270 Ibuprofen im Jahr! Weltmeisterin mit neuen Enthüllungen im Turn-Skandal
Neue schlimme Enthüllungen im deutschen Turn-Skandal! „In einem Jahr erhielt ich rund 270 Tabletten Ibuprofen 600“, erzählt die frühere Schwebebalken-Weltmeisterin Pauline Schäfer-Betz. Wahnsinn!
Ibuprofen in der Dosierung 600 mg ist ein verschreibungspflichtiges Schmerzmittel, das laut ärztlichem Rat möglichst nicht länger als drei Tage nacheinander eingenommen werden soll. Das Medikament wird über die Leber verstoffwechselt und über die Nieren ausgeschieden, die Nebenwirkungen können erheblich sein. Am Turnstützpunkt Chemnitz hat man das offenbar nicht so eng gesehen.
Jahrelang steckten die heute 28-Jährige und ihre Teamkolleginnen dort fest in einem Teufelskreis der Angst ohne erkennbaren Ausweg. Die jüngsten Enthüllungen zahlreicher Turnerinnen am Bundesstützpunkt Stuttgart weckten diese schlimmen Erinnerungen – und zeigen, dass das Problem offenbar nicht lokal einzugrenzen ist.
„Angst vor der Trainerin, Angst vor Konsequenzen, Angst vor Essen, Angst vor Fehlern, Angst vor Schmerzen“, sagt Schäfer-Betz. Sie habe erfahren, was es bedeutet, „in einem System zu funktionieren, das auf Kontrolle, Druck und Manipulation basiert. Dabei ging es nicht nur um körperliche, sondern auch um psychische Gewalt.“
„Wenn ich dich sehe muss ich heulen“
Systematisch, sagt Schäfer-Betz, sei sie kleingemacht und in einen Zustand versetzt worden, „der es leicht machte, mich zu kontrollieren“. Training über die körperlichen Grenzen hinaus? Alltag. „Warnsignale des Körpers wurden ignoriert, Schmerzen und Verletzungen als Simulation abgetan“, sagt sie. Hinzu kamen Kommentare wie ‚Wenn ich dich sehe, muss ich heulen‘ oder ‚Du verschwendest dein Potenzial, weil du zu viel isst‘, das sei an der Tagesordnung gewesen.
Sie hat es geschehen lassen, alles dem Traum von Olympia untergeordnet. Emotionale Kontrolle sei ein zentrales Mittel der Machtausübung gewesen: „Lob und Tadel wurden gezielt eingesetzt, um Abhängigkeiten zu schaffen. Manipulation und emotionale Vernachlässigung galten als normal, ebenso wie der Missbrauch von Medikamenten, um Leistung zu steigern oder Verletzungen zu verschleiern.“ Druck, Isolation und seelische wie körperliche Übergriffe seien durch Aussagen wie ‚Druck gehört im Leistungssport dazu‘ gerechtfertigt worden: „Diese Methoden zerstören Menschen – körperlich, emotional und psychisch.“
„Trainer-Ausbildung muss hinterfragt und reformiert werden“
Es gelte nun, diesen verheerenden Kreislauf aus „Machtmissbrauch, fehlender Kontrolle und mangelnder Transparenz“ so schnell wie möglich zu durchbrechen. Es müssten vor allem „die richtigen Fragen gestellt und präventive Maßnahmen eingeleitet werden, um ein nachhaltiges und sicheres Umfeld für Athletinnen zu schaffen“, sagt Schäfer-Betz. Dabei liege die Verantwortung nicht allein beim Deutschen Turner-Bund: “Auch Verbände, Sportförderprogramme, medizinische Betreuungsstellen, staatliche Kontrollinstanzen und die Trainer-Ausbildung müssen kritisch hinterfragt und reformiert werden.“
Schäfer-Betz fordert „tiefgreifende Reformen, die das gesamte System umstrukturieren. Athletinnen müssen an Stellen berichten können, die nicht mit den Verbänden verknüpft sind. Unabhängige Stellen, die sensibel mit Berichten umgehen, aber auch konkrete Handlungsmacht haben, um gegen Fehlverhalten vorgehen zu können.“
Ermittlungen gegen ehemalige Schäfer-Betz-Trainerin eingestellt
Zudem fordert sie „Prävention und Bildung: Trainer müssen verpflichtende Schulungen in Psychologie, Pädagogik und Kommunikation absolvieren. Wie gehe ich mit jungen Menschen um? Welchen Einfluss haben meine Worte und mein Handeln auf sie? Wenn man mit jungen Menschen zusammenarbeitet, hat man eine Menge Verantwortung.“
Jene, die Missbrauch ausüben oder zulassen, „müssen dauerhaft aus dem System entfernt werden. Es muss ganz klar sein, dass im System kein Missbrauch, keine Gewalt akzeptiert wird, sonst werden diese immer bestehen bleiben.“ Die Realität sieht etwas anders aus, wie das Beispiel Gabriele Frehse zeigt. Schäfer-Betz‘ einstige Trainerin in Chemnitz ist heute Auswahltrainerin in Österreich, alle Ermittlungen wurden eingestellt.
Das könnte Sie auch interessieren: „Ich hatte früher Angst“: Hamburgs Europameisterin äußert sich zum Turn-Skandal
Schäfer-Betz aber bleibt kämpferisch. Der Sport müsse sicherstellen, dass Athleten „in einem gesunden Umfeld trainieren, dass ihre Grenzen respektiert und Rechte beachtet werden. Kein Erfolg, keine Medaille darf wichtiger sein als das Wohl der Athleten.“ (sid/mb)