Neuer Ministerpräsident in Thüringen: Im wilden Osten geht alles – außer Stabilität
Mario Voigt (CDU) ist in Thüringen zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Noch nie musste sich ein Landespolitiker auf ein so buntes und widersprüchliches Bündnis stützen. Stabilität kann dies auf Dauer kaum bringen.
Voigt und seine CDU hatten sich im Vorfeld mit der SPD und dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) auf eine Koalition geeinigt. Doch das genügte nicht. Zur Wahl im Parlament in Erfurt benötigte Voigt nun auch die Stimmen von einigen Linken-Abgeordneten. Und so wird es auch in Zukunft sein. In Thüringen kann keine Regierungs-Entscheidung mehr aus eigenem Recht heraus fallen. Immer sind auch Stimmen der Linkspartei oder sogar der AfD notwendig.
Der Kompromiss ist ein zentrales Element der Demokratie
Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn Parteien aus unterschiedlichen politischen Lagern Pragmatismus zeigen. Immerhin ist der Kompromiss ein zentrales Element einer freien und demokratischen Gesellschaft. Und auf Landesebene sind die Unterschiede der Parteien in der Regel auch geringer als auf Bundesebene.
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Trotzdem ist das neue Konstrukt in Thüringen aus zwei Gründen ein fragliches: Denn bei Lichte betrachtet wäre es auch möglich gewesen, die bisherige Regierung unter Bodo Ramelow (Linke) einfach geschäftsführend im Amt zu lassen. Auch diese hätte sich – ähnlich wie jetzt die Regierung Voigt – Mehrheiten im Parlament suchen müssen. Es ist vor allem die „Machtgeilheit“ von Voigt, die dieses Szenario verhindert hat.
Die „Brandmauer“ ist inzwischen Geschichte
Noch wichtiger ist aber, dass die allerseits beschworene „Brandmauer“ durch das Bündnis durchlöchert wird: Die CDU-Führung im Bund verspricht mantraartig, niemals mit der AfD und ebensowenig mit der Linkspartei koalieren zu wollen. Gleichzeitig koaliert sie auf Landesebene mit einer Partei, die den Namen einer Verehrerin der SED-Diktatur in der DDR trägt und die Deutschland am liebsten aus allen westlichen Bündnissen herausführen würde. Besonders glaubwürdig ist das nicht. Und wer garantiert eigentlich, dass sich die CDU nicht einfach auch über ihre eigene „Brandmauer“ gegenüber der AfD hinwegsetzt? Niemand.
Allerdings ist die SPD die letzte Partei, die darauf herumreiten sollte. In Brandenburg ist Dietmar Woidke (SPD) ohne mit der Wimper zu zucken ein Zweier-Bündnis mit dem BSW eingegangen. Jahrelang hatte die SPD ein rot-rot-grünes Bündnis ausgeschlossen – vor allem wegen der „kommunistischen Plattform“ um Sahra Wagenknecht. Heute ist das alles offenbar kein Problem mehr. Und mit welchem Recht will die SPD die CDU vor der AfD warnen, wenn sie selbst am linken Spektrum einen Pfifferling auf Brandmauern gibt, wenn Posten winken?
Demnächst könnte der Überlebenskampf beginnen
Auch für Brandenburg dürfte sich bald zeigen: das BSW ist weniger ein verlässlicher Koalitionspartner, als vielmehr eine One-Woman-Show. Ohne Sahra Wagenknecht geht im BSW nichts. Sollte der Höhepunkt der Popularität des BSW überschritten sein – worauf einiges, inklusive der Umfragen, hindeutet – dürfte sich das in den jetzt geschmiedeten Bündnissen deutlich zeigen. Dann geht es für das BSW vermutlich mehr um Profilierung und Überlebenskampf als um ruhiges konstruktives Regieren. So etwas hat Regierungen (siehe auch FDP in der Ampel) noch nie gutgetan.