Mitgefühl mit Israel – Landesbeauftragter beklagt „Empathiedefizit“
In den vergangenen Jahren haben Terrorangriffe viele Menschen erschüttert – etwa am 11. September 2001 in den USA oder bei Anschlägen in Frankreich. Im Anschluss war die Solidarität mit den Opfern und Angehörigen riesengroß. Beim Mitgefühl mit Israel und Juden beobachtet Niedersachsens Antisemitismus-Beauftragter etwas anderes.
Bei der Solidarität mit Israel und Jüdinnen und Juden nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas sieht Niedersachsens Landesbeauftragter gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens, Gerhard Wegner, Nachholbedarf in der deutschen Gesellschaft. „Wir haben in dieser Hinsicht ein Empathiedefizit in unserer Gesellschaft“, sagte Wegner am Dienstag in Hannover.
Hannover: Antisemitismus-Beauftragter beklagt „Empathiedefizit“
„Als der Krieg gegen die Ukraine begann, wurde mein Rathaus in meiner Kommune sofort in ukrainischen Landesfarben angestrahlt. Kein Mensch ist auf die Idee gekommen, israelische Fahnen zu hissen oder israelische Fahnen auf das Rathaus zu projizieren. Das ist nicht passiert“, sagte Wegner. Was die Hamas gemacht habe, sei der Beginn eines Genozids gewesen.
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Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) sagte mit Blick auf die Solidarität nach anderen Terroranschlägen: „Ich finde, man hat schon viel an Solidarität gegenüber Israel mitbekommen, auch im Internet, wo sich viele mit israelischer Fahne zum Beispiel gezeigt haben. Aber dieses ,Je suis Charlie‘, das war noch mehr, das ist in der Tat so. Das ist schlimm. Da brauchen wir vielleicht noch eine gesellschaftliche Diskussion darüber.“
Anfang 2015 ereignete sich ein islamistischer Terroranschlag auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“. Eine Welle der Solidarität unter dem Schlagwort „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“) prägte die Zeit danach. Bei dem Massaker der islamistischen Hamas am 7. Oktober waren nach israelischen Angaben rund 1200 Menschen getötet worden, rund 240 Geiseln wurden in den Gazastreifen verschleppt.
„Wir erleben Menschen, die die Hinrichtung von Unschuldigen bejubeln“
Wahlmann betonte, der 7. Oktober habe einiges verändert. „Wir erleben auf unseren Straßen Menschen, die die Hinrichtung von unschuldigen Menschen bejubeln, die auch die Verschleppung bejubeln, israelische Fahnen werden verbrannt, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger werden attackiert.“ Dies ist Wahlmann zufolge eher selten der Fall in Niedersachsen im Vergleich zu anderen Bundesländern.
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Antisemitismus sei durch die Vorfälle in Israel zum Vorschein gekommen, sagte die SPD-Politikerin. Rund um das Geschehen in Israel und im Gazastreifen seien Meinungen vorgekommen, „von denen man nicht geahnt hätte, dass sie da sind, auch in unserer Ursprungsgesellschaft“. Dazu komme der eingewanderte Antisemitismus – im Wesentlichen durch arabische Anrainerstaaten. Nicht alle Menschen aus diesen Staaten seien Antisemiten, aber es gebe welche und das dürfe man nicht negieren, sagte Wahlmann.
Wegner sagte, viele Jüdinnen und Juden in Niedersachsen seien massiv verunsichert und hätten Angst vor Übergriffen und Anschlägen. „Die Angst ist ganz weit verbreitet.“ Wegner forderte unter anderem mehr Anstrengungen bei der Prävention. „Wir müssen diesen tiefsitzenden Antisemitismus, der sich heute wieder zeigt, den müssen wir deutlicher fokussieren und adressieren als wir das bisher gemacht haben.“
Hasskommentare beschäftigen die Staatsanwaltschaft
Die Ministerin betonte, bislang seien in Niedersachsen nicht viele antisemitische Straftaten mit Bezug zu den Hamas-Taten erfasst worden. Bei der Staatsanwaltschaft in Göttingen waren es ihr zufolge bis Ende Oktober vier Verfahren – alle wegen Hasskommentaren im Internet. Bei den Staatsanwaltschaften Oldenburg und Lüneburg war es jeweils ein Verfahren. „Wir haben aber von der Polizei schon Hinweise, dass da noch etwas kommen wird.“ Der weit überwiegende Teil der erfassten antisemitischen Straftaten in den vergangenen Jahren entfällt laut Wahlmann etwa auf Hakenkreuze, die an jüdische Institutionen geschmiert wurden, und Volksverhetzungsdelikte – darunter das Leugnen des Holocausts.
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Die Landesregierung hat mit einem Beschluss vom Dienstag eine Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) verabschiedet. Damit wird laut Staatskanzlei ein einheitlicher Arbeitsbegriff geschaffen, der ressortübergreifend – etwa in den Bereichen Bildung, Justiz, Polizei und Schule – Orientierungshilfe beim Erkennen von Antisemitismus geben soll. (dpa/mp)