Der tödliche schwarze Schwan von Sizilien
Das letzte Foto, aufgenommen an Deck der Superyacht „Bayesian“, sieht aus wie eine Postkarte. Das ruhige tiefblaue Tyrrhenische Meer, dahinter die untergehende Sonne über Porticello, Sizilien. Fast kitschig.
Wenige Stunden später, nach einem „Monster-Tornado“, wie ihn selbst die britisch korrekte „Times“ aus London nennt, liegt die Yacht in 48 Metern Tiefe auf dem Grund der See. An Bord befinden sich mehrere Leichen. Sechs der zwölf Passagiere, darunter kleine Kinder, und neun Crewmitglieder entkamen nur knapp dem Tod.
Der Segelurlaub war das Dankeschön des britischen Tech-Tycoons Mike Lynch für seine Rechtsanwälte, die ihn in einem fiesen Rechtsstreit um den Verkauf seiner Software-Firma in den USA vertreten hatten. Er selbst und seine Tochter sind unter den Opfern.
Art des Dramas beunruhigt Seefahrtexperten
Die Art des Dramas beunruhigt Seefahrtexperten. Aufnahmen einer Überwachungskamera im Hafen zeigen, wie schnell die 56 Meter lange Superyacht „Bayesian“ verschwand. In weniger als 60 Sekunden. Als hätte das Meer die große Yacht mit einem 72 Meter hohen Mast einfach verschluckt. Ohne jede Vorwarnung.
„Wir haben es nicht kommen sehen“, sagt James Catfield, der neuseeländische Kapitän, im Krankenhausbett. Der Wetterbericht hatte mögliche Unwetter angekündigt, aber nichts, was jemanden an Bord eines solch großen Schiffes beunruhigen sollte.
Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.
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Was sich dann im Tornado abspielte, schildert die Engländerin Charlotte Golunski (35), die mit ihrem Ehemann, ihrer einjährigen Sophia und Kollegen an Bord war, in der italienischen Zeitung „La Repubblica“: „Wir wurden von Donner, Blitzen und Wellen geweckt. Es fühlte sich an wie das Ende der Welt.“ Als sie mit ihrem Kind in eine Rettungsinsel sprang, verlor sie die Kleine für einige Sekunden im Wasser.
Zum Helden wurde der deutsche Kapitän Karsten Börner, der mit einem Segelschiff in der Nähe war. Er sah eine rote Leuchtrakete, die einen Notfall signalisiert, und hielt mit seinem Ersten Offizier darauf zu. Als Erste entdeckten sie im Brüllen des Sturms das Rettungsboot mit 15 Menschen, drei von ihnen schwer verletzt.
18 Wasserhosen vor Italiens Küste an einem Tag
„Schwarzer Schwan“ nennen Wetterexperten Ereignisse, die unvorhersehbar sind und schwere Folgen haben. Durch die Erwärmung des Klimas heizt sich das Mittelmeer auf. In bestimmten Wetterkonstellationen entstehen Wirbelstürme – und sie werden stärker. Am 19. August allein registrierte man 18 Wasserhosen vor der Küste Italiens.
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Taucher berichten, dass das Wrack der „Bayesian“ intakt ist. „Dieses Schiff war einfach im falschen Moment am falschen Ort“, zitiert die „Times“ einen sizilianischen Ermittler. So „einfach“ ist das für Seeleute und Segler in dieser Region aber nicht.
Wann ist künftig eine falsche Zeit und wo ein „falscher Ort“?