„So richtig St. Pauli-like“: Kiezkicker feiern starke Nullnummer gegen RB Leipzig
Dem ersehnten Abpfiff folgte der kollektive Jubelschrei im Millerntorstadion, an dem sich einige Spieler beteiligten. Andere sanken entkräftet auf den Rasen, Keeper Nikola Vasilj reckte triumphierend die Faust in den flutlichterhellten Abendhimmel. Mannschaft und Fans feierten den ersten Punktgewinn in der Bundesliga. Das 0:0 gegen Spitzenklub RB Leipzig war eine Erlösung. Sogar ein Dreier war drin für die starken Kiezkicker, die mehr Chancen und auch die besseren hatten. Am Ende des mit Abstand besten Saisonspiels war das Remis ein gefühlter Sieg. Vom Gegner gab es viel Lob.
Erschöpft, erleichtert, auch glücklich – aber nicht zu hundert Prozent und auch nicht alle. „Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir sind nicht zufrieden damit. Wir sind natürlich glücklicher mit unserer Performance“, fasste Kapitän Jackson Irvine die Partie zusammen. Es war die richtige Antwort auf das 1:3 in Augsburg in der Vorwoche, insbesondere die schwache erste Halbzeit. „Heute haben wir alle unser Bestes gezeigt. Wir haben Chancen kreiert und hätten das Spiel eigentlich gewinnen müssen.“
Eric Smith freut sich über „massiven Schritt nach vorn“
Der erste zählbare Erfolg im vierten Versuch tat verdammt gut, das war zu spüren. „Das war ein massiver Schritt nach vorne“, urteilte Abwehrchef Eric Smith. Ausgerechnet gegen den DFB-Pokalsieger und Champions-League-Teilnehmer gelang die Punkt-Premiere – und sie war hochverdient. Die Kiezkicker waren über die 93 hochintensiven Minuten im sehr stimmungsvollen und mit 29.251 Zuschauenden gefüllten Millerntorstadion (nicht ausverkauft, weil der Gästeblock nicht ganz voll war) die insgesamt bessere, aktivere, fleißigere und mutigere Mannschaft und hätte den Sieg mehr verdient gehabt.
„Für uns war es extrem wichtig, gerade nach der letzten Woche, ein anderes Gesicht zu zeigen“, betonte Innenverteidiger Hauke Wahl und gab ein dickes Lob ans Publikum. „Es war eine unfassbare Stimmung, die uns getragen hat, gerade als es in der zweiten Halbzeit ein bisschen schwerer war. Die Fans haben uns extrem unterstützt. Wir haben heute zum ersten Mal in dieser Saison so richtig St. Pauli-like gespielt, waren eklig in den Zweikämpfen, haben immer wieder Nadelstiche gesetzt. Trotzdem war es nur der erste Schritt – aber es fühlt sich gut an!“
St. Pauli startet stark gegen RB, ist die bessere Mannschaft
Das andere Gesicht, von dem Wahl sprach, war von Anpfiff an zu sehen. Auch an der Aufstellung – eine Umstellung. Weil Mittelstürmer Morgan Guilavogui noch nicht wieder ganz fit war, baute Trainer Alexander Blessin die Startelf um, brachte Elias Saad und Oladapo Afolayan auf den Flügeln, die mit dem enorm fleißigen und spielstarken Johannes Eggestein einen immer gefährlichen Dreier-Sturm bildeten. Im zentral-defensiven Mittelfeld fiel der Platz des verletzten Robert Wagner weg.
Die erste Halbzeit gehörte den Gastgebern. Griffig, kompakt und einsatzfreudig gegen den Ball, dazu mutig, immer wieder druckvoll und auch gefährlich mit der Pille. Wie erwartet hatten die favorisierten Leipziger, die am Donnerstag in der Königsklasse bei Atletico Madrid mit 1:2 verloren hatten, mehr Ballbesitz, aber auch die Kiezkicker hatten immer wieder gute Ballbesitzphasen und erspielten sich Chancen.
Schon nach drei Minuten war St. Pauli zweimal gefährlich im RB-Strafraum aufgetaucht. Eggestein (5.) und der quirlige Saad (17.) prüften Leipzigs Keeper Gulasci. Die größte Chance ließ kurz darauf Jackson Irvine ungenutzt, der den Ball per Kopf nach einer weiten Ecke und einer Kopfballvorlage von Hauke Wahl im Flug über die Querlatte nickte (18.).
Jackson Irvine trauert vergebenen Torchancen nach
Das hätte die verdiente Führung sein können, eigentlich müssen. Auch Irvines Kopfball nach der feinen Flanke von Manolis Saliakas verfehlte die Kiste (35.) und kurz vor dem Pausenpfiff waren es die Fingerspitzen von Gulasci, der mit einer Großtat den Linksschuss von Dapo Afolayan (42.) entschärfte und dann auch noch den Nachschuss aus spitzem Winkel von Eggestein.
„Leider habe ich sie heute nicht reingemacht. Ich bin sehr enttäuscht über die beiden Gelegenheiten“, bekannte Irvine. „Eigentlich sind das exakt die Situationen, in die ich kommen möchte.“ Es wäre spannend gewesen, wie St. Pauli mit der ersten Führung der Saison agiert und RB reagiert hätte.
Hinten und vorne war es eine Klasse-Leistung in den ersten 45 Minuten. 11:4 Torschüsse, 9:7 Flanken, 2:0 Ecken. Das einzige, das fehlte war das Tor. Die Belohnung für all die Mühen.
Vasilj auf dem Posten, Fans mit Standing Ovations
Nach der Pause blieben die Braun-Weißen zunächst am Drücker, erspielten sich weitere Chancen, mussten dann aber tief durchatmen, als St. Paulis sehr sichere Nummer eins Nikola Vasilj einen gefährlichen Schuss von Baumgartner parierte (60.). In der Folge übernahmen die Leipziger immer mehr die Spielkontrolle und die „Boys in Brown“, bei denen langsam die Kräfte schwanden, kamen immer seltener zu Entlastungsphasen. Dennoch standen sie in der Restverteidigung sicher und ließen kaum gefährliche Abschlüsse der Gäste zu, denen offensiv aber auch nicht allzu viel einfiel.
In den letzten Minuten des Spiels gab es Standing Ovations und minutenlange „Allez, allez, allez St. Pauli!“-Gesänge, die beinahe in einem Torschrei mündeten, doch der eingewechselte Scott Banks brachte den Ball weder aufs Tor noch zum mitgelaufenen Saad (90.+2). Den kollektiven Jubelschrei gab es dann beim Abfiff.
Trainer Blessin zufrieden – RB-Coach Rose lobt St. Pauli
„Es war genau die Reaktion, die wir sehen wollten nach der ersten Halbzeit in Augsburg, wo wir ein bisschen Angsthasen-Fußball gespielt haben“, bilanzierte Blessin zufrieden. „Vor allem freut mich, dass es eine wahnsinnige Intensität war. Bis zum Schluss sind wir immer wieder drangeblieben und haben selber auf das Tor gespielt.“ Es sei „kein ganz perfekter Tag“, so der Coach, aber das defensive Zu-Null nehme St. Pauli gerne mit. „Wir haben kompakt gestanden und gegen ein Champions-League-Team wenig Chancen zugelassen“, hob er hervor. „Das ist die Basis, und irgendwann wird dann auch vorne ein Tor reinrutschen. Das gibt Selbstvertrauen für die nächsten Wochen.“
Lob gab es auch von seinem Pendant auf Leipziger Seite. „Wir haben gegen einen starken Gegner gespielt, aber das haben wir auch erwartet“, sagte RB-Coach Marco Rose. „Sie waren sehr gut organisiert und aggressiv, hatten zwei, drei Topchancen und wir mussten höllisch aufpassen.“ Und überhaupt: „Ich glaube, dass sich hier noch einige Mannschaften schwer haben werden.“
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Jetzt geht es für die Kiezkicker aber erst einmal auf eine lange Auswärtsreise. Am kommenden Samstag tritt St. Pauli beim stark gestarteten SC Freiburg an, derzeit Tabellendritter. Mit einer frischen Portion Selbstvertrauen im Gepäck.