250.000 beim CSD in Hamburg: „Wir müssen Leuten auf den Sack gehen!“
Zehntausende bunte Outfits, laute Musik und riesiges Feier-Sommer-Glück: Wie in jedem Jahr konnte auch der 44. Hamburger Christopher Street Day die Erwartungen mehr als erfüllen. Doch mehr denn je war auch die Sorge der Teilnehmer über den Rechtsruck in unserer Gesellschaft mit auf der Party. In einem waren die Teilnehmer sich dabei einig: Es wird immer wichtiger, laut zu sein!
Dass die wachsende Intoleranz ein Problem ist, spiegelte sich auch im Motto der Demonstration zum CSD wider: „5 vor 12! Du & ich gegen Rechtsdruck“. Dem Slogan entsprechend startete die Veranstaltung um Punkt 11.55 Uhr. Laut Polizei nahmen rund 250.000 Menschen teil – noch einmal deutlich mehr als im Vorjahr, als 200.000 Teilnehmende gezählt wurden.
CSD in Hamburg: „Wir müssen auch mit der AfD reden“
Mit dabei auf dem Umzug, der ab dem Mundsburger Damm an der Alster entlang, über Lohmühlenstraße, Lange Reihe, Kirchenallee, Ernst-Merck-Straße und Glockengießerwall in die Mönckebergstraße verlief, waren die Berliner Henry (34, Designer), Silvio (50, Erzieher) und Christian (25, Fachinformatiker). „Es ist wirklich sehr bedenklich, dass wir kaum noch miteinander reden“, sagt Silvio. „Wir müssen versuchen, die Rechtsorientierten mit Argumenten zu überzeugen. Ich finde, dass man auch mit der AfD reden sollte. Ignoranz hat noch nie zu Problembewältigung geführt.“
Christian fügt hinzu: „Wir müssen auch den Menschen in unserer eigenen Familie die Hand reichen.“ Und Henry meint: „Man muss sich seinen Ängsten stellen und sich nicht verstecken. Nicht nur auf dem CSD, sondern jeden Tag.“ Die drei haben sich wirklich herausgeputzt: Mit Matrosenhut, Röcken, rosa Flügeln und Netz-Oberteil.
CSD in Hamburg: „Wir müssen den Leuten auf den Sack gehen“
Jenny (28, Krankenpflegerin) und Anne (31, Ärztin) sind extra aus Freiburg im Breisgau angereist, denn sie sind der Meinung: „Manchmal muss man auch Leuten auf den Sack gehen.“ Wie das geht? „Präsenz zeigen und nicht verstecken, wer man ist“, sagt Anne. Auf ihrem T-Shirt steht „La Dolce Vulva“. „Ich bin froh, dass ich so ein weltoffenes Umfeld habe. Da fühlt sich alles weniger schlimm an.“ Die Ergebnisse der Europawahl haben sie unfassbar schockiert, sagt Jenny.
Wie er mit seiner Angst vor dem Rechtsdruck umgeht? „Ich habe so Schuhe mit Metallkappen“, sagt Student Luka (21) und grinst. Seine Freundesgruppe hat sich mit Make-Up und Outfits viel Mühe gegeben. Alles ist regenbogenfarben: Selbst die Socken, die Fächer und der Lidschatten.
Felix (19, aus Neugraben, gerade mit der Schule fertig) hatte Angst, herzufahren. „Ich habe befürchtet, wegen meiner Flaggen angefeindet zu werden. Aber solche Veranstaltungen sind so wichtig, damit der Hass nicht an die nächste Generation weitergegeben wird.“ Sam (20, Azubi aus Norderstedt) vermutet, dass viele Menschen ihre Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierung an Menschen wie ihnen auslassen.
Pride 2024: Gute Laune, aber auch nachdenkliche Stimmung
Es gibt einige, die aus dem Regenbogen- und Glitzermeer an diesem Nachmittag besonders herausstechen. Die „Bunte Tante“ (32) zum Beispiel, die einen großen, von Ansteckern und Blumen übersäten regenbogenfarbenen Hut trägt, außerdem jede Menge Make-Up und ein regenbogenfarbenes Gewand mit Handschuhen. Selbst das Ziffernblatt ihrer Uhr ist bunt. Ihr Begleiter trägt eine dicke Wolfsmaske und nennt sich Sky. „Die Angst ist immer dabei“, sagt die „Bunte Tante“. „Aber solche Veranstaltungen helfen, denn sie zeigen: Wir sind mehr!“
Mario (24, Bergedorf), Paula (18, Winsen), Selina (21, Barmbek) und Ronald haben richtig gute Laune. Mario fällt dabei auch noch ziemlich auf – sein Hals ist über und über bedeckt mit Knutschflecken. Auch sie meinen, dass man den Rechten nicht das Feld überlassen sollte.
„Wir dürfen uns nicht verstecken “, meint Mario. Paula erzählt, dass sie auch auf Social Media über Queerness aufklärt. „Es sind so viele Missinformationen unterwegs“, sagt Selina. „Deshalb ist es wichtig, immer wieder zu erklären und zu korrigieren.“
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Manuel (42) und Marcel (31) sind mit ihren roten Rennfahrer-Outfits und roten Pailletten im Bart so auffällig, dass alle Nase lang Menschen Fotos mit ihnen machen wollen. „Uns ist nur eins wichtig: Dass wir leben und lieben können, wie wir wollen“, sagt Marcel, der ein Schild mit der Aufschrift „#WelcomingOut“ in der Hand hält. Außerdem steht dort „#TeamRalf“ – eine Hommage an den Rennfahrer Ralf Schumacher, der sich vor wenigen Tagen als homosexuell geoutet hat. „Wir stehen auf und zeigen, dass wir mehr sind!“, so Manuel.