Warum führen wir Kriege? „Orestie I-IV“ im Thalia sucht Antworten auf große Fragen
Regisseur Nicolas Stemann befragt bei „Orestie I-IV“ im Thalia-Theater die Antike: Warum führen wir Kriege?„Jetzt kann endlich Frieden sein!“, heißt es mehrmals in dem Stück. Immer wenn wieder ein Feldherr, ein Vater, eine Tochter aus irgendeinem scheinbar wichtigen, triftigen Grund sterben musste, also ermordet worden ist. Aber Mord gebiert Mord, und Vergeltung schreit nach abermaliger Vergeltung. Der ewige Kreislauf und die Logik des Krieges sind so folgefalsch wie unvermeidlich. Können also die Stücke der alten Griechen uns etwas in unsere Gegenwart rufen, die so bestimmt ist von Krieg und Machtmissbrauch?
Regisseur Nicolas Stemann überprüft das in seiner neuen Inszenierung am Thalia-Theater, an das er nach jahrelanger Abwesenheit in der letzten Spielzeit von Joachim Lux noch einmal zurückkehrt. „Orestie I-IV“ ist ein Mash-up von vier Werken aus der klassischen Antike. Stemann hat aus den Texten von Sophokles, Aischylos und Euripides seine eigene Fassung der Geschehnisse rund um den Trojanischen Krieg gebildet, rund um die fehlbaren Götter, Halbgötter und Sterblichen Apoll, Agamemnon, Menelaos, Kassandra, Elektra, Klytaimnestra, Orest oder Helena.
Nach jahrelanger Abwesenheit zurück: Nicolas Stemann
Hier geht es um die großen Fragen, die den Staat, seine Herrschenden und seine Bürger beschäftigen und quälen. Wozu ist Krieg notwendig? Wann müssen wir Rache nehmen. Oder wäre es klüger, das ewige Morden ein für alle Mal zu beenden?
Die fünf Hauptdarsteller:innen – Barbara Nüsse, Sebastian Rudolph, Patrycia Ziolkowska, Julia Riedler und Sebastian Zimmler – besetzen mehrere Rollen und stellen auch einen Chor. Sie erklären und diskutieren über ihre Handlungen und deren Gründe, also besteht kaum Gefahr, sich gedanklich allzu sehr zu verheddern.
„Orestie I-IV“: Hier geht es um die großen Fragen
Die strenge Form ist nicht Stemanns Sache. Da gibt es Brüche, und das ein oder andere findet das Publikum mal unstimmig oder albern. Doch in der Inszenierung stecken so viele Ideen, und es passiert so viel auf der Bühne, dass sie selbst bei ihrer Nettospielzeit von drei Stunden nie langweilig wirkt.
Später darf das Publikum selbst abstimmen, ob der Muttermörder Orest vor einem ordentlichen Gericht verurteilt werden soll. Das Dilemma: Sie war es, die ihren Mann, seinen Vater gemeuchelt hat. Dieser Akt der direkten Demokratie aber stellt sich als eine Schein-Mitsprache heraus … Die letzten Worte schließlich hat Sebastian Rudolph als ein etwas erschöpfter Gott-Entertainer Apoll. Warum, fragt er uns, wollt ihr eigentlich immer so enthusiastisch Kriege führen? Damit lässt er uns allein, sein „Das wird schon“ zur Zukunft der Menschheit klingt leider nicht sehr optimistisch.
Thalia-Theater: 23.11. (16 Uhr), 24.11. (17 Uhr, 12-59 Euro, Tel. 32 81 44 44