Anwohner-Wut in der Schanze: „Die vögeln sogar in den Hauseingängen“
Ein Jahr war es ruhig in der Schanze: Doch mit dem Ende des Lockdowns ist das Feier-Volk wieder da. Einen über den Durst trinken, mit Freunden cornern, Leute kennenlernen – alles ist wieder möglich. Die Schattenseiten des Party-Comebacks bekommen jedoch die Anwohner des beliebten Ausgehviertels zu spüren. Und die wehren sich jetzt.
Das Gegröle der Betrunkenen dröhnt bis ins Schlafzimmer, immer wieder ist das Klirren von zerbrechenden Bierflaschen zu hören – das ist das nächtliche Wochenendprogramm der Anwohner in der Rosenhofstraße im Schanzenviertel. Die Straße befindet sich parallel zum Schulterblatt, wo Alkoholdurstige ihr Verlangen bis 23 Uhr stillen können. Danach wird offenbar in umliegenden Wohnstraßen heimlich weitergefeiert.
Am Morgen danach zeigt sich schließlich das ganze Ausmaß der lautstarken Eskapade: Kot liegt in den Gärten, Erbrochenes tropft von den Treppenstufen der Hauseingänge, der Gestank von Urin zieht in die Nase. „Die vögeln auch in den Hauseingängen“, sagt John Rosenau, Bewohner eines Wohnhauses in der Rosenhofstraße im Gespräch mit der MOPO.
Hamburg: Besucher des Schanzenviertels pinkeln in Vorgärten
„Letztes Wochenende habe ich nachts durch ein Fenster nach draußen in meinen Vorgarten geschaut und da sah ich einen Mann, der ein Stöckchen gegen den Gartenzaun hielt. Irgendwann merkte ich: Das war kein Stöckchen. Der Mann urinierte.“
Weiter erzählt er: „Irgendjemand hat mir sogar mal auf meinen Rasen gekackt“, so Rosenau. „Sie können sich nicht vorstellen, wie ekelig es ist, menschlichen Kot weg zu machen“, sagt er und verzieht dabei sein Gesicht.
All das wollen die Anwohner sich schon lange nicht mehr gefallen lassen. „Unsere Hausgemeinschaft hat sich einen Flutlichtstrahler zugelegt und am Haus angebracht. Sobald nun jemand das Grundstück betritt, wird es unangenehm hell für die Person“, so Rosenau. Der Strahler zeige bereits seine Wirkung – der Vorgarten sei etwas sauberer als sonst.
Hamburg: Partygänger zeigen Gewaltbereitschaft
Der erhöhte Alkoholkonsum scheint außerdem die Aggressivität und Gewaltbereitschaft der Partygänger zu steigern. „Ich hatte vergangenes Jahr drei körperliche Auseinandersetzungen, weil ich mehrere Jugendliche in der Nacht darum bat, meinen Hauseingang zu verlassen“, sagt Frank (der seinen Nachnamen nicht nennen möchte), ebenfalls Bewohner eines Wohnhauses in der Rosenhofstraße, im Gespräch mit der MOPO. „Ich habe dann schließlich immer wieder die Polizei gerufen.“ Frank habe nun jedoch den Eindruck, dass die Beamten es nicht mehr für nötig halten, zu kommen.
Tuncay Simsek, Besitzer des „Susannenkiosks“ und auch Bewohner eines Wohnhauses in der Rosenhofstraße, berichtet der MOPO von ähnlichen Erfahrungen: „Meine 13-jährige Tochter wurde von Betrunkenen belästigt“, sagt er. „Ich bin dafür, dass die Polizei drei Info-Stände an verschiedenen Standorten im Schanzenviertel platziert“, schlägt Simsek vor. So könnten Anwohner oder auch belästigte Besucher des Ausgehviertels direkt Hilfe bekommen.
Hamburg: Anwohner starten Plakat-Aktion
Mit einer Plakat-Aktion wollen die Bewohner der Rosenhofstraße die Aufmerksamkeit auf ihren Unmut lenken und sich gegen das Partyvolk wehren. So auch Karin (72) und Peter (67), die als Paar seit Beginn der Neunziger in der Rosenhofstraße im Schanzenviertel leben und ihre Nachnamen nicht nennen möchten. „Ey, wir leben hier. Bleib sauber, Party-Tier“, heißt es auf einem Plakat, das an einem Wohnhaus angebracht wurde. Auf einem weiteren kreativen Plakat, das Karin selbst erstellt hat, steht geschrieben: „Wenn du an die Wände Pee machst, ist es noch kein Streetart“.
„Den Betrunkenen interessiert es natürlich nicht, was auf den Plakaten steht. Sie feiern ausgelassen weiter“, sagt Karin im Gespräch mit der MOPO. Eine andere Möglichkeit, sich gegen die Partymeute zu wehren, sehe das Paar aktuell nicht. „Die Maßnahmen des Bezirksamts reichen auch nicht aus“, so Karin.
Hamburg: Bezirksamt möchte es jedem Recht machen
Die Politik betrachtet alle Akteure im Schanzenviertel. „Anwohner sehnen sich nach Ruhe in ihrem Wohnquartier, während Gastronome auf möglichst viele Gäste hoffen. Und dann gibt es noch die Gruppe junger Menschen, die das Viertel als Treffpunkt auserkoren haben“, erklärt Stefanie von Berg, Bezirksleiterin in Altona.
„Unsere Aufgabe ist es, die unterschiedlichen Nutzungsansprüche der einzelnen Personengruppen so zu ermöglichen, dass ein Miteinander und kein Gegeneinander in der Schanze stattfinden kann“, so von Berg. Dies könne nur gelingen, wenn sich alle Akteure gegenseitig mit Respekt begegnen und Rücksicht aufeinander nehmen.
Hamburg: Partymacher verstecken sich in Rosenhofstraße
In der Rosenhofstraße kann von Respekt und Rücksicht offenbar nicht die Rede sein. „Es wird von Jahr zu Jahr immer schlimmer. Das war auch schon vor der Corona-Pandemie so“, sagt Anwohnerin Karin. Das Alkoholverbot ab 23 Uhr zeige nur geringe Wirksamkeit. „Die Leute verstecken sich hier in der Seitenstraße, weil sie wissen, dass sie hier ungestört weiter trinken können“, sagt die 72-Jährige. Dabei werde die Straße verdreckt und zugemüllt.
„Um der Verschmutzung entgegenzuwirken, ist 2018 eine öffentliche Toilette aufgestellt worden“, so Mike Schlink, Sprecher des Bezirksamts in Altona. Die Anwohner sehen darin jedoch nicht die Lösung. „Es ist dringend notwendig, dass mehr öffentliche Toiletten zur Verfügung stehen“, so Peter. „Natürlich gehen die Leute dort nach ein paar Stunden auch nicht mehr gern drauf, wenn es für die Masse an Menschen lediglich nur die eine Toilette gibt“, sagt er. „Ich will nicht wissen, wie die Dinger nach ein paar Stunden aussehen“, sagt er angewidert.
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Hamburg: Maßnahmen des Bezirksamts Altona
Außerdem setzt die Politik auf die ordnungspolitische Komponente, um die Situation in der Schanze zu befriedigen. „Es finden regelmäßig Ordnungswidrigkeits-Kontrollen statt“, so Mike Schlink, Pressesprecher des Bezirksamts Altona. Die Kontrollen scheinen die aktuelle Situation etwas zu verbessern, jedoch graut es den Anwohnern bereits vor der Zeit nach Corona. Karin sagt: „Durch die Kontrollen und das Alkoholverbot ab 23 Uhr ist es zwar etwas besser geworden in unserer Straße, aber ich habe Angst vor dem, was kommt, wenn die Maßnahmen gelockert werden“.