Bundeskanzler: Friedrich Merz will es werden, Olaf Scholz will es bleiben. Doch beide stärken mit ihrem Machtstreben die antidemokratischen Kräfte in Deutschland.

Bundeskanzler: Friedrich Merz will es werden, Olaf Scholz will es bleiben. Doch beide stärken mit ihrem Machtstreben die antidemokratischen Kräfte in Deutschland. Foto: imago/Sven Simon

Weidel ist auch so stark, weil Scholz und Merz so schwach sind

Volksparteien wollen sie sein – CDU und SPD. Dabei hören und achten sie in einer zentralen Frage nicht auf’s Volk. „Pflichtvergessen“ kann man sie daher nennen, um einen Ausdruck des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zu zitieren.

Unsere wahrhaft wunderbare freiheitliche Demokratie ist aufs Höchste in Gefahr. Populistisch-autoritäre Systeme sind rundherum auf dem Vormarsch: Amerika, Frankreich, Niederlande, jetzt auch in Österreich, in Osteuropa schon lange. Da käme es besonders auf das noch immer bedeutende und einflussreiche Deutschland an, die – ich formuliere bewusst so pathetisch – Fahne der Freiheit und Demokratie hochzuhalten.

Merz und Scholz: die unbeliebten Kanzlerkandidaten

Die demokratischen Parteien der Mitte müssten also nicht nur um ihrer selbst, sondern um unseres Gemeinwohles willen den unbedingten Ehrgeiz haben, bei der nächsten Bundestagswahl maximal stark zu werden. Dafür müssten sie sich den Wählern so attraktiv wie irgend möglich präsentieren, ohne populistisch zu werden.

Ein wichtiges Attraktivitätsmerkmal ist das Spitzenpersonal, sind also die Spitzenkandidaten, die bundesweit plakatiert werden und Wähler ziehen sollen. Diese politische Binsenweisheit befolgten die Volksparteien früherer Zeiten: Die Union stellte fast durchweg den jeweils Populärsten ganz nach vorne. Die Sozialdemokraten hatten mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und auch Gerhard Schröder Kanzlerkandidaten, die das Wähler-Reservoir weit über ihre Stammwählerschaft hinaus ausschöpften. Das waren also echte „Wahllokomotiven“.

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Nichts dergleichen machen heute Union und SPD. Kanzlerkandidat Friedrich Merz bleibt in seinen persönlichen Umfragewerten weit hinter den Prognose-Prozenten für CDU/CSU zurück. Dabei gibt es mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst einen bundesweit deutlich beliebteren Parteifreund. Aber Friedrich Merz bleibt in seinem persönlichen Ehrgeiz stur. So verharren die Umfragewerte für seine Partei trotz der geradezu historischen Schwäche der politischen Gegner seit langem um die 30 Prozent.

Nicht mal die SPD glaubt an Olaf Scholz

Noch schlimmer ist es bei der SPD: Olaf Scholz ist der unbeliebteste Kanzler seit Bestehen der Bundesrepublik. Seine Zustimmungswerte verharren im Umfrage-Keller. Selbst in der eigenen Partei ist die Skepsis gewaltig. Und die SPD könnte mit Boris Pistorius den anerkannt populärsten deutschen Politiker aufbieten. Was für eine Chance für eine echte Aufholjagd der Genossen. Aber Scholz, der offenkundig noch nie Selbstzweifel kannte, hält sich nach wie vor für den Besten und nimmt seine Partei in Geiselhaft. Die Delegierten folgen ihm wie die berühmten Lemminge, machten ihn trotz aller Misserfolge erneut zum Kanzlerkandidaten.

Der persönliche Ehrgeiz von Scholz und Merz ist das eine. Aber dass die Parteien in dieser für die Demokratie so entscheidenden Zeit sich dermaßen entmündigen lassen oder selbst entmündigen, ist das andere, das wirklich Schlimme.

Eben „pflichtvergessen“, um den Ausdruck des großen Richard von Weizsäcker ein zweites Mal zu bemühen. Und die rechtsextreme Höcke-Weidel-AfD wird derweil immer radikaler, immer dreister und immer stärker.

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