Revolutionäre HSV-Pläne: Fans können Anteile erwerben – die von Kühne wachsen
Fast zehn Jahre liegt die letzte große HSV-Revolution zurück. Am 25. Mai 2014 stimmte eine klare Mehrheit von 86,9 Prozent der 9242 stimmberechtigten Mitglieder im Volksparkstadion für die Ausgliederung der Profi-Abteilung aus dem e.V. in die HSV Fußball AG. „Aufstellen für Europa“, hieß das Motto der Reformbewegung HSVPlus, und der damalige Aufsichtsratschef Karl Gernandt kündigte an: „Dieses Votum ist die Startlinie, um den Verein wieder in eine erfolgreiche Zeit zu führen.“ Die Zeiten haben sich geändert, sportlich aber wahrlich nicht zum Besseren – und strukturell dahin, dass die Rechtsform in ihrer bisherigen Form noch in 2024 Geschichte sein soll. Stattdessen: eine geplante Zäsur. Und sogar Möglichkeiten zur Beteiligung von Fans.
Die heutigen Töne klingen wie ein Widerspruch zu dem, was 2014 beschlossen worden war. „Unser Kernziel war es“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende Michael Papenfuß, „die beste Rechtsform für unsere ausgegliederte Profisportabteilung zu finden.“ Und das soll nicht mehr die HSV Fußball AG sein, vielmehr soll aus dieser nach Vorstellung der Verantwortlichen in den kommenden Monaten die HSV Fußball AG & Co. KGaA werden. Die Umwandlung der Rechtsform in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) soll nicht zuletzt das möglich machen, was seit knapp zwei Jahren nicht mehr möglich ist: die Veräußerung weiterer Anteile.
Seit März 2022 sind keine HSV-Anteile mehr zu erwerben
Rückblick: Seit die AMPri Handelsgesellschaft – einer von insgesamt vier Kleinaktionären neben der 4B GbR (1,33 Prozent der Anteile), der Wilhelm Bohnhorst GmbH u. Co. KG (1,2 Prozent) und der AMH GmbH (0,67 Prozent) – sich im März 2022 die letzten verfügbaren 0,74 Prozent der Anteile sicherte, geht nichts mehr. Die Erhöhung der AMPri-Anteile auf insgesamt 1,41 Prozent bedeutete, dass der Verein die gesamten 24,9 Prozent, die laut bisheriger Satzung veräußert werden dürfen, verkauft hat. Denn die übrigen 75,1 Prozent sind im Besitz des HSV e.V. – weil sie es satzungsgemäß müssen. Doch das könnte sich bald ändern.
Am Dienstagabend stellte die vereinsinterne Arbeitsgruppe Rechtsform, die im Mai 2022 – zunächst bestehend aus sechs Personen – ihre Arbeit aufnahm, den HSV-Mitgliedern im Haus des Sports ihre Pläne vor. Und ihre Umsetzung, so viel steht schon jetzt fest, käme wie schon 2014 einer Zäsur gleich. Anders als damals, als die Profi-Abteilung größenwahnsinnig und nach dem Vorbild des FC Bayern München in eine AG ausgegliedert wurde, stehen diesmal aber andere Ziele im Fokus. Es sind im Wesentlichen zwei, die mit der Rechtsform-Umwandlung in die HSV Fußball AG & Co. KGaA einhergehen würden.
Neue Rechtsform: HSV will die Mitglieder-Rechte stärken
Erstens: „Durch die Umwandlung wird ein entscheidender Schritt zur dauerhaften Sicherung der Mitgliederrechte vollzogen“, erklärt Papenfuß. Hintergrund dessen ist eine Komplementärstruktur, die parallel zur angestrebten HSV Fußball AG & Co. KGaA auch die Gründung einer HSV Fußball Management AG vorsieht.
Diese Management AG vereint operatives und strategisches Geschäft – und soll gemäß den Plänen zu 100 Prozent im Besitz des HSV e.V. sein. Und zwar unverrückbar und dauerhaft, wodurch die Rechte der Mitglieder gestärkt werden sollen. Die Management AG soll – wie in der bisherigen Rechtsform – aus dem Vorstand (Jonas Boldt und Eric Huwer) und dem siebenköpfigen Aufsichtsrat bestehen. Innerhalb des Vereins besteht die einvernehmliche Überzeugung, dass die mit einer AG seit 2014 gesammelten Positiv-Erfahrungen – in veränderter Form – weiterhin genutzt werden sollen. Allerdings soll es künftig einen Komplementär geben: die HSV Fußball AG & Co. KGaA.
Diese Kommanditgesellschaft auf Aktien soll in Zukunft die Kapitalstruktur abbilden. Vereinfacht beschrieben: Sie gilt als Geldbörse des HSV. Und als zentraler Bestandteil der Rechtsformänderung soll sie die Erfüllung des zweiten Ziels neben der Stärkung der Mitgliederrechte erfüllen: die Beschaffung von weiterem Kapital. Also die Veräußerung weiterer Aktien, was mit der bisherigen Rechtsform nicht möglich ist, sehr wohl aber mit der HSV Fußball AG & Co. KGaA. Der finanzielle Spielraum beläuft sich in der Theorie auf über 100 Millionen Euro.
Mit einer KGaA kann der HSV weitere Aktien veräußern
„Es geht auch um die Schaffung einer Möglichkeit, neues Kapital für den HSV einzuwerben und die Kapitalbasis zu stärken“, sagt Papenfuß. Laut Statuten der DFL könnte der HSV gar die kompletten 100 Prozent der Anteile an der angestrebten Kommanditgesellschaft in den Fremdbesitz geben – ohne dass die Gesellschafter übrigens Einfluss auf die operative Führung ausüben könnten, denn das gilt als wesentlicher Vorteil einer Kommanditgesellschaft. Unabhängig davon aber planen die Verantwortlichen im Volkspark derzeit, maximal 50 Prozent der Anteile herauszugeben. Was umgekehrt bedeutet, dass der HSV e.V. Minimum 50 Prozent behält.
Diese selbstauferlegten Spielregeln möchte der Verein auf freiwilliger Basis in seine Satzung aufnehmen – und basieren auf vielen handwerklichen Fehlern, die seit 2014 gemacht wurden. Zudem sehen es die Finanz-Chefs um Vorstand Eric Huwer aufgrund der derzeit stabilen wirtschaftlichen Lage nicht als notwendig an, mehr als 50 Prozent veräußern zu müssen. Vielmehr solle es in der Management AG, die die Entscheidungshoheit zur Verwendung des Kapitals besitzt, um nachhaltiges Wirtschaften gehen.
Wandel-Darlehen: Kühne-Anteile würden deutlich wachsen
Wie die Gesellschafterstruktur in der neu zu schaffenden Kommanditgesellschaft aussehen wird, ist im Detail offen. Auch diesbezüglich gibt es aber einige spannende Details. Die Anteils-Quote des HSV e.V. beispielsweise würde mit der Rechtsformumwandlung von 75,1 Prozent auf etwas unter 70 Prozent fallen. Hintergrund ist das im Juni 2023 von Klaus-Michael Kühne gewährte Wandel-Darlehen in Höhe von 30 Millionen Euro. Der damalige Deal sah die automatische Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital vor, sobald sich die Rechtsform ändert. Der HSV müsste die 30 Millionen Euro bei Umsetzung der Pläne also nicht zurückzahlen – die Anteile der Kühne Holding aber würden sich von derzeit 13,53 auf dann etwa 21,4 Prozent erhöhen. Das wäre in etwa jener Prozentsatz, den Kühne beim Verkauf eines Teils seiner Aktien an die Calejo GmbH von Thomas Wüstefeld schon einmal hatte.
Damit einher ginge auch, dass sich die Anteils-Quote von Hauptsponsor HanseMerkur (aktuell 6,76 Prozent) sowie der von den Kleinaktionären leicht verringert. Hält sich der HSV an sein selbstauferlegtes 50-Prozent-Maximum in puncto Veräußerung, könnten aber auch nach der Erhöhung der Kühne-Anteile noch rund 20 Prozent verkauft werden. Wobei die Diskussionen innerhalb der Arbeitsgruppe Rechtsform noch eine Festlegung ergeben haben: Das Investment eines einzelnen Gesellschafters, also beispielsweise von Kühne, soll auf maximal 25 Prozent begrenzt sein.
HSV-Boss Huwer führt schon Gespräche mit Investoren
Der HSV reagiert damit auf mahnende Beispiele wie Hertha BSC, wo „777 Partners“ sogar 77,8 Prozent der Anteile hält. Mit dieser Vorgabe soll also eine zu große Abhängigkeit von einzelnen Investoren vermieden werden – und sogar Milliardär Kühne selbst hatte mehrfach den Wunsch geäußert, das Kapital auf breiter Basis aufzustellen. Huwer soll sich dahingehend bereits in Gesprächen mit potenziellen Geldgebern befinden, Schlange stehen die Investoren aber wohl (noch) nicht und es geht auch nicht ums aktive Anbieten und Anbiedern, sondern um die prinzipielle Schaffung der Voraussetzungen. Und zudem hat die Arbeitsgruppe Rechtsform in Bezug auf die Auswahl möglicher Gesellschafter einige Leitplanken aufgestellt; ein Kriterium ist etwa der regionale beziehungsweise nationale Bezug. Wenngleich Internationalität nicht per se ein Ausschlusskriterium ist.
Die Komplementärstruktur sieht zudem die Schaffung eines zweiten Aufsichtsrates vor. Das bisherige Kontrollgremium, das in Zukunft dann den Vorstand der HSV Fußball Management AG beraten und eben kontrollieren würde, soll dann aus sechs Vertretern des Vereins sowie aus einem Vertreter von Investor Kühne (bisher Markus Frömmig) bestehen. Und der zweite, bisher nicht vorhandene Aufsichtsrat, bezieht sich auf die KGaA und soll aus ganz verschiedenen Personen bestehen: Der e.V. wird als Gesellschafter mit mindestens 50 Prozent der Anteile natürlich vertreten sein, es wird einen Aufsichtsrat aus dem Präsidium und einen aus dem Supporters-Bereich geben. Zudem soll jeder weitere Gesellschafter, der mindestens 7,5 Prozent der Anteile, das Recht auf einen Platz im Rat besitzen. Ausnahme: Die vier langjährigen Kleinaktionäre, die zusammen auf rund vier Prozent kommen – haben ebenfalls einen gemeinsamen Vertreter.
Komplementärstruktur: HSV hätte dann zwei Aufsichtsräte
Dieses zweite, eher nachrangige Kontrollorgan könnte letztlich aus etwa neun Personen bestehen – hat im Gegensatz zum ersten, eigentlichen Rat aber keinen Einfluss auf operative Entscheidungen. Hier gibt es keine zustimmungspflichtigen Geschäfte, stattdessen geht es im Aufsichtsrat der KGaA eher um repräsentative Zwecke, um Kommunikation, um Beratung und Investoren-Pflege.
Und noch ein revolutionärer Aspekt ist in den Plänen zur Rechtsformänderung enthalten: Künftig soll jeder Fan die Möglichkeit haben, sich über ein angedachten „Supporterst Trust“ am Verein zu beteiligen. Konkrete Vorstellungen, wie die Anhäufung von Aktien auf diesem Wege aussehen soll, also auch im Rahmen welcher Rechtsform wie etwa einer Genossenschaft, gibt es noch nicht. Klar ist aber schon, dass die Beteiligung durch Personen, die beispielsweise die Interessen der Fans vertreten wollen, anonymisiert erfolgen kann – und dass sie zu den Bedingungen eines jeden Gesellschafters vollzogen werden würden. „Die Idee kam aus Fankreisen, wir haben sie natürlich gerne aufgenommen“, sagt Papenfuß, der sich mit seinen Kollegen im Arbeitskreis ein Beispiel an den befreundeten Glasgow Rangers genommen hat, wo es einen solchen „Supporters Trust“ bereits gibt. 23 Millionen Aktien hat der schottische Erstligist auf diesem Wege allein verkauft.
„Supporters Trust“: Alle Fans können beim HSV einsteigen
Derlei Maßnahmen versteht man im Volkspark noch als Zukunftsmusik, noch in diesem Jahr aber soll das Thema „Supporters Trust“ weiter angeschoben werden – spätestens, sobald die Rechtsform-Umwandlung vollzogen ist. Am Ende dieser Woche will der Verein zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung laden, die am 23. März in Hamburg stattfinden soll. Der einzige Tagesordnungspunkt soll – Stand jetzt – der Antrag durch das Präsidium auf die Rechtsformänderung sein, die mit einer Dreiviertel-Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder beschlossen wäre. Und Papenfuß und Co. sind nach der Info-Veranstaltung im Haus des Sports zuversichtlich, dass ebendiese Mehrheit auch zustande kommen wird; Negativstimmen aus der Mitgliedschaft soll es jedenfalls nicht gegeben haben.
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Generell soll auch vereinsintern eine hohe Einigkeit in Bezug auf die Rechtsformänderung hin zur HSV Fußball AG & Co. KGaA vorherrschen. Schließlich war die Arbeitsgruppe im vergangenen Jahr personell kräftig gewachsen; neben den ursprünglichen Mitgliedern um Papenfuß und e.V.-Geschäftsführerin Anne Gnauk saßen auch Huwer, Antragssteller Niko Ehling, Supporters-Boss Sven Freese, Mitglieder aus Beirat und Ehrenrat sowie Vertreter der Gesellschafter und externe Fachspezialisten mit im Boot.
Außerordentliche Versammlung: HSV-Mitglieder entscheiden im März
„Jetzt gilt es, bis zur außerordentlichen Mitgliederversammlung die letzten Details festzulegen und alles so vorzubereiten und zu erklären, dass die Mitgliedschaft eine fundierte Entscheidung treffen kann“, sagt Papenfuß. Im Falle einer Zustimmung durch die Mitglieder am 23. März sähe das weitere Vorgehen vor, dass die zu gründende HSV Fußball Management AG zunächst im Handelsregister angemeldet wird.
Sobald die Eintragung vollzogen ist, würde eine Hauptversammlung der bisherigen HSV Fußball AG einberufen werden. Und auf dieser etwaigen Hauptversammlung würde der Beschluss einer Rechtsformänderung dann gefasst werden. Die Umsetzung soll in dem Fall noch in der ersten Jahreshälfte erfolgen, womöglich Ende Mai oder Anfang Juni – also tatsächlich ziemlich genau zehn Jahre nach der letzten großen HSV-Revolution.