So viel Koks wie noch nie – irrer Boom beim Drogenhandel
Die deutschen Seehäfen verzeichnen einen Boom – bei einem illegalen Geschäft: Immer mehr Kokain kommt in Containern aus Südamerika nach Deutschland. Nach einer Prognose des Bundeskriminalamts hat sich die Menge des sichergestellten Rauschgifts seit 2018 versiebenfacht.
Polizei und Zollfahnder haben im Jahr 2023 eine Rekordmenge Kokain in Deutschland sichergestellt. Nach einer vorläufigen Prognose des Bundeskriminalamts (BKA) summieren sich die Rauschgiftfunde auf 35 Tonnen, wie ein BKA-Sprecher sagte. Im Vorjahr waren rund 20 Tonnen abgefangen worden. Die bisherige Rekordmenge war 2021 mit 23 Tonnen zusammengekommen. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) hatte vor Weihnachten berichtet, die Gesamtmenge für 2023 könne sogar bei 40 Tonnen liegen.
„Seit dem Jahr 2017 sind die Sicherstellungsmengen von Kokain in Deutschland signifikant gestiegen“, hieß es im jüngsten Lagebild des BKA zur Rauschgiftkriminalität, das im Oktober veröffentlicht wurde. 2018 hatten die Behörden lediglich fünf Tonnen aufgespürt. Damit hat sich die Menge innerhalb von fünf Jahren voraussichtlich versiebenfacht.
30 Tonnen in Häfen sichergestellt
Der Großteil des Kokains kommt über die Containerhäfen aus Südamerika nach Deutschland, neben Bremerhaven vor allem Hamburg. Bis Dezember seien mehr als 30 Tonnen Kokain in den deutschen Häfen sichergestellt worden, erklärte ein Sprecher des Zollfahndungsamts Hamburg. Die Täter schmuggelten die Drogen häufig in Bananen- oder Schüttgutcontainern, etwa in den Wänden und Zwischenräumen der Stahlboxen. Im Frühjahr waren in Hamburg 920 Kilo in einem Container mit Kaffee entdeckt worden.
Um versteckte Kokainlieferungen von Schiffen zu bergen, setzten die Kriminellen auch Taucher und Unterwasser-Scooter ein. Beliebt sei weiterhin die „Rip-off“-Methode, bei der etwa Sporttaschen mit Drogen über Bord geworfen und von Komplizen eingesammelt werden. „Die Täter nutzen ein in der Regel gut organisiertes Logistiksystem, welches es aufzudecken gilt“, so der Zollsprecher weiter. Nach MOPO-Informationen wird schätzungsweise nur jedes zehnte Kilo Kokain überhaupt gefunden. Das lässt erahnen, wie viel Stoff tatsächlich unterwegs ist.
Viele Verhaftungen nach Entschlüsselung von Kryptodiensten
Dank der Entschlüsselung der Kryptodienste Encrochat und SkyECC im Jahr 2020 wurden in Hamburg und anderen Städten zahlreiche Tatverdächtige verhaftet und verurteilt. Erst Mitte Dezember berichtete das Zollfahndungsamt über die Verhaftung von fünf Männern, die mit einer Tonne Kokain im Straßenverkaufswert von mehr als 50 Millionen Euro gehandelt haben sollen. Vor dem Landgericht Hamburg läuft seit Anfang März ein Prozess gegen zwei 59-Jährige, die den Schmuggel von gut 2,3 Tonnen Kokain über den Hamburger Hafen organisiert haben sollen. Die in Dosenspargel verborgene Lieferung hatte der Zoll im August 2022 entdeckt.
Ende Oktober 2023 hatten Vertreter von Sicherheitsbehörden eine „Allianz Sicherer Hafen Hamburg“ gegründet. Sie vereinbarten ein gemeinsames Sicherheitszentrum, um etwa das Landeskriminalamt (LKA), den Zoll, die Wasserschutzpolizei und die Hafenverwaltung HPA besser zu vernetzen. „Da müssen wir besser werden, der Zaun muss höher gezogen werden hier bei uns im Hamburger Hafen“, sagte LKA-Chef Jan Hieber. Es müsse unbedingt verhindert werden, dass Kokainschmuggler Hamburg als leichten Umschlagsort für ihre Drogen begreifen und von Rotterdam oder Antwerpen in die Hansestadt wechseln.
Kampagne soll Hafenbeschäftigte von krimineller Hilfe abhalten
Ein besonderes Augenmerk wollen die Fahnder deshalb auf die sogenannten Hafen-Innentäter richten. Bei ihnen handelt es sich um Hafenbeschäftigte beziehungsweise Menschen mit Zugang zu kritischer Infrastruktur, die Drogenschmuggler mit Informationen versorgen oder beim Abtransport des Kokains behilflich sind. Wie genau so eine Arbeitsteilung im Drogenmilieu aussieht, lässt sich am Beispiel des Hamburger Kartells rund um Boss Mehmet S. nachvollziehen, dessen Werdegang die MOPO nachverfolgt hat. Im kommenden März soll eine Awareness-Kampagne für Hafenbeschäftigte beginnen, um sie über Gefahren zu informieren und vor einer Kontaktaufnahme durch Kriminelle zu schützen.
Dass die Zäune im Hamburger Hafen nicht unüberwindlich sind, hatte sich im vergangenen Sommer gezeigt. Im Juni drangen kleine Gruppen junger Männer aus den Niederlanden mindestens 15 Mal in das Containerterminal Altenwerder ein. Polizei und Zollfahnder vermuteten, dass die Eindringlinge nach einer Drogenlieferung suchten. Aber das ist noch immer nicht geklärt. Die Ermittlungen gegen mehrere Beschuldigte dauerten an, teilte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft kürzlich mit. Weitere Auskünfte könnten derzeit nicht gegeben werden.
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Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht warnte in ihrem Jahresbericht 2023 vor den Aktivitäten der Drogenmafia und der damit verbundenen Gewalt und Korruption. Nach vorläufigen Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik stieg die Rauschgiftkriminalität in Hamburg in den ersten neun Monaten des Jahres um 16 Prozent. Die Gewaltkriminalität in Deutschland nahm in der ersten Jahreshälfte um knapp 17 Prozent zu, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im November in Wiesbaden sagte. (dpa/mp)