Völlig entkräftet ist dieser Geflüchtete an Bord eines Rettungsbootes einer europäischen NGO im Mittelmeer zusammengebrochen. Er hat überlebt – im Gegensatz zu vielen anderen.
  • Foto: imago images/Agencia EFE

EU verweigert Seenotrettung: Vor diesen Menschen haben wir Angst?

Sie liegen völlig apathisch am Boden, zusammengebrochen, traumatisiert: Wenn Geflüchtete von privaten Seenotrettern aus dem Mittelmeer gezogen werden, fehlt ihnen meist sogar die Kraft, sich darüber zu freuen, überlebt zu haben. Deutschland und andere EU-Staaten sehen in diesen Menschen jedoch anscheinend eine existenzgefährdende Bedrohung und verweigern nicht nur staatliche Rettungsmissionen, sondern auch Unterstützung für Länder wie Italien, die Geflüchtete aufnehmen. Alles an diesen einleitenden Zeilen macht mich sprachlos. 

Und gleichzeitig ist es wichtiger denn je, diese Ungeheuerlichkeiten zu thematisieren. Da setzen sich Menschen in ein ohnehin schon heillos überfülltes, nie und nimmer hochseetaugliches Schlauchboot und hoffen, dass sie irgendwer aus dem Mittelmeer zieht, wenn dieses Boot in ein paar Seekilometern untergegangen sein wird.

Sie riskieren buchstäblich ihr Leben, weil sie in ihren Heimatländern bedroht, verfolgt, gefoltert, vergewaltigt werden. Und wir in Europa denken ernsthaft, diese Menschen ließen sich aufhalten, wenn wir Rettungsmissionen aussetzen? Niemand, der lieber den Tod durch Ertrinken in Kauf nimmt, als in seiner Heimat zu bleiben, lässt sich von ausgesetzten, angeblichen „Pull-Faktoren“ aufhalten. 

Wir lassen diejenigen im Stich, die sie retten wollen UND diejenigen, die sie aufnehmen

Tatsächlich haben sich noch nie zuvor so viele Menschen in so kurzer Zeit auf den Weg übers Mittelmeer gemacht – trotz fehlender EU-Seenotrettung. „Es ist sicherlich ein deutlicher Anstieg, aber es ist nichts, was Italien nicht alleine bewältigen könnte. Eine deutsche Beteiligung ist vor diesem Hintergrund ausgeschlossen“, erklärte jüngst Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU) der „Welt“. Auch der migrationspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Castellucci, sagte: „Es besteht aktuell kein Bedarf zur Unterstützung.“

Nicht nur, dass wir Deutsche also willentlich in Kauf nehmen, dass Menschen auf dem Mittelmeer sterben. Nein, wir lassen auch noch diejenigen im Stich, die sie retten wollen UND diejenigen, die sie aufnehmen. Und warum? Weil wir denken, dass diese entkräfteten, traumatisierten Geflüchteten unsere Gesellschaft bedrohen? 

Wir als Gesellschaft drohen völlig abzustumpfen

Was uns dagegen wirklich Angst machen sollte: Wie Politiker wie Frei und Castellucci den Wert eines Menschenlebens und europäische Solidarität definieren. Nicht nur ihre Aussagen zeigen: Wir als Gesellschaft drohen völlig abzustumpfen. 

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Davon werden auch die voraussichtlich unzähligen Leserbriefe zeugen, die ich sicherlich bekommen werden. Wer sich für Geflüchtete einsetzt, der wird – das zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahre – bedroht und widerwärtig beschimpft.

Nein, mir machen nicht die beinahe ertrunkenen Bootsmigranten auf dem Mittelmeer Angst. Mir macht Angst, was viele meiner Landsleute über sie denken.

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