Alexandra Amanatidou (29) fragt sich: Darf man sich über die Lockerungen freuen?
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  • Foto: Patrick Sun

Corona-Lockerungen: Wieso ich jetzt meine zweite Pubertät erlebe

Die erste Bar besuchen, neue Menschen kennenlernen und bis spät in die Nacht unterwegs sein: Das erlebte ich alles in der Pubertät. Die liegt schon ein wenig zurück, ich bin jetzt 29. Doch seit die Corona-Einschränkungen immer weiter gelockert werden, herrscht in mir der gleiche Entdeckergeist und eine unaufhörliche Euphorie. Aber: Ist das eigentlich in Ordnung?

Wir sind zu fünft unterwegs und fahren mit der U-Bahn. Es ist relativ spät am Abend und wir wollen ein Bier im Park trinken. Im Wagon vor uns tanzt eine Gruppe wild herum. „Wollen wir hin?“, frage ich eine Freundin. Sie zögert für ein paar Sekunden, lächelt mich an und sagt: „Klar!“. An der nächsten Haltestelle quatschen wir die Leute an. Wir tanzen ein bisschen mit, machen Smalltalk und steigen letztendlich aus.  

Seit den Lockerungen fühlt sich jeder Abend wie ein neues Abenteuer an. Ich entdecke die Stadt neu und freue mich allein deswegen so sehr darüber, weil mir der Tag mehr als nur Homeoffice und einen Spaziergang im Park bringen wird.  

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So trug ich ein breites Grinsen im Gesicht als ich zum ersten Mal seit Monaten keinen negativen Test vorweisen musste, um im Außenbereich eines Restaurants zu sitzen. Beim ersten Europameisterschaftsspiel, wo die Cafés Public Viewing angeboten hatten, dachte ich mir: „Endlich! Zurück zur Normalität“. 

Dabei lässt mich ein Gedanke nicht los: Darf man diese Normalität und diese Euphorie genießen, oder sollte man sich vor Corona weiterhin fürchten?  

Der Mensch ist ein soziales Wesen  

„Es war eine depressive Zeit“, sagt ein Freund und bezieht sich auf die vergangenen Monate, wo mehr oder weniger alles geschlossen war und wir nichts unternehmen konnten, außer in die Küche zu sitzen und Brettspiele zu spielen. „Wäre nicht Corona, dann würden wir so viele Reisen machen. Wir würden ins Schwimmbad gehen oder in Bars“, sagten wir immer wieder, um uns den Abend zu verderben.  

Seit Monaten kursieren in den Medien Reportagen zum Thema psychische Gesundheit und die folgen der Corona-Pandemie. Studien, unter anderem auch die „NAKO Gesundheitsstudie“ – Deutschlands größtes Forschungsprojekt zur Gesundheit der Allgemeinbevölkerung – belegen, dass Angststörungen und Depressionen während der Pandemie in der Bevölkerung zugenommen haben. Betroffen sind nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche.  

Ich denke an das, was der antike griechische Philosoph Aristoteles gesagt hat: „Der Mensch ist ein soziales, politisches Wesen“, auf Griechisch „Zoon politikon“. Gemeint ist damit, dass der Mensch sich von Natur aus nach gesellschaftlicher Nähe sehnt.  

Somit ist es kein Wunder, dass nicht nur ich, sondern auch viele andere, seit den Lockerungen so euphorisch sind. Nach einem so langen Winter, der in Hamburg gefühlt bis Ende Mai ging, will ich einfach unterwegs sein und die Zeit genießen. 

Inzidenzen sind niedrig, ist damit alles Paletti?   

Gleichzeitig spüre ich aber auch eine Angst. Die Angst, dass die Zahlen wegen der Delta-Mutation wieder rasant steigen werden.  

Die als hoch ansteckende Variante breitet sich jetzt schon in Teilen des Landes aus, wie etwa in Hessen. Dort liegt der Anteil an den entdeckten Infektionen laut aktuellsten Berichten schon bei 20 Prozent. Tendenz steigend. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, sagte in der wöchentlichen Pressekonferenz: „Es ist keine Frage, ob Delta die führende Variante wird, sondern wann“. Wenn es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Lockdown möglicherweise wieder kommt, dann sollen wir die Zeit bis dahin genießen, oder? Klingt egoistisch? Ist es vermutlich auch.  

„Ärzte und Krankenschwestern haben während der Pandemie Non-Stop gearbeitet. Wir sollten das respektieren“, sagte eine Freundin zu mir. Treffen in kleinen Gruppen und mit negativem Test findet sie in Ordnung, aber eben keine wilden Partys. Tatsächlich machten wir zur Sicherheit vor unser Treffen einen Schnelltest.

Der Abend ist lang geworden und es ist mittlerweile kurz nach Mitternacht. Wir sitzen auf dem kleinen Hügel im Park Fiction, St. Pauli, und werfen unseren Blick auf die Hafenkräne. Es ist warm, die Gruppe neben uns hört Musik und ab und zu kann man Möwen schreien hören.  

Ich trinke das letzte Bier für den Abend und denke dabei: Soll man sich wegen der Delta-Variante den schönen Sommer verderben lassen? Natürlich nicht! Aber man sollte auch nicht direkt eskalieren und gar keine Rücksicht auf das Virus nehmen. Denn sicher ist sicher. Und keine:r möchte den Sommer in Quarantäne oder im Krankenhaus verbringen.  

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