Der Schock sitzt tief bei Johannes Golla (r.). Während die Portugiesen jubeln, fahren Deutschlands Handballer nach Hause.

Der Schock sitzt tief bei Johannes Golla (r.). Während die Portugiesen jubeln, fahren Deutschlands Handballer nach Hause. Foto: dpa

PortuGAU! WM-Wahnsinn! Deutsche Handballer werfen das Halbfinale weg

Aus. Vorbei. Ein Schock. Schwerer Knockout nach großem Kampf, einem Krimi mit Überlänge. Sekunden-Drama. Deutschlands Handballer sind bei der WM an Überraschungs-Team Portugal gescheitert – vor allem aber an sich selbst. Im Viertelfinale verlor der olympische Silbermedaillen-Gewinner nach Verlängerung mit 30:31 (27:29, 26:26, 9:13). Eine bittere Pleite. Heimreise statt Halbfinale! Ein PortuGAU für den deutschen Handball, der sich nach dem Paris-Coup im Aufwind wähnte, bei der Weltmeisterschaft aber nie seine Form fand. Das wirft Fragen auf.

Das Entsetzen war groß, als es vorbei war. „Es ist sehr bitter für die Jungs, dass sie nach diesem Kampf und diesem Einsatz so in letzter Sekunde nicht weiterkommen“, erklärte Trainer Alfred Gislason nach dem Aus am ARD-Mikrofon. Erst vier Sekunden vor dem Ende trafen die Portugiesen zum Sieg. Kapitän Johannes Golla fasste zusammen: „Am Ende waren es Kleinigkeiten.“

Das DHB-Team startete erneut schwach

Und erneut kein guter Beginn. Auch im siebten WM-Spiel hatte die deutsche Mannschaft einen schlechten Start erwischt und erst nach gut sechs Minuten den ersten Treffer zum 1:2 erzielt – Torhüter Andreas Wolff hatte zu diesem Zeitpunkt bereits fünf (!) Paraden auf dem Konto. Kein gutes Zeichen. Nach zehn Minuten stand es 1:5. Vor allem im Angriff lief kaum etwas zusammen, tat sich das DHB-Team gegen die aggressive Deckung des Gegners schwer. Auch die Abwehr stand nicht gut. Die Anfangsphase – eine chronische Schwäche.

Gislason, der vor der Partie angesichts der Formstärke des Gegners und der durchwachsenen Leistungen seiner Mannschaft von einem „50:50“-Spiel gesprochen hatte, schimpfte, gestikulierte, haderte und nahm eine Auszeit. Im Anschluss brachte er den nach einer Erkrankung gerade noch rechtzeitig einsatzfähigen Spielmacher Juri Knorr, der nach drei Tagen Erholung zu Hause nach Oslo nachgereist war.

Überragender Wolff hält DHB-Team im Spiel

Besser wurde es zunächst nicht. Die auf einer WM-Welle schwimmenden Portugiesen erhöhten auf 3:7 und wenn Wolff nicht seine Paraden sechs (bei einem Siebenmeter) und sieben nachgelegt hätte, hätte es noch übler ausgesehen. Dann erst spielte sich die deutsche Mannschaft ein wenig frei, agierte im Angriff mit mehr Tempo, druckvoller, mutiger und konnte auf 6:7 verkürzen. Doch statt des Ausgleichs folgte ein erneuter portugiesischer Zwischenspurt auf 7:11 (24.) – unter anderem durch zwei Treffer ins leere Tor der DHB-Auswahl, die in Unterzahl Wolff zugunsten eines zusätzlichen Feldspielers aus dem Spiel genommen hatte.

Verunsichert und gehemmt wirkten Gislasons Mannen. Ohne das für ein Viertelfinale nötige Selbstvertrauen. Agierten zu selten mit der nötigen Überzeugung und Vehemenz, spielten ungenaue Pässe, machten Fehler. Auch die Deckung stand trotz der vergleichsweise wenigen Gegentore nicht stabil genug, war immer mal wieder unaufmerksam und ließ freie Rückraumwürfe zu.

Katastrophale deutsche Angriffsleistung in Halbzeit eins

Nur neun Tore nach 30 Minuten – davon drei vom Siebenmeterpunkt durch den nervenstarken Lukas Zerbe und ein Tempogegenstoß. Macht fünf Tore aus dem normalen Spiel heraus. Eine ganz miese Ausbeute. Katastrophal. Anspiele auf Kreisläufer Golla im ersten Durchgang? Fehlanzeige.

Ohne den überragenden Wolff wäre der Rückstand weitaus höher ausgefallen als vier Tore. Deutschlands Nummer eins wütete nach einigen Gegentoren, brüllte seinen Frust heraus, winkte ab, beschwerte sich über seine Vorderleute.

Lukas Zerbe sorgt nervenstark für die Wende

Was auch immer Gislason in der Kabine sagte (oder brüllte): es wirkte. Das DHB-Team kämpfte sich mit mehr Dampf auf 13:15 (35.) und 17:18 (43.) heran. Portugals Kreisläufer Luis Frade sah in dieser Phase nach einem überharten Einsteigen gegen Renars Uscins die Rote Karte. Das umkämpfte Spiel wurde immer enger.

Jetzt schlug die große Stunde von Zerbe, der zunächst per Siebenmeter den 18:18-Ausgleich erzielte, dann erneut vom Strich traf und mit seinem dritten Tor in Serie für die 20:18-Führung.

Bitter: Golla, der in der zweiten Halbzeit mehr Anspiele bekam, hätte mit einem Tempogegenstoß für eine 23:20-Führung sorgen können, scheitere aber völlig frei an Portugals Keeper Diogo Marques (51.). Statt einer Drei-Tore-Führung musste Deutschland kurz darauf den Ausgleich hinnehmen (22:22/53.).

Golla vergibt Drei-Tore-Führung – Verlängerung

Ein Krimi, der sich von Minute zu Minute zuspitzte und in dem es zwei Minuten vor dem Ende 25:25 stand und das DHB-Team eine Minute vor Schluss mit 26:25 führte, aber noch einmal in Unterzahl geriet. Nach dem erneuten Ausgleich der Portugiesen per Siebenmeter hatte Deutschland noch einmal für 22 Sekunden den Ball und die Chance auf den Siegtreffer – aber der Angriff wurde nach einer Auszeit nicht gut ausgespielt und es gelang kein Torwurf mehr.

Verlängerung! Zweimal fünf Minuten auf Biegen und Brechen und mit letzter Kraft. Portugal erwischte den besseren Start, ging mit 29:27 in Führung, weil Golla und Knorr mit ihren Würfen am Pfosten scheiterten. Das Spiel wogte hin und her. Deutschland schaffte den Ausgleich und die 30:29-Führung – doch mit dem finalen Wurf wenige Sekunden vor Schluss schickte Portugals Martim Costa, einer der furiosen Costa-Brüder, Deutschland auf die Heimreise. Alles vorbei.

DHB-Team verliert in Schlusssekunden und fliegt raus

Wie ein geprügelter Hund schlich Wolff, der sagenhafte 21 Würfe entschärft hatte, nach der Partie zur Ehrung als „Player of the Match“. Bester DHB-Schütze war Zerbe mit neun Toren, davon sechs Siebenmeter: Es folgten Knorr (7) und Golla (5).

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Im ersten Viertelfinale in Oslo hatte Titelverteidiger und Topfavorit Dänemark mit dem zweiten Überraschungs-Team dieser WM, Brasilien, keinerlei Probleme, setzte sich nach einer eher verhaltenen und etwas zähen ersten Halbzeit am Ende sehr deutlich mit 33:21 (15:12) durch. In der zweiten Hälfte war es ein Klassenunterschied. Souverän – aber spannend ist anders.

Im anderen Halbfinale trifft am Donnerstag Europameister Frankreich in Zagreb auf WM-Mitausrichter Kroatien. Der Sieger muss dann nach Oslo reisen, wo am Sonntag das Endspiel steigt.

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