„Ich wollte nicht mehr da sein“: Olympiasiegerin spricht über Selbstmord-Gedanken
Die Leichtathletik-Welt erlebte in Paris eine der größten Überraschungen der Olympischen Spiele, als die Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye völlig unerwartet die Goldmedaille für Deutschland gewann. Niemand hatte mit diesem Triumph gerechnet – selbst die optimistischsten Stimmen gingen allenfalls von einer Medaille aus, aber Gold war für viele jenseits des Vorstellbaren. Doch am Freitagabend der vergangenen Woche setzte Ogunleye im letzten Versuch im Stade de France ein Zeichen: Mit einem Stoß von exakt 20 Metern übertraf sie ihre eigene Bestleistung und sicherte sich den Sieg, der sie und viele ihrer Unterstützer zu Tränen rührte. Dabei hat sie selbst eine extrem schwere Zeit hinter sich.
Seit diesem unglaublichen Erfolg steht Ogunleye im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Ihr Vorname, Yemisi, bedeutet in der Sprache des Yoruba-Stammes „Gott hat dich geehrt“ – ein Name, der heute passender denn je erscheint. „Es ist überwältigend, ich habe kaum Zeit, das alles zu verarbeiten,“ erzählt die gläubige Athletin der „Welt am Sonntag“. An ihrer Seite ist stets ihre Trainerin Iris Manke-Reimers, die sie auf diesem außergewöhnlichen Weg begleitet hat. Ihre Goldmedaille trägt Ogunleye immer bei sich, seit sie ihr überreicht wurde.
Ogunleye: „Wahrnehmung hat sich komplett verändert“
Ogunleye beschreibt die Veränderungen in ihrem Leben nach dem Olympiasieg als tiefgreifend. „Vor allem die Wahrnehmung durch andere hat sich komplett verändert. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen jetzt meine Geschichte kennen und mehr darüber wissen wollen. Aber ich gehe alles Schritt für Schritt an, um nicht von den vielen Eindrücken überwältigt zu werden,“ sagt sie.
Die 25-jährige Athletin scheint ihren Erfolg selbst noch nicht ganz realisiert zu haben. „Jedes Mal, wenn ich die Wettkampf-Videos anschaue, besonders den letzten Stoß, bin ich erstaunt, dass ich es war, die auf der größten Sportbühne der Welt Gold gewonnen hat. Es fühlt sich immer noch surreal an,“ gibt sie zu.
Kugelstoßen war nicht Plan A für Ogunleye
Interessanterweise wollte Ogunleye ursprünglich gar nicht Kugelstoßerin werden. Sie begann ihre sportliche Laufbahn im Turnen, was sich später als Vorteil für ihre Beweglichkeit erwies. Durch ihre musikalische Erziehung in der Kirche entwickelte sie zudem ein starkes Rhythmusgefühl, das ihr im Sport zugutekam. Doch erst nach mehreren Verletzungen fand sie ihren Weg zum Kugelstoßen – ein Weg, der sie letztlich zu Olympiagold führte.
Der Weg dahin war jedoch alles andere als einfach. Als Teenager kämpfte Ogunleye mit Selbstzweifeln und Mobbing, insbesondere wegen ihrer Hautfarbe und ihres Aussehens. „Als Kind wurde ich oft wegen meiner Hautfarbe, meiner Haare und meiner Größe gemobbt. Das war eine schwierige Zeit,“ erinnert sie sich. „Ich hatte oft
dunkle Gedanken, fühlte mich häufig einsam und verloren. Es gab Klassenkameraden, die mich zeitweise jeden Morgen vor der Schule abfingen, um mir schlimme Worte an den Kopf zu knallen – wie ,Die Schwarze ist wieder da’ oder ,Was will denn die Schwarze hier’ und vieles mehr. Es kam auch zu Handgreiflichkeiten, ich wurde oft einfach hin und her geschubst.“
Olympiasiegerin Ogunleye dachte an Selbstmord
Diese „dunklen Gedanken“ gingen sogar noch weiter. „Ich wollte nicht mehr da sein“, gesteht Ogunleye und bejaht eine Nachfrage über Suizidgedanken: „Wenn du immer wieder zu hören bekommst, dass etwas mit dir nicht stimmt, du nichts taugst, nichts wert bist, dann fragst du dich zu gegebener Zeit schon, warum bist du eigentlich noch hier. Denn du fehlst doch nicht, so wie die Menschen mit dir umgehen.“
Der Glaube half ihr schließlich, diese dunklen Zeiten zu überwinden. „Ich hörte eine sanfte Stimme, die mir sagte, dass ich geliebt werde und dass es einen Plan für mein Leben gibt. Das hat mir geholfen, neuen Lebensmut zu fassen. Ich habe gelernt, solche Kommentare nicht mehr an mich heranzulassen. Früher hat mich das sehr getroffen, aber heute stehe ich darüber,“ erklärt Ogunleye.
Ogunleye: „Freue mich, wieder im Chor zu singen“
Mit ihrem Triumph hat Yemisi Ogunleye nicht nur sich selbst, sondern auch unzähligen anderen Menschen Mut gemacht. Sie zeigt, dass selbst die größten Hindernisse überwunden werden können und dass Glaube und Durchhaltevermögen letztlich zum Erfolg führen können. Wie ihre Zukunft aussieht, lässt Ogunleye offen. Zunächst möchte sie ihren Sieg in aller Ruhe genießen und wieder ihrem Hobby, dem Singen im Gospelchor, nachgehen. „Ich freue mich sehr darauf, wieder im Chor zu singen. Das ist etwas, das mir viel bedeutet.“
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Yemisi Ogunleye, die in Bellheim in der Pfalz aufgewachsen ist, hat eine lange und ungewöhnliche Reise hinter sich. Von den ersten sportlichen Schritten im Turnen über die schwierige Zeit der Verletzungen bis hin zu ihrem sensationellen Erfolg in Paris – ihre Geschichte ist eine Inspiration für viele und zeigt, dass selbst die größten Träume wahr werden können.