Streit um Altbau: Nach 30 Jahren in preiswerter Wohnung kämpfen Mieter gegen Abriss
Hamm –
Die 100-Quadratmeter-Wohnung ist wirklich schön. Hell und direkt am Mittelkanal in Hamm gelegen. Seit fast 30 Jahren lebt hier das Ehepaar Harvey und zahlt 7,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Doch nun flatterte ihnen die Räumungsklage ins Haus. Die Eheleute sind die letzten Mieter in dem Zwölf-Parteien-Gebäude. Der Eigentümer will abreißen und 30 neue Wohnungen schaffen – allerdings teure Eigentumswohnungen. Das wollen die Harveys verhindern.
Eiffestraße 606a – keine Adresse, bei der Hamburger in Ehrfurcht erstarren. Immerhin ist die Straße eine der meistbefahrenen Verkehrsachsen der Stadt. Doch wer durch den Torbogen in den Innenhof geht, der bekommt kaum noch was mit vom Verkehrslärm. Stattdessen blickt man auf den Mittelkanal und bekommt Lust, das Gewässer per Kanu zu erkunden.
Investor kauft Haus für zwei Millionen Euro
Lust auf das Grundstück bekam 2017 Simon Vollmer, Chef des Immobilienunternehmens WPH in Rotherbaum. Mehr als zwei Millionen Euro zahlte er für den Flachbau aus den 50er Jahren und ein paar Garagen. Der absurd hohe Preis, zeigt, wie knapp Grundstücke in unserer Stadt inzwischen geworden sind.
Nun muss die Kohle natürlich wieder erwirtschaftet werden – und das geht nach Auffassung des Unternehmens nur mit einem Neubau mit Eigentumswohnungen. Mit elf Mietparteien konnte sich Vollmer einigen. Fast alle erhielten für ihren Auszug fünfstellige Beträge.
Das könnte Sie auch interessieren: Hamburgs härtester Abriss: Mini-Roboter knackt den Weißen Riesen
Auch Tanja Harvey (51) und ihr Mann Victor (57) bekamen laut Vollmer ein Angebot von insgesamt 75.000 Euro. Doch die Juristin und der arbeitslose Pilot stellten sich stur. Sie hatten vor Kurzem auch Tanja Harveys 86-jährige pflegebedürftige Mutter bei sich aufgenommen. Laut den Harveys sei es unmöglich, eine bezahlbare Wohnung in Hamm und Umgebung zu finden.
Mieter haben sich an die Bürgerschaft gewendet
„Wir befinden uns in einer verzweifelten Lage“, sagt das Ehepaar und hat sich inzwischen an den Eingabeausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft gewandt. Gegenüber der MOPO formulieren beide ihre Forderung: „Wir fordern den Erhalt des intakten Mietshauses Eiffestraße 606a. Alternativ fordern wir den Bau bezahlbarer Mietwohnungen und ein Rückkehrrecht zu gleichen Konditionen in das neue Gebäude.“
Vollmer kontert. „Wir möchten zwölf stark sanierungsbedürftige Wohnungen durch 25 bis 30 neue ersetzen. Wir tragen zur Bildung privaten Wohneigentums bei. Das wird zudem zur sozialen Mischung im Stadtteil beitragen.“ Der Investor geht nicht von einer Notlage aus, weil die Mieter eine Drei-Zimmer-Wohnung im Hamburger Umland besäßen. Das bestätigt Frau Harvey, doch in der Wohnung würde ihr Vater leben.
Bezirk hat Abbruch genehmigt
Und was sagt der zuständige Bezirk Mitte? Dem Bauherrn wurde 2019 eine Abbruchgenehmigung und im April dieses Jahres ein Vorbescheid zum Bau von 30 Wohnungen und 20 Stellplätzen erteilt. Doch vor Baubeginn braucht Vollmer eine „Zweckentfremdungsgenehmigung“, da der Abbruch eines Wohnhauses als Zweckentfremdung von Wohnraum gilt. Abgerissen werden darf nur, wenn ein „beachtliches Angebot“ von Ersatzwohnraum entsteht. Hierbei sei es unerheblich, ob ein Bauherr Miet- oder Eigentumswohnungen errichtet.
Laut Bezirk hat der Bauherr einen Zweckentfremdungsantrag gestellt, der werde von der Abteilung Wohnraumschutz geprüft. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen, weil „nicht alle erforderlichen Unterlagen“ vorlägen.