Musik soll helfen: Handball-Weltmeister kämpft gegen Burn-out
Köln –
Er wurde Weltmeister, Europameister, Champions League-Sieger, Deutscher Meister, Welthandballer. Henning Fritz (45) hat im Handball praktisch jeden Titel gewonnen, war jahrelang auf seiner Position der Beste der Welt. Doch der Keeper hat auch dunkle Zeiten erlebt, die nutzt er nun nach der Karriere für einen neuen Geschäftszweig.
Bei der derzeit laufenden EM ist wieder viel die Rede über die enorme Belastung der Handballer. Was sagen Sie dazu?
Fritz: Ich fühle mich an meine intensive Zeit von 2002 bis 2004 erinnert. Bei der EM 2004 haben wir in zehn Tagen acht Spiele absolviert, da kam man nie zur Ruhe. Sonntag war das Finale, am Montag stand ich wieder in Kiel zur Vorbereitung auf die Rückrunde in der Halle. Ein halbes Jahr später waren die Olympischen Spiele. Wieder im Finale, zwei Tage später wieder Training. Damals wurden wir von den Emotionen getragen, da merkte man keine Schmerzen. Im Januar 2005 wurde ich als erster Torwart überhaupt zum Welthandballer geehrt. Da war ich gefühlt auf dem Olymp.
Und warum änderte sich das?
Mein Ziel war es immer der Beste zu sein. Plötzlich drehte sich die Haltung, ich hatte etwas zu verlieren. Auf einmal habe ich gespürt, dass keine Energie mehr da war. Das was mich immer stark gemacht hat – Leidenschaft, Emotionen, mich fokussieren zu können – ging verloren. Ich bin zu den Ärzten, aber meine klassischen Blutwerte waren in Ordnung. Damit war ich austherapiert. Aber ich habe gespürt, dass ich nicht nur ein Formtief durchlebe.
Offen gesprochen über Burn-out haben Sie damals aber nicht.
Als aktiver Spieler sprichst du nicht über Burn-out. Das kann deine Karriere und deinen Marktwert maßgeblich beeinflussen. Wenn sich ein Verein zwischen zwei Profis entscheiden muss und einer der beiden hat Burn-out, lässt sich leicht sagen, wer von den beiden wohl den Vertrag bekommt. Als Leistungssportler verkauft man einen Marktwert, da war es schwer, damit nach draußen zu gehen.
Was haben Sie stattdessen gemacht?
Ich habe für mich nach Hilfen gesucht. Über einen Bekannten bin ich zum Thema frequenzmodulierter Musik gekommen. Bis dahin musste ich immer viel und lange schlafen, aber der Schlaf war nicht erholsam. Nach der ersten Sitzung habe ich nicht viel geschlafen, aber der Schlaf war erholsam. Ich habe dann Heiner Brand das vorgestellt und ihn überzeugt, dieses Mittel bei der Vorbereitung auf die WM 2007 einzusetzen. Das Ergebnis ist ja bekannt.
Wie funktioniert diese „Musik-Stimulation“?
Unser vegetatives Nervensystem steuert viele Funktionen in unserem Körper. Es gibt Regionen im Gehirn, die unsere Aktionsfähigkeit steigern und andere, die unsere Erholung steuern. Wenn es Richtung Burn-out geht, dann fahren die hochintelligenten Hirnareale einfach runter. Dann sind nur noch die Bereiche für Kampf und Flucht aktiv. Ich werde entweder aggressiv oder ziehe mich zurück. Mit frequenzmodulierter Musik kann man direkt Gehirnareale ansprechen, die für die Regeneration entscheidend sind und so Kreativität oder Kraft geben. Aus diesem Bewusstsein heraus habe ich mit einem Partner das Unternehmen Neuronavi gegründet, das Produkte zur Stressregulierung und Schlafverbesserung mit Hilfe von Frequenzmodulationen entwickelt.
Ist das nur etwas für Sportler?
Nein. Wir haben diesen Ansatz in die Bereiche Kinder und Schule, Business und Unternehmen übertragen. Lernen ist eine große Form von Stress. Man hört immer häufiger von Kindern, die im Kampf gegen den Schulstress zu Aufputschmitteln greifen. Viele sind heutzutage im Job mit der Arbeit derart überfordert und tragen diesen Stress dann mit in ihr Privatleben. Der Medienkonsum spielt auch eine große Rolle, weil wir inzwischen komplett reizüberflutet sind. Da versuchen wir, dagegenzusteuern, um das vegetative Nervensystem wieder in Balance zu bringen, runterzufahren und auch über guten Schlaf wieder leistungsfähiger zu werden. In Sachen Regeneration ist noch viel Luft nach oben, da haben viele Menschen Nachholbedarf.
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Aber die Verletzungsflut vor dieser EM hätte sich so trotzdem nicht verhindern lassen.
Das würde ich nicht sagen. Die meisten Kreuzbandrisse ereignen sich ohne gegnerische Einwirkung. Meist geschieht dies aufgrund einer Vorverletzung oder wegen der Überlastung. Die Ansteuerung der Muskeln startet im Gehirn. Wenn das System überlastet ist, passieren Verletzungen. Bei so einer EM wie aktuell stehen die Spieler permanent unter Dauerspannung. Wenn ein Spieler frei aufs Tor zuläuft, dann braucht er Intuition und Kreativität, um zu treffen. Wenn ich aber gedanklich müde bin, und mein vegetatives Nervensystem in Disbalance ist, dann scheitere ich am Torwart.
Könnte das System nicht ähnlich wie bei der WM 2007 auch dem aktuellen Team helfen?
Aktuell habe ich leider niemanden gefunden, der die Offenheit hat. Was ich sehr schade finde. Gerade für die Nationalmannschaft, die so viele Spiele hat – da kann mir doch nichts Besseres passieren als etwas so einfach anzuwendendes zum Regenerieren. Die Jungs hören eh alle Musik, da könnte man sogar die individuelle Playliste modulieren.