Kindermedien: Wieso es mehr als blonde Piraten braucht
Wir jagten mit Momo die grauen Herren, wünschten uns genauso klug zu sein wie Hermine oder schlichen mit dem Herren der Diebe durch die Nacht. Doch im Rückblick fehlt all diesen Büchern eines: Diversität. Kindermedien sind auch heute noch voller klischeehafter Prinzessinnen und blonder Ritter. Die Hamburgerin Anica Korte will das ändern.
„Angefangen hat alles mit einer Motto-Party, die sich meine Tochter zu ihrem Geburtstag gewünscht hat“, sagt Anica Korte, die Hauptberuflich als Webseiten-Gestalterin arbeitet, im Gespräch mit der MOPO. Das Thema der Party: Weltall. Sie klapperte unzählige Läden ab, fand aber weder Einladungskarten auf denen Mädchen den Weltraum erkunden noch Karten mit schwarzen Kindern.
In Kindermedien fehlt es an Diversität
„Es war nichts dabei, was meine Tochter widerspiegelte“, sagt Korte. Sie Korte ist weiß, ihre beiden Kinder sind schwarz. „Irgendwann war ich frustriert von den klischeehaften Prinzessinnen und blonden Piraten. Vielleicht wollen ja auch Mädchen Schifffahrerinnen sein?“ Kurzerhand setzte sich die Hamburgerin hin und gestaltete Astronautinnen-Karten für die Weltraumparty ihrer Tochter. Schnell folgten auch Seefahrerinnen und Superheldinnen. Mittlerweile ist daraus das kleine Unternehmen „Ellou“ entstanden. Im Moment gestaltet Korte hauptsächlich Karten, Poster und neuerdings auch ein Puzzle.
„Ich mache das in erster Linie für meine Kinder“, sagt Korte. Viele Motive entstehen aus eigenen Erlebnissen. Eine ihrer Karten zeigt beispielsweise viele Kinder beim Schwimmen. „Diese Karte entstand, weil meiner Tochter die Fähigkeit abgesprochen wurde, Schwimmen zu können“, erzählt Korte. Die Schwimmlehrerin habe ihr gesagt, bei ihrer Tochter bräuchte das Schwimmen lernen sowieso länger, weil ihre Zellstruktur eine andere sei, als bei weißen Kindern. „Ich war einfach perplex, habe meine Tochter genommen und bin gegangen“, sagt sie.
Auch in Conny-Büchern: Vielfalt muss dargestellt werden
„Wir müssen die Sehgewohnheiten ändern“, sagt Korte. Sie will Kinder aus anderen Kulturen, mit einer anderen Religion, Hautfarbe oder einer Behinderung sichtbar machen und sie damit als völlig selbstverständlich zum Alltag gehörend darstellen – durch ein Spiel, das Vorlesen oder gemeinsames Ansehen von Bilderbüchern. „Gerade im deutschsprachigen Raum gibt es da noch nicht ganz so viel“, sagt sie. Und wenn, dann werde in vielen Werken das „Anderssein“ als solches herausgestellt und thematisiert – beispielsweise mit einer Fluchtgeschichte.
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Und wie sieht es in der Kinderbuch-Branche aus? „So wie sich unsere Gesellschaft in einem steten Wandel befindet, durchläuft auch das Bewusstsein für Diversität im Kinderbuch einen Prozess der Veränderung“, sagt eine Sprecherin des Hamburger Buchverlags Carlsen der MOPO. „Bei uns kommen People of Color genauso vor wie Menschen mit Fluchterfahrungen, Behinderungen, unterschiedlicher sexueller Orientierung et cetera.“ Die Vielfalt erhält auch Einzug in die „Meine Freundin Conni“-Heftchen, in denen unter anderem gleichgeschlechtliche Eltern als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft auftauchen. Erste Schritte in eine gleichberechtigte Welt.
Auch in Hamburg: Alltagsrassismus ist Realität
Aber in der Realität sieht es oft noch anders aus: Bei Familie Korte kommt es immer wieder zu alltagsrassistischen Situationen. „Meist basiert das Verhalten der Menschen auf Unwissenheit“, erklärt Korte. Beim Fasching wurde ihrer Tochter, die ein riesiger Eisköniginnen-Fan ist, von einem anderen Kindergartenkind gesagt, sie könne nicht Elsa sein, denn Elsa habe weiße Haut.
Ihren beiden Kindern werde häufig grundlos in die Haare gefasst, sie seien so niedlich, ist dann häufig das Argument, so Korte. Eine völlig fremde Frau habe sie in der S-Bahn auch schon einmal gefragt, ob ihre Kinder adoptiert seien.
Illustratorin will Kinder mit ihrer Arbeit stärken
„Ich möchte meine und alle anderen Kinder mit meiner Arbeit stärken“, sagt Korte. Ihnen das Gefühl geben, Teil dieser Gesellschaft zu sein, sich selbst wiederzuerkennen, aber auch denen die nicht von Ausgrenzung oder Rassismus betroffen sind zu zeigen, welche Vielfalt diese Welt bietet.
Es ist Kortes feste Überzeugung, dass sich das Selbstverständnis für eine diverse Gesellschaft nur entwickelt, wenn schon in Kinderbüchern alle Menschen auftauchen – wenn also Menschen mit Behinderungen, verschiedenen Hautfarben, Religionen oder Sexualitäten gezeigt werden. Erst, wenn Kinder in Büchern, Filmen oder Spielen sehen, dass sie alles werden können, ohne eine Männer-Frauen-Beruf-Eingrenzung, können sich Träume verändern.
Und vielleicht findet eine Mutter für ihre Tochter bald Einladungskarten mit Astronautinnen oder Seefahrerinnen und für ihren Sohn Motive mit Tütü oder Pferden. Anica Korte legt mit ihrem Unternehmen „Ellou“ jetzt den Grundstein.