TV-Star Helmut Zierl wird 70: Serienheld mit Tiefgang
Nach mehr als 300 Filmen in ARD und ZDF ist Helmut Zierl einer der beliebtesten deutschen Serienstars – mit Rollen zwischen „Traumschiff, „Tatort“ und „Traumhotel“. Bei alledem haftet dem Schauspieler und Ex-Ehemann von Kollegin Christine Zierl (62, „Hundswut“), alias Dolly Dollar, noch immer das Image eines Schwiegermutter-Schwarms an, den man eher in leichten als in tiefgründigen Rollen erlebt.
Doch das wird Zierl, der am Sonntag (6. Oktober) in seinem Heimatort Lütjensee seinen 70. Geburtstag feiert, keinesfalls gerecht. Wurde er doch etwa 2019 für seine Darstellung des verzweifelten Familienvaters Willy Loman in Arthur Millers Bühnendrama „Der Tod eines Handlungsreisenden“ mit gleich zwei Preisen geehrt.
Schauspieler Helmut Zierl: Gefährliche Lebenskrise
Und lange davor war der in Meldorf geborene und in Lütjensee (beides Schleswig-Holstein) groß gewordene Polizistensohn durch eine gefährliche Lebenskrise mit Sex und Drogen gegangen. Von dieser Zeit hat Zierl bereits 2020 in seinem Buch „Follow The Sun – Der Sommer meines Lebens“ (Verlag Bastei Lübbe) berichtet. Nach 120 Lesungen geht er damit noch immer auf Tour. Und auch das Geburtstagsgespräch mit der Deutschen Presse-Agentur – auf seinen Wunsch auf einem Traditions-Bootsanleger an der Hamburger Außenalster – kreist quasi automatisch um dieses Erlebnis. Weil es ihn bis heute prägt.
Dabei sieht der 69-jährige Vater zweier Söhne aus der Ehe mit Christine braun gebrannt und munter aus. Gerade ist er zurück aus seinem Ferienhaus in der Camargue – dort, wo Südfrankreich noch ursprünglich ist. Aus der Sonne eben, die er auch 1971 voller Freiheitsdrang anstrebte: Als er als langhaariger 16-Jähriger – wegen Haschisch-Kleinhandels vom Gymnasium geflogen und vom Vater hinausgeworfen – mit Rucksack und 200 Mark an der Autobahn trampte. Um doch in Brüssel und Amsterdam zu landen. Und in Kreise zu geraten, die an die Substanz gingen – samt Junkie-WG mit Musik von Pink Floyd bis Led Zeppelin sowie vier Drogentoten – darunter einem Mädchen, in das er verliebt war.
„Als 16-Jähriger war ich plötzlich autonom und auf Augenhöhe mit allen, die mir begegneten. Man lernte auch voneinander. Ich war über Nacht erwachsen geworden“, sinniert Zierl in Hamburg bei Kaffee und Obstkuchen. Ein Stadtstreicher, der sich später vor einen Zug warf, war damals auch dabei – und ein Pastor, der sich um Obdachlose kümmerte. „Da gehörte ich ja dazu. Noch heute kann ich kaum an einem Stadtstreicher vorbeigehen, ohne ihm etwas zu geben. Denn jeder Einzelne ist ein Gebrochener und hat sein Schicksal“, sagt Zierl, der als Jugendlicher selbst Pastor hatte werden wollen. Als die Drogen in Amsterdam immer härter wurden, zog der Norddeutsche nach drei Monaten mit seinem „letzten Stück Restmoral“, wie er sagt, die Reißleine und kehrte nach Hause zurück. Um das Erlebte erst mal zu verarbeiten.
70. Geburtstag: Den roten Faden gefunden
Doch bald traf der 17-Jährige zufällig einen Freund, der ihm von seiner Schauspielschule vorschwärmte. Spontan bewarb sich Zierl an drei Schulen in Hamburg – und wurde trotz chaotisch verlaufenem Vorsprechen angenommen. „Von da an hatte ich meinen roten Faden“, erklärt er. Die Möglichkeit, Charaktere zu gestalten, sei das Ausschlaggebende gewesen. Was er dagegen nicht gewollt habe: „Der übliche Weg ist ja, nach kurzer Kindheit mit sechs in die Schule zu kommen, am besten Abitur und Studium oder eine gute Ausbildung zu machen, bis 65 zu arbeiten – und dann wieder in der Kindheit anzukommen und freizuhaben. So ein Leben wollte ich auf keinen Fall.“ Diese Erkenntnis habe ihm seine Hippie-Selbstfindungsphase vermittelt.
Daher plädiert der Künstler, der nach seiner Ausbildung einige Jahre fest bei der Landesbühne Hannover und am Thalia Theater Hamburg engagiert war, ganz allgemein für eine bewusste Suche nach sich selbst. „Ich würde jedem Menschen raten, wenn er in sich spürt, etwas anderes ausprobieren zu wollen, dem nachzugeben. Denn ich finde nichts schlimmer, als wenn man im Alter bereut, so etwas nicht ausprobiert zu haben“, sagt Zierl. Und das sei auf jeder Lebensstufe möglich.
Serienstar hört lange nicht auf: Neues Buch und ein Musical
Derzeit schreibt er über seine Rückkehr in die Gesellschaft und seine zunächst depressive Reflexionsphase ein Buch. Sozusagen die Fortsetzung von „Follow The Sun“. Aus jenem Stoff kreiert Zierl sogar ein Hippie-Musical, für das er einen Produzenten sucht – das Textbuch und acht Songs hat er bereits geschrieben.
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Der Schauspieler, der schon 256 Mal die Comicserien-Nervensäge Schlaubi-Schlumpf gesprochen hat, bedauert es, allzu oft in die Schublade „Serien-Star“ gesteckt zu werden. „Das ist eine bittere Erkenntnis, mit der ich inzwischen aber klarkomme.“ Immerhin hat er am Anfang seiner TV-Laufbahn in Lenz-, Keyserling- und Kempowski-Verfilmungen mitgewirkt. Und sich später neben Dreharbeiten zehn Jahre lang wieder dem Theater gewidmet, wozu Rollen in Florian Zellers Zeitgeistkomödie „Die Wahrheit“ (2011) und Moritz Rinkes bürgerkritisches Werk „Wir lieben und wissen nichts“ (2012) gehörten. Auf dem Bildschirm wünscht sich Zierl heute mehr Satirisches, würde auch dabei gern mitwirken. Ideen zu einer Art „Monaco Franze“ auf norddeutsch habe er – einem Heiratsschwindler in Hamburg.
Als Jugendlicher dagegen aufgelehnt: Das Familiäre hat ihn wieder
Über den runden Geburtstag hinaus hat sich der Künstler eines vorgenommen: „Einfach immer weiterzumachen – solange es geht und die Kreativität freigesetzt wird.“ Und nicht zuletzt widmet sich der Lütjenseer, der seit Langem mit der 30 Jahre jüngeren Sozialpädagogin Sabrina liiert ist, seiner Familie, zu der auch ein Ziehsohn gehört. „Wir sind alle ganz eng“, sagt er. Und fügt lächelnd hinzu: „Das Familiäre, wogegen ich mich als Jugendlicher aufgelehnt hatte, hat mich wieder sehr eingefangen.“