Die ersten kamen um 5.30 Uhr: So lief das Impfen ohne Termin in Hamburg
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Groß Flottbek –
Es ist eine Schlange wie früher vor einem Ticket-Shop, als man noch Konzerte feiern konnte. Diesmal geht es um das Ticket in die Freiheit: die Corona-Impfung. Hunderte Menschen stehen am Samstagmorgen in der Waitzstraße in Groß Flottbek, ihr Ziel: die AstraZeneca-Spritze.
Die HNO-Praxis von Dr. Iyad Darwich und Tina Aberle hatte die Impfaktion initiiert. Für alle; auch Nicht-Patient:innen, ohne Termin. Schon eine Stunde, bevor Darwich und Aberle um 9 Uhr ihre Türen überhaupt öffnen, zieht sich die Schlange über 200 Meter. Bis 13 Uhr soll geimpft werden – ob alle Wartenden überhaupt drankommen werden, ist unklar.
Ganz vorn: Leon B. mit seinen Eltern Ludger und Kerstin sowie Freund Simon M. Seit 5.30 Uhr stehen sie an der Waitzstraße 15, extra aus Sittensen in Niedersachsen hergefahren. Leon und Simon sind 18, sie gehören zu keiner Prioritätsgruppe und hätten wohl noch wochenlang auf einen Termin warten müssen. Als Mutter Kerstin über den Firmen-Chat von der Aktion in der Praxis erfuhr, wollten die Schüler sofort mit.
Hamburg: Corona-Impfaktion ohne Termin in Groß Flottbek
„Einerseits, weil wir dann vieles wieder dürfen“, sagt Leon, „Andererseits lohnt es sich: Es ist nicht mein Ziel, das Virus zu bekommen und eines Tages Spätfolgen davonzutragen, mit denen ich vielleicht keinen Sport mehr machen kann.“ Freitagabend schrieb er Kumpel Simon, der direkt zusagte: „So kann ich noch vor den Sommerferien doppelt geimpft sein.“
Darauf hoffen auch die Impfwilligen hinter ihnen. Sie sitzen in Campingstühlen oder stehen mit einem Buch in der Hand, einer hat sich eine warme Decke über die Schultern gelegt. Einmal noch warten, damit das Warten ein Ende hat. Eine junge Frau steht seit 7.15 Uhr auf Höhe der S-Bahnstation Othmarschen. Ihre Mutter hat sie begleitet, auch wenn sie selbst bereits geimpft ist. Angst vor AstraZeneca hat die Frau nicht. „Im Gegenteil: Ich finde es falsch, dass die EU keine Dosen mehr davon bestellen will. Es ist ja nicht so, als gäbe es Biontech und Moderna im Überfluss.“
Othmarschen: Knapp 300 Dosen AstraZeneca zur Verfügung
Dr. Darwich hat für seine Impfaktion knapp 300 Dosen geliefert bekommen. Er sagt: „Wir haben die Pandemie von Beginn an miterlebt, von der Diagnostik bis zu vielen Tests. Jetzt wollen wir den letzten Schritt auch noch gehen.“ Er und seine Kolleg:innen machen dies freiwillig neben der eigentlichen Arbeit unter der Woche. Vier Ärzt:innen und zehn Helfer:innen sind im Einsatz. Die Aktion zu wiederholen, sei bereits in Planung, sagt Darwich.
Kerstin B. ist der Praxis dankbar. Sie ist 52, ihr Mann Ludger 58 Jahre alt. Knapp an „Prio 3“ (ab 60 Jahre) vorbei. Kerstin sagt: „Ich gebe offen zu: Ich wollte auch nicht die Letzte sein, die geimpft wird. Die dann von anderen gefragt wird: Hast du dich nicht darum gekümmert?“ Um 8.30 Uhr muss Sohn Leon ein Parkticket ziehen, kurz danach öffnen Dr. Darwich und Aberle die Praxis. Es geht hinein, es geht los: die Eintrittskarte in Richtung Normalität.