Das Ende meiner Medaillen-Jagd und nie wieder Spottgymnastik
Bonjour Hambourg! Aus. Vorbei. Die Olympischen Sommerspiele von Paris sind in wenigen Stunden Geschichte. Und was für eine! In den vergangenen Tagen habe ich nicht nur meinen Französisch-Wortschatz weiter kräftig aufgestockt, sondern auch meinen persönlichen Medaillenspiegel aufpoliert. Richtig gelesen. Es gibt einen heimlichen Wettkampf unter einigen Kollegen, wer das meiste deutsche Edelmetall sammelt – mit den Augen, versteht sich. Im Ich-war-live-dabei-Modus. Albern? Mag sein. Macht aber Spaß.
Ich gebe es gerne zu: Nachdem ich durch meine Nicht-Präsenz bei den Wettbewerben im Bahnradfahren und Kanu etwas zurückgefallen war, musste ich aufholen und entschied mich für eine Premiere. Zum ersten Mal bei meinen fünften Sommerspielen schaute ich bei der Rhythmischen Sportgymnastik vorbei. Ich hatte keine anderen Pflichttermine und gute Chancen auf eine Medaille – dank Darja Varfolomeevs Gala-Vorstellung wurde es sogar die goldene.
Was mich aber viel mehr freute als mein medaillen-taktischer Coup: Der Ausflug hat mir die Augen geöffnet für einen Sport, dem ich bisher nicht genügend Beachtung geschenkt hatte, sondern der über die Jahre für den einen oder anderen Witz oder eine Pantomime, bei der man affektiert und theatralisch mit einem Band herumfuchtelt oder den Hula-Hoop-Reifen der Kinder für „Kunststücke“ missbraucht, herhalten musste: Spottgymnastik.
Da können auch Messi und Ronaldo nur staunen
Asche auf mein Haupt. Kommt nicht wieder vor. Ich habe seit diesem Tag riesengroßen Respekt vor dieser Mischung aus Gymnastik und Tanz. Die Mädels beherrschen den Ball besser und haben mehr Kunststücke drauf als Messi und Ronaldo zusammen, das ist mal sicher. Bei 99 Prozent von dem, was sie in Perfektion vorführen, würde ich mich schwer verletzen. Das fehlende Prozent ist der unfallfreie Weg auf die Wettkampfmatte.
Der Wettkampf bei der RSG – nein, das steht in diesem Fall nicht für Riemengetriebener Starter-Generator, auch nicht für Radikaldemokratische Studentengruppen oder das von der Polizei verwendete Reizstoffsprühgerät – ist eine echte Show, akustisch und visuell beeindruckend, live in der Halle, mit einem frenetischen Publikum in Originallautstärke noch mal eine ganz andere Nummer als am TV-Schirm. Es war mitreißend und teilweise atemberaubend. Ich kann es ehrlich sagen: eine der größten Überraschungen meines Berufslebens. Es war mitreißend. Ich war total beeindruckt.
Mein persönlicher Medaillenspiegel der Spiele von Paris
Dreieinhalb Lehrstunden durch eine 17-jährige Schülerin. Danke dafür, Darja! Und für das Gold natürlich.
Mein Medaillenspiegel am Ende dieser Spiele:
3 x Gold
6 x Silber
1 x Bronze
Das coolste Gold war das der furiosen und super-sympathischen 3×3-Frauen, das imposanteste die One-Man-Show von Einer-Ruderer Oliver Zeidler.
Und sonst noch so? Sport ist immer auch Statistik.
19 verschiedene Sportarten gesehen, vier Blasen gelaufen
Ich habe in Paris 19 verschiedene olympische Sportarten live erlebt. Von 32. Kann sich sehen lassen. Im Gegensatz zu meinen Füßen. Vier Blasen habe ich mir gelaufen. Kein Wunder. Bei rund 250 per pedes abgerissenen Kilometern in den zweieinhalb Wochen. Die Bettwanzenbisse habe ich irgendwann nicht mehr gezählt.
Obwohl ich eine ganze Tube Sonnencreme verbraucht habe, hatte ich viermal Sonnenbrand, dafür im hohen zweistelligen Bereich Gänsehaut – und nur zu einem geringen Prozentsatz aufgrund der auf Kühlschranktemperatur heruntergeregelten Arenen und Medienarbeitsbereiche. Sensation: keine Erkältung!
Sprachbarrieren und Unterhosen
Ich bin mit sieben der 14 Metro-Linien durch Paris gefahren, habe fünf Shuttle-Bus-Verbindungen genutzt, drei Straßenbahnlinien und einmal das Fahrrad (im Olympischen Dorf). Alle der fünf eingepackten Unterhosen habe ich gebraucht. Habe geschätzt 1000 Volunteers nach dem Weg gefragt, 999 Mal ein Lächeln bekommen und 500 Mal einen hilfreichen Hinweis (die maue Quote ist ein Ergebnis aus den Englisch-Kenntnissen der Franzosen und meinen Französisch-Talent und hat die bereits erwähnten Gesamtkilometer per pedes hochgetrieben). Ein Selfie mit dem Bundeskanzler habe ich gemacht, dessen Bitte ich einfach nicht abschlagen konnte, obwohl meine Frisur nicht saß – im Gegensatz zu seiner. Das mit der Anzahl der Unterhosen war natürlich ein Scherz!
Zwei College-Blöcke habe ich vollgekritzelt und dabei zwei Kugelschreiber leergeschrieben. Apropos leergeschrieben. So fühle ich mich jetzt. Bis obenhin voll mit Erlebnissen, Eindrücken und Glücksgefühlen, aber gleichzeitig alle. Höchste Zeit, den Akku aufzuladen und mal die Füße hochzulegen.
Ich werde mich wie Gold-Darja belohnen
Darja Varlofomeev hat auf die Frage, womit sie sich denn nach ihrem Triumph, der harten Olympiavorbereitung, ihrer ultra-disziplinierten Lebensweise und all den Entbehrungen in ihrem Teenager-Leben jetzt belohnen werde, nach kurzem Nachdenken fröhlich geantwortet: „Ich werde mich eine Woche nicht dehnen.“ Gute Idee eigentlich, werde ich in der Nach-Olympia-Woche auch so machen. Von den Besten lernen.
Au revoir… et merci, Paris! Fini.