Deutliche Kritik: Menschen mit Behinderung nehmen sich Hamburgs Aktionsplan vor
Zwei Jahre voller intensiver Zusammenarbeit – jetzt ist er fertig: der Schattenbericht. Auf mehr als 300 Seiten nehmen Menschen mit Behinderung sich den Hamburger Landesaktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen vor. Sie analysieren, kritisieren – und entwickeln eine „echte Vision für die Zukunft“.
Melanie Sandrock ist im Alltag immer häufiger auf ihren Rollstuhl angewiesen. Zum Alltag gehört auch S-Bahn fahren. Am Bahnsteig ganz vorne positioniert winkt sie dem S-Bahn Schaffner. Das ist das Zeichen: Sie will einsteigen. Das geht nur über die Rampe im ersten Waggon.
Wenn sie Glück hat, versteht das der Schaffner auch. Allzu oft heißt es aber: „Das kriegen wir so hin oder?“. Dann wird der Rollstuhl gepackt und Melanie Sandrock irgendwie in den Waggon verfrachtet.
Klingt erstmal banal, ist es aber nicht. „Ich fühle mich dann ausgeliefert und handlungsunfähig“, sagt Sandrock bei der Präsentation des Schattenberichts. „Ich hoffe, dass ich gefragt werde, was ich möchte und dass das respektiert wird.“ Das sollte nicht zu viel verlangt sein.
Hamburger Schattenbericht: Es geht um Menschenrechte
2006 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Behindertenrechtskonvention verabschiedet. Menschen mit Behinderung sollen nicht länger benachteiligt, sondern als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft anerkannt werden. Staaten, Länder und Kommunen sollen die Konvention mit sogenannten Aktionsplänen umsetzen.
Die Stadt Hamburg hat Anfang diesen Jahres die dritte Auflage dieses Aktionsplans veröffentlicht. Darin werden acht Themenfelder wie Arbeit, Wohnen und Barrierefreiheit im öffentlichen Raum abgearbeitet. Über die Aktion „Mit Uns! Inklusion gestalten“ konnten sich Hamburger mit Ideen und Vorschlägen beteiligen. Soweit, so gut – oder?
Wer steckt hinter dem Hamburger Schattenbericht?
Nicht, wenn es nach den Machern des Schattenberichts geht. Ihre Kritik: „Ein Aktionsplan muss Menschenrechte realisieren und benötigt eine echte Vision für die Zukunft von Menschen, die es wirklich betrifft“. Man orientiere sich wie so oft am „Machbaren und nicht am Wünschenswerten“, heißt es auf der Website des Schattenberichts.
Das Projekt wurde von Siegfried Saerberg von der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie geleitet. In 40 „Zukunftswerkstätten“ haben ausschließlich Menschen mit Behinderung den Landesaktionsplan durchgearbeitet und dem Realistischen das entgegengesetzt, „was wir wirklich brauchen“, so Christian Judith bei der Präsentation des Berichts am Donnerstag.
Was fordert der Hamburger Schattenbericht?
Kurz und knapp geht es um Selbstbestimmung, Sensibilisierung und Wahrnehmung des Menschenrechts auf Inklusion und Partizipation. Dabei sind die Forderungen nicht immer besonders kompliziert.
Im Bereich Freizeit wünscht man sich beispielsweise: „Der spontane Besuch von Veranstaltungen muss möglich sein.“ Kritisiert wird die Formulierung „möglichst barrierearm“ aus dem Landesaktionsplan, der außerdem nur öffentliche Bereiche, aber keine privaten Cafés, Restaurants oder Veranstaltungen meint.
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Happiger wird es beispielsweise beim Thema Behindertenwerkstätten. Die Stadt Hamburg möchte sie weiterentwickeln, die Macher des Schattenberichts dagegen sehen darin kaum eine Zukunft.
Knapp 300.000 Menschen mit Behinderung arbeiten dort deutschlandweit für lediglich 1,35 Euro die Stunde. In Hamburg seien es ca. 4500. Das sei weit entfernt von fairer Bezahlung und einem Arbeitsumfeld, in dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten, heißt es im Schattenbericht.
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