo schwerer und kräftig gewesen, erzählt er. Habe auf dem Bau gearbeitet. „Aber wenn du süchtig bist, dann nimmst du ab, dann kannst du nicht mehr so.“
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Sebastian raucht Crack. Was die Preise sind, wollen wir wissen. „Fünf Euro ein kleiner Stein, ein großer zehn“, sagt er. Wieviel er täglich konsumiert? Etwa für 200 Euro. Wir gucken ihn erstaunt an. Wie er es schaffe, an so viel Geld zu kommen? Er dealt. Und Bürgergeld bekommt er ja auch noch.
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Andere finanzieren ihre Sucht, indem sie Hehlerware verkaufen. Wie beispielsweise Jürgen*, ein 48-Jähriger, der mit einem Mal des Weges kommt, seinen Rucksack öffnet und uns Parfum anbietet: von Calvin Klein und Aigner. Alles echt, behauptet er. Keine Fälschungen, sondern vom Laster gefallen.
Kaufen wollen wir nichts, aber mehr über Jürgen erfahren. Er sagt, er sei studierter Tierarzt, habe seine Approbation wegen eines Kunstfehlers verloren – und mit dem Verkauf von Parfum finanziert er seine Sucht. Jürgen sagt, dass er bei weitem nicht der einzige drogenabhängige Akademiker hier sei.
„Die versorgen sogar die Wunden der dreckigsten Leute und sind freundlich dabei“
Der August-Bebel-Platz ist die wichtigste Anlaufstelle für Abhängige in der Stadt, denn dort befindet sich das Drop Inn, eine Drogenberatungsstelle. „Die Sozialarbeiter und Ärzte leisten ganz tolle Arbeit“, findet Christian*, ein 27-jähriger Mann, der verglichen mit den anderen Junkies einen ziemlich gepflegten Eindruck macht. „Wenn du Abzesse hast vom Drücken, dann kannst du hingehen und die verarzten dich“, erzählt er. „Die versorgen sogar die Wunden der dreckigsten Leute und sind freundlich dabei. Für ‘nen Euro kriegst du was zu essen, und deine Pumpen“ – er meint die Spritzen – „kannst du da auch tauschen, damit du dich nicht infizierst.“
Wie er süchtig geworden ist? Christian schmunzelt: „Wenn Du jetzt die Geschichte hören willst ,Steilshoop, Asi-Eltern, der Vater ein Trinker‘ dann muss ich dich enttäuschen“, antwortet er. „Ich komme aus gutem Elternhaus, meine Mutter und mein Vater haben sich sehr gekümmert, aber ich hatte doll ADHS als Kind, galt in der Schule immer als Störenfried. Da habe ich dann mit 17 angefangen mit Drogen. Erst Alkohol, dann Ecstasy, Koks, Heroin.“
Von 2020 bis 2023 habe er wegen Drogenhandels im Knast gesessen, erzählt er. In der Haft habe er es geschafft, clean zu werden. „Aber kaum war ich draußen, war ich auch schon wieder drauf.“ Wie er seine Zukunft sieht, fragen wir ihn. „Wahrscheinlich bin ich am Ende, bevor ich 40 bin“, antwortet er trocken.
Julia geht anschaffen, um die Sucht zu finanzieren: Für 20 Euro ist sie zu allem bereit
Bei Julia*, einer 23-Jährigen, stellt sich die Frage, ob sie auch nur den 30. Geburtstag erleben wird. Sie bringt es nicht fertig, auch nur für eine Sekunde ruhig dazustehen. Im Sekundentakt wechselt sie das Standbein, wackelt von rechts nach links, von links nach rechts. „Entzugserscheinungen“, sagt sie, als würde wir das nicht wissen.
Sie ist obdachlos, trägt dreckige Klamotten, sieht aus, als habe sie sich seit Tagen nicht geduscht. Crack und Heroin konsumiert sie, geht anschaffen am Steindamm. Für 20 Euro ist sie zu allem bereit. Und selbst bei diesem Preis wollen die Freier noch handeln.
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Julia erzählt, sie habe ein Baby. Das habe sie zu Pflegeeltern gegeben. „Wenn es mir mal besser geht, dann hole ich es zu mir“, sagt sie. Wann das wohl sein wird, wollen wir wissen. Sie dreht sich weg, ihr kommen die Tränen. Dann fragt sie einen Kumpel, der vorbeikommt, ob er eine „Schore“ hat – Heroin ist gemeint. Julia sucht in ihren Taschen das Geld zusammen. Das Gramm kostet 20 Euro.
(*Name geändert)