Streit ums Gendern: „Sprache ist ein identitätspolitisches Schlachtfeld geworden“
Sternchen, Doppelpunkt oder generisches Maskulinum: Die Debatte über das Gendern nimmt immer weiter Fahrt auf – der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß fordert sogar ein Teil-Verbot. Aber wer prallt da eigentlich aufeinander und warum regt uns das Thema so auf? Darüber hat die MOPO mit dem Sprachwissenschaftler Henning Lobin gesprochen.
MOPO: Herr Lobin, gendern Sie?
Henning Lobin: Es ist mir schon ein Anliegen, aber nicht immer und überall. Den Genderstern nutze ich nicht, aber andere Formen, wie Paarformeln (also Bürger und Bürgerinnen) oder Partizipien. Auf Konsequenz kommt es mir nicht an, eher auf die angemessene Bezeichnung konkreter Personen.
Warum regt uns das Thema so auf?
Menschen haben ein sehr intimes Verhältnis zur Sprache. Wir lernen sie von Geburt an von unseren Eltern und bauen unsere persönlichen Beziehungen damit auf. Jeder einzelne Mensch ist in seiner Sprache tatsächlich Experte. Wenn man dann das Gefühl bekommt, dass jemand daran etwas ändern will – vielleicht auch mit einer Zielsetzung, die man nicht für richtig hält – kann das zu sehr heftigen Reaktionen führen. Außerdem ist das Thema mittlerweile politisch sehr aufgeladen.
Gerade hat der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß ein Verbot fürs Gendern in staatlichen Einrichtungen gefordert. Was halten Sie davon?
Mit so einem Verbot würde man den Kampf um die deutsche Sprache regelrecht anheizen. Viele Befürworter werden es sich nämlich in Behörden, Universitäten und Schulen nicht nehmen lassen, weiter zu gendern. Es wäre auch juristisch nicht so einfach umzusetzen. Davon abgesehen halte ich es für nicht sehr klug von der CDU, dieses Thema zu adressieren, weil die AfD es schon seit Jahren besetzt hat. Eine Abgrenzung wird schwierig.
Darüber schreiben Sie auch in Ihrem Buch „Sprachkampf“. Wer kämpft denn?
Sprache ist in den letzten Jahren zu einem identitätspolitischen Schlachtfeld geworden. Auf der einen Seite gibt es die linke Identitätspolitik, die auf die Emanzipation von einzelnen Gruppen ausgerichtet ist, zum Beispiel auf Frauen, geschlechtlich diverse Menschen oder ethnische Minderheiten. Das wird oft als „feministische Sprache“, „Gendersprache“ oder „politische korrekte Sprache“ bezeichnet.
Auf der anderen Seite haben wir Gruppen und eine Partei, die Sprache sehr stark mit kultureller Identität im nationalen Sinne verknüpft. Die AfD hat das in ihrem Grundsatzprogramm von 2016 und auch in dem aktuellen Wahlprogramm ganz klar formuliert. Politisch gesehen stehen also die Neue Rechte und die linke Identitätspolitik einander gegenüber.
So haben viele Menschen das Gefühl, dass sie als rechts oder frauenfeindlich abgestempelt werden, wenn sie nicht gendern.
Das sollten wir auf keinen Fall zulassen. Sprache ist ein Medium unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Deshalb halte ich es auch für sehr problematisch, dieses Thema politisch zu instrumentalisieren.
Was kann helfen?
Wir müssen miteinander reden. Warum hat jemand etwas dagegen? Worin besteht die Sorge? Und was ist das Ziel, wenn man gendert? Meinungen dazu sind doch nicht grundsätzlich radikaler Natur, sondern haben zunächst etwas mit unserem sprachlichen Austausch zu tun.
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Warum lehnen manche Menschen das Gendern denn ab?
Weil es als zu kompliziert angesehen wird, als unschön, manche haben auch Sorge, dass sie es nicht richtig machen. Und wir haben sprachliche Formen, wie das generische Maskulinum, von denen sie meinen, dass sie doch gut funktionieren. Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass es im Alltag gar nicht so kompliziert ist – und nachdem Jahrhunderte lang die Ansprache von männlichen Personen dominiert hat, jetzt andere Gruppen – vor allem Frauen – sprachlich sichtbar werden sollten. Denn Sprache spiegelt das wider, was unsere Gesellschaft ausmacht.
Hat das auch etwas mit Bildung und Lebensumständen zu tun?
Das ist noch nicht ganz klar. Laut dem Soziologen Andreas Reckwitz driftet die Gesellschaft in der Mitte auseinander. Sie spaltet sich in eine „neue“ großstädtische Mittelklasse mit Menschen in Wissensberufen und einem internationalen Selbstverständnis. Dem gegenüber steht die „alte“ Mittelklasse mit traditionelleren Wertvorstellungen und der Sorge, dass das, was sie bislang ausgemacht hat, nicht mehr gültig ist. Dies schlägt sich auch in Positionen zu Sprachthemen nieder.
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Viele haben das Gefühl, ihnen wird von einer kleinen, elitären Gruppe etwas moralisch aufgezwungen – und laut einer aktuellen Umfrage für die „Welt am Sonntag“ lehnt mit 65 Prozent der Bevölkerung die Mehrheit das Gendern ab.
Es gibt sehr viele Umfragen dazu. Je nachdem, wie dort nach Meinungen gefragt wird, ergeben sie hohe Ablehnungsraten. In unserer repräsentativen Studie haben wir Menschen jedoch eine Textlücke ausfüllen lassen und so ihr konkretes Formulierungsverhalten ermittelt. Da hat sich gezeigt, dass nur 20 Prozent das generische Maskulinum verwenden. Fast 80 Prozent haben in irgendeiner Form gegendert mit Paarformeln, Partizipien oder Umschreibungen. Den Genderstern benutzten aber nur wenige.
Also ist Gendern doch kein elitäres Projekt?
Ist es nicht. Die Sprache ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse. Und wenn sich die Gesellschaft ändert, sieht man das auch in der Sprache. Selbst die „Brigitte“ gendert inzwischen. Dahinter steckt kein Impuls, der von oben kommt. Der gesellschaftliche Trend wird aber von politischen Gruppen für ihre Zwecke benutzt.
Und wer setzt sich am Ende durch?
Wir werden keine Gesetzgebung bekommen, die Menschen vorschreibt, wie sie zu schreiben oder zu sprechen haben. Die verschiedenen Formen sind da und werden nicht wieder verschwinden. Ob jemand immer gendert, manchmal oder gar nicht – wir müssen das akzeptieren. Wir brauchen einen moderaten, ausgleichenden Umgang damit, Toleranz und keine weitere Polarisierung.