Queere Spiele? Superstar kann es offen ausleben – Boxerin droht zu Hause Ärger
Wenn Tom Daley auf den Turm steigt, geht ein Raunen durchs Publikum. Wenn er aus zehn Metern nach mehrfachen Salti und Schrauben fast ohne Spritzer ins Wasser taucht, brandet ohrenbetäubender Jubel auf. Wenn er als Tribünengast während des Wettkampfs strickt, fangen ihn alle Kameras ein. Der britische Wassersprungstar ist einer der populärsten Olympiastarter von Paris – und das nicht nur in der LGBTQI+-Szene. Doch das war nicht immer so.
Als Junge habe er sich „als Außenseiter“ gefühlt, sagte der Olympiasieger von Tokio einmal: „Ich hatte das Gefühl, dass ich nie etwas erreichen würde, weil ich nicht das war, was die Gesellschaft von mir wollte.“ Doch Daley, der 2013 die Liebesbeziehung zu seinem heutigen Mann öffentlich bekannt gab, hat sich mit seinem Coming-out von diesen Fesseln befreit.
Tom Daley, Olympia-Star der queeren Sport-Szene
Auch in Paris zeigte sich der Silbermedaillengewinner im Turm-Synchronspringen offen mit seinem Mann und den zwei gemeinsamen Kindern. Generell hoffe er, dass die Auftritte von LGBTQI+-Athleten bei Olympia „jungen Kindern Selbstvertrauen geben und dafür sorgen, dass sie sich nicht so verängstigt und allein fühlen“, sagte Daley einmal. Die englische Abkürzung LGBTQI+ steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans, queere sowie intergeschlechtliche Menschen. Das Pluszeichen ist Platzhalter für weitere Identitäten und Geschlechter.
Aber ist Olympia dafür wirklich die richtige Bühne? Ja, findet der deutsche Judoka Timo Cavelius, der ebenfalls offen mit seiner Homosexualität umgeht. „Es wird ja meistens von oben nach unten getragen. Man trägt aus dem Leistungssport in den Breitensport, dass gay sein okay ist“, hatte der Olympiastarter kurz vor den Sommerspielen gesagt. Alle aus der LGBTQ-Community seien aus Leistungsgründen in Paris am Start, aber es sei ein „wunderbarer Nebeneffekt, dass die Homosexualität und die gleichgeschlechtliche Liebe nach Außen hin transportiert wird“.
Deutsche Judoka Timo Cavelius: „Gay ist okay“
Auch Julia Monro vom Lesben und Schwulen-Verband in Deutschland (LSVD) sieht in den Spielen die Chance für eine größere Akzeptanz queerer Lebensweisen. „Was die sexuelle Orientierung betrifft, da bietet der Sport eine gute Plattform“, sagte das LSVD-Bundesvorstandsmitglied der dpa, „um für Sichtbarkeit einzustehen und um darauf aufmerksam zu machen, wie es zum Beispiel im eigenen Land aussieht“.
Boxerin Cindy Ngamba zum Beispiel müsste um ihre Sicherheit fürchten, wenn sie in ihr Geburtsland Kamerun zurückkehren müsste. Dort steht Homosexualität unter Strafe. „Das ist nicht nur in Kamerun so, es passiert in vielen anderen Ländern, wo Menschenleben in Gefahr sind, nur weil sie homosexuell sind“, sagte die in Großbritannien lebende Athletin aus dem IOC-Flüchtlingsteam bei Eurosport.
In Paris haben Menschen wie Ngamba nichts zu befürchten. Die Eröffnungsfeier, bei der Dragqueens und Transgender-Model zum Ärger von katholischen Kirchenvertretern und rechtskonservativen Politikern auftraten, wurde innerhalb der LGBTQI+-Szene gefeiert. Das Pride House, das seit den Winterspielen 2010 einen „sicheren und inklusiven Ort“ für alle Mitglieder der Community bei den Spielen anbietet, dient auch in Paris als Begegnungsstätte.
Dating-App schränkt Nutzung im Athletendorf ein
Im olympischen Dorf mache er sich ohnehin „keine Gedanken, weil ich weiß, dass die anderen Leuten und die anderen Nationen das akzeptieren und auch gar kein Problem damit haben“, sagte Cavelius. Hasskommentare im Netz erlebe er zwar auch, aber es überwiegen die „positiven Kommentare“ von Leuten, die es gut fänden, „wie ich vor allem mit dieser Thematik umgehe“.
Offen mit ihrer Homosexualität gehen neben Daley und Cavelius unter anderem auch die deutsche Fußballerinnen Lea Schüller und Ann-Katrin Berger sowie US-Basketballerin Brittney Griner um. Damit Athleten im Olympischen Dorf nicht gegen ihren Willen ein Outing erleben, hat die Dating-App Grindr, die vor allem von schwulen Männern genutzt wird, manche ihrer standortbasierten Funktionen dort deaktiviert oder eingeschränkt.
Monro vom LSVD bezieht sich auf einen Bericht des US-Onlinesportmagazins Outsports, das über queere Themen im Amateur- und Profisport berichtet. Demnach sollen in Paris mindestens 193 der rund 10.500 Athleten offen der LGBTQ-Community angehören. So viele wie angeblich noch nie – aber: „Wenn man das als Quote runterrechnet, dann sind wir bei unter zwei Prozent. Das ist lange nicht die Repräsentanz, die diese Menschen eigentlich in der Gesellschaft haben“, sagte Monro: „Da gibt es schon noch Luft nach oben und zeigt auch deutlich, wie viele sich bis heute nicht trauen, in dieser Sache zu sich zu stehen.“
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Für Transpersonen sei es zudem im Leistungssport „immer noch schwierig“, meinte Monro, „weil sie das binäre System ins Wanken bringen“. Laut IOC-Leitlinien solle niemand wegen seiner Identität als Transperson vom Sport ausgeschlossen werden, solange ein fairer und sicherer Wettkampf gewährleistet werden könne. Unter welchen Bedingungen eine Transperson am Wettkampf teilnehmen darf, obliegt den Fachverbänden. Die Regeln seien aber mitunter so gestaltet, dass sie „de facto schon einen Bann“ vor allem für Transfrauen schaffen, kritisierte Monro: „Da muss das IOC auf jeden Fall noch nachbessern.“ (dpa/lmm)