• Stefani (14) besucht das Friedrich-Ebert-Gymnasium in Heimfeld.
  • Foto: Florian Quandt

Abschiebung droht: Wie Stefani (14) um ihre Zukunft kämpft

Heimfeld –

Stefani ist 14 Jahre alt, hat wache Augen und ein Grübchen am Kinn, das ihr etwas Entschlossenes verleiht. Das Mädchen ist klug und könnte die Heldin in einer Geschichte vom Aufstieg durch Bildung sein, die Politiker so gerne erzählen. Stefanis Leben könnte aber auch zur Tragödie werden: Sie ist Romni aus Montenegro und soll abgeschoben werden.

Die eine Geschichte, die mit dem unglücklichen Ende, entspricht dem Gesetz und ist schnell erzählt: Eine geschiedene Roma-Frau reist Anfang 2019 mit drei ihrer Kinder illegal nach Deutschland ein, das Bundesamt für Migration lehnt den Asylantrag der kleinen Familie im März 2019 ab, seit September 2020 besteht Ausreisepflicht. Eine Eingabe des Anwalts in der Bürgerschaft scheitert, Mutter und Kinder hangeln sich von Duldung zu Duldung und – so wird die Geschichte enden, wenn kein Wunder geschieht – sie werden im August 2021 wieder in dem verarmten Dorf in Montenegro landen, wo es niemanden schert, wie begabt ein Romamädchen ist und ob es vielleicht Bio liebt und gerne Polizistin werden würde.

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Pädagogin Janina Stemmer (37), Stefani (14), ihr Bruder Peter (13) und ihre Schwester Anita (26).

Foto:

Florian Quandt

Die andere Geschichte, die  vom Bildungsaufstieg, beginnt im Friedrich-Ebert-Gymnasium in Heimfeld. Hier sitzt Stefani in einem der Klassenzimmer. Lange schwarze Haare, ein Kind mit ernstem Blick. Nur die sorgsam lackierten Fingernägel zeigen, dass Stefani ein Teenager ist: „Manche denken, ich bin erst zehn“, sagt sie und lacht. Und dann erzählt sie von ihren Noten: „Bio ist mein Lieblingsfach, ich liebe Pflanzen und Tiere.“ Natürlich hat sie eine Eins in Bio, genauso wie in „PGW“, also in „Politik, Gesellschaft, Wirtschaft.“

Roma-Mädchen Stefani: Von der Analphabetin zur Top-Schülerin

Sie kramt ihre Mappe aus dem Glitzer-Rucksack, penibel geheftete Blätter, eine ordentliche Mädchenschrift, viele Häkchen für richtige Antworten. „Wir haben gerade die Bundesländer“, erklärt sie, ohne jeden Akzent. In Deutsch steht Stefani auf Zwei.

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Stefani und Pädagogin Janina Stemmer, der die Begabung des Mädchens schnell auffiel.

Foto:

Florian Quandt

Als sie 2019 in die „Internationale Vorbereitungsklasse“ im Friedrich-Ebert-Gymnasium kam, war sie elf Jahre alt und Analphabetin, genau wie ihre Mutter, ihr kleiner Bruder, der stille Peter, heute 13, und ihre ältere Schwester Anita (26). Nach ihren Erinnerungen an Montenegro gefragt, schlägt Stefani die Augen nieder. Ihre Schwester schildert, wie eine bitterarme Roma-Kindheit aussieht: „Ich war nur ein Jahr in der Schule, ich kann immer noch nicht lesen und schreiben. Wir haben an die Türen geklopft und um Essen gebettelt.“

Stefani: Von armen Roma-Dorf in Montenegro nach Hamburg

Für ihre beiden jüngsten Kinder, erzählt Anita, wollte  die Mutter ein anderes Leben, eines mit Bildung und ohne Bettelei und frühe Hochzeit. Sie ließ sich scheiden und bezahlte einen Schlepper, der sie, Anita, Stefani und Peter nach Deutschland einschleuste. Zu ihren vier anderen Kindern und dem Ex-Mann hat die Mutter seit diesem Schritt keinen Kontakt mehr.

Anita, unverheiratet und kinderlos, war zuvor schon einmal in Deutschland gewesen, wurde aber abgeschoben. Zurück in dem montenegrischen Roma-Dorf, brachte sie ihrer kleinen Schwester deutsche Worte bei. Stefani passte auf, konnte bald ein bisschen Deutsch sprechen. Alles andere lernte sie im Friedrich-Ebert-Gymnasium, wo Pädagogin Janina Stemmer die Begabung des Mädchens bemerkte.

Roma-Mädchen Stefani: Pädagogin bemerkt ihre Begabung

„Stefani hat einen unheimlichen Lernwillen“, sagt Janina Stemmer, „sie ist höflich zu allen, und wenn die anderen ein Problem haben, kommen sie zu ihr.“ Die Klasse wählte Stefani zur Sprecherin.

Die kleine Person, die eben erst lesen und schreiben gelernt hatte, erhob ihre Stimme in der Schülerversammlung des Gymnasiums. Hier fiel sie auch Schulleiter Jörg Isenbeck auf: „Stefani setzt sich ein für die Interessen ihrer Mitschüler, ist lernbegierig und hat das Potenzial für einen richtig guten Schulabschluss. Aus pädagogischer Sicht spricht alles dafür, den Schulbesuch fortzusetzen. Ich bin sicher, sie kann ein wichtiger Teil der Gesellschaft werden.“

Sie liebt die Schule, sagt Stefani: „Ich liebe lernen. Lernen lenkt mich ab.“ Die Familie lebt in einer Unterkunft, die Koffer gepackt, falls sie abgeholt und abgeschoben werden. „Unsere Herzen zittern, wenn jemand an die Tür klopft“, sagt Anita. Sie weint, wenn sie an die Zukunft denkt, die ihren kleinen Geschwistern offenstehen könnte: „Sie sollen nicht so werden wie ich. Ich bin alt und kann nicht lesen. Sie sollen etwas machen aus ihrem Leben.“

Stefani weint nicht, sagt nur kurz „Ich habe Angst“, wenn man sie nach ihren Gefühlen fragt. Lieber erzählt sie von ihrem Traumberuf: „Ich möchte Abitur machen und dann zur Polizei, Menschen helfen.“

Polizist Horst Niens, bürgernaher Beamter im Bereich der Schule, hat von Stefanis drohender Abschiebung gehört. „Was dieses Mädchen geschafft hat, wie sie zur Leitfigur wurde, das imponiert mir. Als Mensch sage ich: Es kann nicht richtig sein, sie abzuschieben.“ 

Stefanis Klassenlehrerin will nun als Privatperson eine Eingabe in die Bürgerschaft machen.

Hamburg will Roma-Familie abschieben

Vor wenigen Tagen hatte Stefanis Mutter eine Anhörung bei der Ausländerbehörde. „Grund: Freiwillige Ausreise“, steht auf dem Formular. Und dass sie bis August Zeit hat, die Rückflugtickets für sich und ihre Kinder vorzulegen. Geht die Familie nicht freiwillig, erfolgt die Abschiebung. Dem Gesetz wäre Genüge getan und die Geschichte vom Aufstieg eines ehrgeizigen, intelligenten Roma-Mädchens durch Bildung bliebe eine Politiker-Erzählung.

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