Hape Kerkeling über Zeit „in der Hölle“ – und die Verwandschaft mit King Charles
In seinem neuen Buch enthüllt Hape Kerkeling, dass er der wahre „Willi Windzor“ ist. Zudem erzählt er über seinen ersten Geliebten in Amsterdam und „das zweite große Drama“ seines Lebens.
Hape Kerkeling ist ein PR-Genie. Eine Woche vor der Veröffentlichung seines neuen Buchs „Gebt mir etwas Zeit“, das heute erscheint, enthüllte er in Interviews schon mal eine sensationelle Neuigkeit: Demnach soll er der Urenkel des britischen Königs Edward VII. (1841–1910) sein. Ausgerechnet er, der sich einst mit einer Königin-Beatrix-Persiflage ins kollektive Gedächtnis einbrannte und in der Fernsehkomödie „Willi und die Windzors“ einen vergessenen Spross der Royals in deutschen Landen verkörperte.
Kerkeling betreibt Ahnenforschung – und hat blaues Blut?
Eigentlich handelt das neue Buch von Kerkelings Hobby, der Ahnenforschung. Dabei geht es darum, den Stammbaum der eigenen Familie möglichst weit in die Vergangenheit zurückzuverfolgen – eine Leidenschaft, die der 59 Jahre alte Komiker und Entertainer mit vielen Menschen teilt. Während diese allerdings meist nichts anderes zutage fördern als spröde Tagelöhner, Bedienstete und Mägde, gräbt der gebürtige Recklinghäuser einen überaus illustren Kreis an Ahnherren aus. Allen voran natürlich den König von England. Dieser ist – so Kerkelings Überzeugung – der Vater seiner Ruhrgebiets-Oma Bertha.
Wie genau hat er das rausgekriegt? Nun, er hat in einer alten Wiener Zeitung den Hinweis gefunden, dass Edward im August 1903 zu einem Kuraufenthalt im böhmischen Marienbad weilte. „Ziemlich genau neun Monate später wird meine Großmutter als uneheliche Tochter ihrer Mutter Agnes dort geboren.“ Wer will da an Zufall glauben? Zumal ihn eine Frau aus der böhmischen Heimat seiner geliebten Oma Bertha in einem handgeschriebenen Brief schon vor langer Zeit darauf hingewiesen hat, dass Berthas Mutter blaublütiger Abstammung sei. Immerhin: Ansprüche auf die britische Krone erhebt Kerkeling nicht. „Mein entfernter Neffe Charles macht seine Sache doch bravourös!“ Am britischen Königshof kann demnach aufgeatmet werden.
Stammbaum enthüllt: Kerkeling und die niederländischen Oligarchen
Übrigens spielt die ganze Royal-Geschichte in dem 370 Seiten starken Buch nur eine untergeordnete Rolle. Die meiste Zeit geht es um Kerkelings Vorfahren in den Niederlanden, insbesondere in Amsterdam, der Stadt, mit der er sich seit Kindertagen „schicksalhaft verbunden“ fühlt. Und auch diese Vorfahren sind natürlich nicht einfach irgendwelche dahergelaufenen Matrosen, Käsehändler oder Kneipenwirte gewesen, sondern gehörten nach Kerkelings Recherchen zur absoluten Elite, nämlich zur winzigen Oligarchie der Großkaufleute des niederländischen Goldenen Zeitalters. Aus diesem Grund posiert der Autor auf dem Buchtitel auch wie ein von Rembrandt porträtierter Patrizier.
Zum Glück erzählt Kerkeling zwischendurch immer wieder auch aus seinem eigenen Leben. Dabei setzt er ungefähr da ein, wo er bei seinen Kindheitserinnerungen „Der Junge muss an die frische Luft“ aufgehört hat. Während er in diesem später auch verfilmten Bestseller über den Suizid seiner an Depressionen erkrankten Mutter berichtete, breitet er nunmehr „das zweite große Drama“ seines Lebens aus.
Das liberale Amsterdam: Zufluchtsort für Schwulenszene in den 1980er Jahren
Dieser Handlungsstrang hat auch wieder eine Verbindung zu Amsterdam. Denn als er in den 80er Jahren mit gerade mal Anfang 20 in Deutschland zum Fernsehstar wird, nutzt er jede Gelegenheit, um nach Amsterdam zu entfliehen. In der liberalen Metropole kann er sein Schwulsein offen leben. 1987 trifft er dort in einem Club seine große Liebe Duncan: „Das Lächeln in Kombi mit den strahlend blauen Augen zwingt mich fast in die Knie. O mein Gott, ist dieser Mann schön!“ Vor der ersten gemeinsamen Nacht ist ihm „schlecht vor Aufregung und Vorfreude, aber auch vor Angst“. Denn es ist die Hoch-Zeit von Aids. „Im Hinterkopf küsst bei mir die Mahnung vor dem Todesvirus mit, und ich analysiere parallel mein eigenes Verhalten auf mögliche Sicherheitsmängel.“
Nach einiger Zeit verfliegen die Bedenken, es entwickelt sich eine wunderbare Beziehung – Duncan erweist sich als „unendlich liebevoller und zärtlicher Mann“. Doch dann muss er seinem „Petertje“ eines Tages unter Tränen berichten, dass er sich tatsächlich mit HIV angesteckt hat. Ein furchtbarer Schock – zumal Kerkeling befürchten muss, sich ebenfalls infiziert zu haben. „So viel Zeit wie möglich verbringe ich nun mit Duncan in Amsterdam. Zwischendurch muss ich immer wieder – gut gelaunt – Fernsehauftritte bewerkstelligen. Keine Ahnung, wie ich das schaffe. Innerlich gehe ich täglich und nächtlich durch eine Hölle.“ Als er schließlich die erlösende Nachricht bekommt – sein Test ist negativ – nimmt er das als Ausweis „von göttlicher Gnade“. Duncan weint vor Freude, als er es hört.
Hape und die Angst vor dem HIV-Virus
Doch nun muss Kerkeling den schnell fortschreitenden Verfall seines geliebten Partners miterleben – die Ärzte stehen der Krankheit zu dieser Zeit noch fast machtlos gegenüber. „Nach meinen Besuchen in Amsterdam breche ich in meiner Düsseldorfer Wohnung regelmäßig zusammen.“ Eine bittere Erfahrung ist auch, dass sich viele alte Freunde von Duncan abwenden. Und ähnlich wie später in der Corona-Pandemie gibt es auch zu dieser Zeit schon Leute, die die Existenz der Seuche schlicht leugnen. Eine neue Wendung nimmt das Geschehen dadurch, dass Duncans Freund Kees den Sterbenden bei sich aufnimmt – aber nur unter der Bedingung, dass dessen deutscher Partner (auf den er eifersüchtig ist) das Haus nicht betritt.
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Hape Kerkeling beschreibt diese dramatischen Geschehnisse aus seiner Jugend ebenso fesselnd wie reflektiert und liebevoll. Mehr davon – und weniger Vorfahren-Fiktion im Stil eines historischen Romans – hätte dem Buch gut getan. Unterm Strich bleibt dem Autor eine Erkenntnis, die er mit vielen Familienkundlern teilt: „Der Deutsche kommt aus dem Ausland! Nämlich aus all seinen Nachbarländern und angrenzenden Regionen. Wenn Sie so wollen, ist der Deutsche ein polnischer Holländer aus Mailand mit französischen und schwedischen Großeltern aus Bern, einer jüdischen Tante aus Sankt Petersburg und einem serbischen Onkel aus Wien.“