Schlaganfall übersehen: Patient wird zum Pflegefall: Klinik verurteilt
Flensburg –
Neun Jahre lang hat die Familie eines Schlaganfall-Patienten um Schmerzensgeld gekämpft, nun gab das Landgericht Flensburg ihr Recht (AZ 3 O 219/14): Die Ärzte des Schlei-Klinikums haben die Blutgerinnsel im Gehirn nicht schnell genug erkannt, die Behandlung war grob fehlerhaft. Der Mann ist seitdem ein Pflegefall.
Was genau am 16. Mai 2012 passiert ist, darüber sind sich Patient und Klinik auch nach Ende des Mammut-Prozesses nicht einig. Fest steht, dass der Patient, damals 68 Jahre alt, an jenem Tag mit starken Kopfschmerzen, Sehstörungen und Kribbeln in der rechten Gesichtshälfte um 11.54 Uhr in die zentrale Notaufnahme der Klinik in Schleswig eingeliefert wurde.
Schlaganfall übersehen: Patient wird zum Pflegefall: Klinik verurteilt
Bereits um 12.15 Uhr verließ er das Krankenhaus wieder – und hier beginnt der Streit: Er sei desorientiert gewesen und keiner habe ihn darauf hingewiesen, dass weitere Untersuchungen gemacht werden müssen, sagt der Patient.
Die Klinik hingegen hat vor Gericht behauptet, der Mann sei auf eigenen Wunsch nach Hause gegangen, so stehe es auch in der Akte. Der Arzt, der den angeblichen Patientenwunsch schriftlich vermerkt hat, musste bei seiner Zeugenaussage allerdings einräumen, dass er den Eintrag erst Tage später und auf Anweisung seines Vorgesetzten eingefügt hat.
Fest steht: Um 14.30 Uhr kam der Patient erneut in die Klinik, in Begleitung seiner Tochter. Sie sagte später dem Gericht, die Ärzte hätten auf eine Blasenentzündung getippt, und erst auf ihre dringliche Bitte hin sei eine Stunde später eine Computertomographie seines Kopfes erfolgt.
Ergebnis: Schlaganfall. Ein weiteres CT zeigt Blutgerinnsel in mehreren Hirn-Arterien. Der Patient öffnet die Augen auf Ansprache nicht mehr, kann seinen linken Arm nicht mehr bewegen, steht später im Pflegebericht der Schlaganfallstation.
Der Mann ist seitdem halbseitig gelähmt, depressiv, hat Pflegestufe zwei, leidet unter Spastiken und Inkontinenz. Bei rechtzeitiger Behandlung hätten die Auswirkungen viel schwächer ausfallen können, möglicherweise hätte er gar keine Behinderungen davongetragen. Stattdessen pflegt ihn seine Frau seit neun Jahren.
2014 reichte die Familie Klage ein, seitdem haben die Klinik und ihre Versicherung mit zahlreichen Gutachten und Fristverlängerungen versucht, alle Zahlungen zu vermeiden – zu Unrecht, wie das Landgericht Flensburg jetzt feststellte: „Die Behandlung erfolgte fehlerhaft“, heißt es in dem Urteil. Die Ärzte des Schlei-Klinikums hätten sofort nach Einlieferung ein CT machen müssen, es seien bereits „Symptome eines akuten Schlaganfalls nachweisbar gewesen.“ Es liege ein „grober Behandlungsfehler“ vor.
Wie hoch das Schmerzensgeld ist, das die Klinik-Versicherung dem Patienten zahlen muss, wird nun in einem weiteren Verfahren geklärt. Zu erwarten sind Zahlungen mindestens in Höhe von mehreren hunderttausend Euro, vielleicht gar eine Million.
Malte Oehlschläger, Fachanwalt für Medizinrecht, hat die Familie seit 2014 vor Gericht vertreten: „Ich bewundere meinen Mandanten, da dieser mit unerschütterlichem Mut und Tapferkeit gekämpft hat und niemals auch nur daran gedacht hat, aufzugeben“, sagt Oehlschläger zur MOPO. Und: „Es ist wichtig, dass sich die Geschädigten durch die Zermürbungstaktik der Versicherungen nicht einschüchtern lassen.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.