Besatzungsmitglieder und Fischer bereiten ein Schleppnetz für den nächsten Einsatz mit Kameras vor
  • An Bord des Fischereiforschungsschiffes „Solea“ auf der Ostsee bereiten Besatzungsmitglieder und Fischer ein Schleppnetz für den nächsten Einsatz mit Kameras vor.
  • Foto: picture alliance/dpa/Bernd Wüstneck

„Davon kannst Du nicht mehr leben“: Fischer haben jetzt einen Nebenjob

Weil sie ehemals wichtige Arten kaum noch fangen dürfen, schauen sich Küstenfischer nach anderer Arbeit um. Die könnte die Wissenschaft bieten. Ein neues Ausbildungsprojekt soll Perspektive schaffen.

Normalerweise holt Mathias Labahn Fische aus dem Wasser. Doch dieses Mal hängt an dem Seil, das er wenige Kilometer vor Kühlungsborn an Bord der „Solea“ aus der Ostsee zieht kein Netz, kein Hering oder Dorsch, sondern ein etwa 30 Zentimeter langer Kunststoffzylinder. Vorsichtig holt er die Konstruktion an Deck und pustet einen der Sensoren an der Unterseite einmal aus, um ihn von Wasser zu befreien.

Neuartige Sonde soll Küstenfischern aus der Krise helfen

Die neuartige Sonde könnte eine wichtige Rolle dabei spielen, wie die krisengebeutelten Küstenfischer Norddeutschlands künftig Geld verdienen und Nachwuchs gewinnen könnten. Sie misst Sauerstoff, Temperatur, Salzgehalt und Druck. Anders als die Sonde, die die Forscher normalerweise an Bord der „Solea“ verwenden, muss sie nicht über einen extra Winde ins Wasser gelassen werden und kostet nicht rund 100.000 Euro. Das handliche System kostet etwa ein Zehntel und kann von Fischkuttern aus per Hand bedient werden. Die Ergebnisse können die Fischer auch selbst auf einem Tablet sehen.

Fischer Mathias Labahn aus Freest sortiert und vermisst an Bord des Fischereiforschungsschiffes „Solea“ auf der Ostsee Plattfische. picture alliance/dpa/Bernd Wüstneck
Fischer Mathias Labahn vermisst Plattfische.
Fischer Mathias Labahn aus Freest sortiert und vermisst an Bord des Fischereiforschungsschiffes „Solea“ auf der Ostsee Plattfische.

Für Küstenfischer an der Ostsee waren die zurückliegenden Jahre von Hiobsbotschaften geprägt. Gekürzte Fanghöchstmengen machen es vielen Berufsfischern kaum noch möglich, von ihrem Handwerk zu leben. Immer mehr geben auf. Der Landesverband der Kutter- und Küstenfischerei in MV hat sich mittlerweile aufgelöst, und auch anderswo in Norddeutschland haben Fischer Probleme.

Ausbildung zum Sea Ranger: Fischer werden zu „Förstern des Meeres“

Seit dem vergangenen Herbst lassen sich nun elf Fischer aus MV zu Fachwirten für Fischerei und Meeresumwelt weiterbilden. Als sogenannte Sea Ranger – einer Art Förster des Meeres – sollen sie neben der Fischerei etwa Wissenschaftlern unter die Arme greifen und damit zusätzlich Geld verdienen. Die Initiative ging von der Fischereigenossenschaft Wismarbucht aus.

Labahn ist einer von ihnen. „Von der Quote an sich kannst Du nicht mehr leben“, sagt der 40-Jährige mit Blick auf die regulierten Fangmengen. Man könne froh sein, dass die Frau auch arbeite und Geld nach Hause bringe. „Deswegen machen wir ja auch dieses Sea-Ranger-Projekt, um ein gewisses Nebeneinkommen zu generieren und natürlich auch junge Menschen wieder in den Beruf zu kriegen.“ Es wäre schade, wenn dieser ausstürbe.

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Labahn ist Fischer in vierter Generation, hat zwei Kutter und fischt vor der Insel Usedom. Zu seinen Highlights bei der Ausbildung gehöre die Arbeit mit den Wissenschaftlern. In der Vergangenheit sei das Verhältnis mitunter eher konfrontativ gewesen. Auch ihn beschäftige etwa der Sauerstoffmangel, der Fischen zusetze. Das Schulbankdrücken liege ihm als Fischer naturgemäß nicht so.

Wissen der Fischer kann Meeresforschern helfen

Besatzungsmitglieder der „Solea“ und Fischer holen ein Schleppnetz ein, das zuvor mit Videokameras ausgestattet wurde. picture alliance/dpa/Bernd Wüstneck
Besatzungsmitglieder der „Solea“ und Fischer holen ein Schleppnetz ein.
Besatzungsmitglieder der „Solea“ und Fischer holen ein Schleppnetz ein, das zuvor mit Videokameras ausgestattet wurde.

Auf dem Stundenplan stehen etwa Umweltmonitoring, Meeresbiologie, Recht, Öffentlichkeitsarbeit und Projektmanagement, aber auch Diversifizierung und Vermarktungsstrategien. In der zurückliegenden Woche waren die Fischer im Rahmen der Ausbildung auf den Forschungsschiffen „Alkor“ und „Solea“ zusammen mit Wissenschaftlern des Thünen-Instituts für Ostseefischerei, der Universitäten Kiel und Hamburg sowie des Kieler Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung unterwegs. Dabei übten sie etwa den Umgang mit der neuen Sonde, nahmen und untersuchten Fischproben oder installierten Unterwasserkameras in Netzen.

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Als letzten Hilferuf an die Politik beschreibt Fischer Karsten Höpfner das Projekt. Er und seine Kollegen gingen ins Risiko, weil sie monatelang kein Einkommen hätten oder etwa bei Fahrt- und Unterbringungskosten in Vorleistungen gingen. Er hoffe, dass es nach der Ausbildung auch tatsächlich Anschlussprojekte gebe. Der 44-Jährige ist Fischer in fünfter Generation. Auch sein Sohn habe gerade seine Fischerlehre abgeschlossen. Von ehemals 150 Tonnen Hering, die er im Jahr habe fischen dürfen, seien zuletzt noch 2,7 Tonnen geblieben. Mit ihrem über Generationen gesammelten Wissen könnten sie der Wissenschaft helfen.

Sauerstoffmangel als Grund für schlechten Fischbestand

Auch Daniel Stepputtis vom Thünen-Institut, der auf der „Solea“ die Fischer betreut, hofft auf eine Perspektive für die Ranger. „Was nützt die Ausbildung, wenn danach nicht jemand Geld in die Hand nimmt und sagt ,Mach doch mal‘?“ Er schaue dabei in Richtung Schweriner Landesregierung. Das Projekt habe durchaus eine Aufbruchstimmung aufkommen lassen. Die dürfe man nicht enttäuschen. Auch jetzt unterstütze das Land die gebeutelten Fischer schon.

Die Sea-Ranger-Initiative biete die Möglichkeit, die Hilfe mit wichtiger Forschung zu verknüpfen, sagt Stepputtis. Wissenschaftler wüssten zum Beispiel bislang zu wenig über Sauerstoffmangel entlang der Küste. Die großen Forschungsschiffe fahren dafür seiner Aussage nach zu selten und auch nicht in die wichtigen flachen Bereiche. Wissenschaftler gehen unter anderem davon aus, dass Sauerstoffmangel ein Grund ist, warum es dem Dorsch so schlecht geht. Mit einer guten Viertelmillion Euro könne man schon einiges erreichen, sagt Stepputtis. Das sei überschaubares Geld. Dieses könne aber nicht etwa direkt von Forschungsinstituten kommen, weil es nicht im Budget vorgesehen sei.

Ausbildungsprojekt soll Berufsbild des Fischers attraktiver machen

Der Schweriner Landwirtschaftsminister Till Backhaus sagt, grundsätzlich seien die Aktivitäten der Sea Ranger von den Auftraggebern zu finanzieren, die sehr unterschiedlich sein könnten – und gerade nicht nur von der öffentlichen Hand. Er verwies aber auch auf das Engagement des Landes: „Der erste Ausbildungskurs wird voraussichtlich vollständig über Fördermittel aus dem Europäischen Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds und Landesmittel finanziert.“ Backhaus begrüßt das Projekt als „hochaktuelle und zeitgemäße Initiativen des Berufsstandes“. Für den Anlaufbedarf des eigens gegründeten Vereins Sea Ranger MV als auch für Projekte sehe er gute Möglichkeiten der Unterstützung mit öffentlichen Geldern.

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Die Initiatoren wollen das Konzept auch in Schleswig-Holstein und Niedersachsen etablieren. Ihnen geht es nach eigener Aussage vor allem auch darum, das Berufsbild des Fischers attraktiver zu machen, um künftig noch Nachwuchs zu finden. Die Abschlussprüfungen der künftigen Ranger werden in der ersten Juniwoche in Sassnitz auf Rügen abgelegt.

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