„Gefällt mir nicht“: HSV-Boss Boldt zweifelt – was Walter jetzt erklären muss
Der HSV hatte mit 2:0 in Nürnberg gewonnen. Er hatte einen versöhnlichen Abschluss des Jahres gefeiert, hatte nach fast vier (!) Monaten auswärts wieder dreifach gepunktet. Und angesichts des Drucks, der am Samstag vorerst von ihm abgefallen sein dürfte, auch wenn er das Gegenteil behauptete, sprach Tim Walter sogar schon von der Rückrunde. Jonas Boldt aber hatte wenige Minuten zuvor grundsätzliche Fragen formuliert – deren Beantwortung darüber entscheiden wird, ob Walter eine HSV-Zukunft hat.
„Sind wir auf dem richtigen Weg?“, stellte Boldt in den Raum. „Sind wir von diesem Weg abgekommen?“, setzte der Sportvorstand fort. „Was brauchen wir, um unser Ziel dann endlich auch zu erreichen?“ Den Aufstieg. Den schaffte der HSV unter Walter bereits zweimal nicht. Und auch der Sieg in Nürnberg ließ die Zweifel daran, ob es im dritten Anlauf etwas wird mit der Bundesliga-Rückkehr, nicht schrumpfen.
Boldt vermied ein Bekenntnis zu HSV-Trainer Tim Walter
Der glückliche Erfolg im Max-Morlock-Stadion lieferte Walters Kritikern vielmehr weitere Argumente – weil der Auftritt in Teilen als Blaupause diente für das, was dem HSV allein in dieser Saison regelmäßig vor die Füße fiel. Die mitunter minimal vorhandene Restverteidigung etwa hatte zur Konsequenz, dass es nach fast jedem Ballverlust gefährlich wurde und die Nürnberger allein auf Daniel Heuer Fernandes zuliefen. Aber natürlich: Am Ende blieb der Torhüter zum schon siebten Mal in dieser Saison gegentorlos. Rekordverdächtig.
In Boldts sehr lobenden Worten zur Defensiv-Leistung war zwischen den Zeilen allerdings auch Kritik an der grundsätzlichen taktischen Ausrichtung versteckt: „Heute haben wir uns wirklich dagegen gewehrt und gezeigt, dass zum Fußball vielleicht auch dazugehört, nicht alles immer super schön zu erledigen – sondern auch zu verteidigen und es über die Zeit zu bringen.“
Ob der HSV eine Zukunft mit Walters Fußball will, ließ Boldt offen. „Ich habe das Thema gar nicht aufgemacht“, sagte der 41-Jährige zur Diskussion um den Trainer, zu dem er jedoch auch kein Bekenntnis ablegte. „Und ich sehe auch keinen Grund, es in die eine oder andere Richtung totzumachen.“ Weil die Analyse erst noch ansteht. In dieser Woche. Planmäßig, betonte Boldt.
Walter könnte bei HSV-Analyse auf Verletzte verweisen
„Wir werden das ganz in Ruhe machen“, sagt der Manager und hofft auf ein Ergebnis bis Heiligabend. Für Gespräche „mit weiteren Personen aus dem HSV-Umfeld“ werde man sich im Zweifel aber noch mehr Zeit nehmen. Zweifel. Da ist es wieder, das dieser Tage entscheidende Wort. Die Zweifel am Weg mit Walter waren bislang noch nicht so groß, dass Boldt Gespräche mit potenziellen Nachfolgern geführt hat – zumindest Verhandlungen mit den von der „Sport Bild“ genannten zwei Kandidaten André Breitenreiter und Friedhelm Funkel wies Boldt von sich.
Die Zweifel beseitigen konnte Walter trotz seines persönlichen Punktsiegs in Franken aber auch nicht. „Mir gefällt es nicht, dass wir jetzt Tabellendritter mit nur 31 Punkten sind“, stellte Boldt klar und wurde wieder grundsätzlich: „Was sind die Gründe dafür?“ Bei dieser Frage wird Walter in der Analyse sicherlich darauf verweisen, dass er keine personelle Kontinuität erzeugen konnte, weil ihm in der Hinrunde immer wieder Stammkräfte wegbrachen: Sebastian Schonlau, Ludovit Reis, Ignace Van der Brempt, sie alle waren wochen-, wenn nicht sogar monatelang verletzt raus. Um von Mario Vuskovic mal ganz zu schweigen.
Der HSV-Trainer holt zu wenig aus seinem Kader heraus
Das sind schlüssige Argumente. Allerdings betont Walter auch immer wieder, dass er all seinen Spielern vertraue, die in ihrer Gesamtheit zudem den teuersten Kader der Zweiten Liga bilden: 43,75 Millionen Euro ist er laut „transfermarkt.de“ wert. Dass Walter aus dem Potenzial in diesem Aufgebot bisher zu wenig herausgeholt hat, räumte er am Samstag auch ein: „Unser Anspruch ist hoch, den haben wir nicht immer ganz erfüllt.“ In der Hinrunde jedenfalls zu selten.
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Und in der Rückserie? „Da feuern wir alles raus, damit wir unseren großen Schritt schaffen“, sagte Walter, stets in der „Wir“-Form sprechend und offenbar zuversichtlich, dass er im Anschluss an die Analyse und bei der Rückkehr seiner Profis in den Volkspark im neuen Jahr noch im Amt sein wird.
Walter genießt noch die Rückendeckung seiner HSV-Profis
Und auch wenn der erst zweite Zweitliga-Saisonsieg in der Fremde nicht hinwegtäuschen kann über die magere Auswärtsbilanz des HSV (nur zehn Punkte aus elf Spielen) und Walter auch ebendiese erklären muss, so kann sich der 48-Jährige der Rückendeckung seiner Profis weiterhin gewiss sein. Denn trotz der Diskussionen um den Coach erspielten sie sich das benötigte Ergebnis, was für ein noch immer intaktes Klima innerhalb der Mannschaft spricht.
„Bei uns lag nicht die ganze Woche der Fokus auf dem Trainer. Es musste keiner zu ihm gehen und ihn die ganze Zeit in den Arm nehmen“, berichtete Kapitän Sebastian Schonlau. „Der marschiert da schon vorne weiter weg. Genauso wie er es die letzten zweieinhalb Jahre auch getan hat.“ Und auch 2024 noch?
Boldt nahm Walters Namen nicht in den Mund, als er voraus auf den Januar blickte: „Wir werden auf jeden Fall mit viel Energie zum Trainingsstart wieder aufdribbeln.“ Mit – oder ohne Walter?