St. Pauli-Kapitän Irvine im „Sportstudio“: Feuchte Augen und ein verdutzter Moderator
Er wäre gerne unter anderen Voraussetzungen gekommen. Mit einem Sieg im Gepäck nämlich. Das war St. Pauli-Kapitän Jackson Irvine nicht vergönnt. Seine Mannschaft hatte auf sehr bittere und unglückliche Weise 0:2 (0:0) beim 1. FSV Mainz 05 verloren. Dem Unterhaltungswert des Auftritts des Australiers im ZDF-„Sportstudio“ schadete das aber kaum.
Stilecht war der Auftritt. Irvine kam in einem Vintage-Trikot aus den späten 1990er Jahren, einem von St. Pauli natürlich – Jack Daniel’s war damals noch Trikot-Sponsor. Und um alkoholische Getränke sollte es sich auch später im Gespräch noch drehen, aber der Reihe nach.
Irvine musste sich in Mainz um sein Einlaufkind kümmern
Zunächst also musste Irvine ZDF-Moderator Jochen Breyer erklären, dass er in seinem Zuhause auf dem Kiez einen eigenen Schrank für seine Retro-Trikots hat. Wie viele er davon habe, wisse er selbst nicht so genau, meinte Irvine. 100 bis 150 werden es wohl sein, „meine Frau würde sagen, zu viele“, lachte der 31-Jährige, der seit dem vergangenen Sommer mit der Engländerin Jemilla Pir verheiratet ist.
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Kurz darauf wurde es dann kurz schmerzhaft. Irvine musste sich einen Zusammenschnitt des Auftritts in Mainz anschauen, von dem Fastnachts-Spiel, das für das Einlaufkind, das an seiner Hand das Stadion betrat, gruselig begann. Auf dem Rasen hatten Menschen die in Mainz traditionsreichen „Schwellköpp“ getragen. „Das Einlaufkind hatte total Angst vor diesen Menschen mit den großen Köpfen, da musste ich mich um sie kümmern“, erzählte Irvine.
Irvine: Defensive als Fundament für den Klassenerhalt
Das gelang, die Sache mit den erhofften Punkten aber nicht. Ein Torwartfehler des sonst in dieser Saison so überragenden Nikola Vasilj leitete die Pleite beim FSV ein. Darüber müsse man „gar nicht viele Worte verlieren“, sagte Irvine und stellte sich total hinter seinen Teamkollegen: „Niko hat im Laufe der Saison gezeigt, wie toll er für uns ist. Er ist seit drei, vier Jahren ein wirklich wichtiger Spieler für uns. Und er weiß, wie wichtig er für uns ist.“
Defensiv hatte die Mannschaft auch in Mainz wieder gute Arbeit gemacht, wie schon in der gesamten Saison. Nur die Bayern und die Mainzer kassierten in dieser Spielzeit weniger Gegentore als St. Pauli. „Das muss das Fundament sein“, betonte Irvine. Das Fundament für den Klassenerhalt. „Wenn das Fundament steht, dann kommt auch der Rest.“ Am Rest aber, nämlich dem Toreschießen, mangelt es in dieser Saison noch. Eine echte Antwort, woran es liegt, dass es damit nicht klappen will, hat auch Irvine nicht. „Uns fehlt nur dieses eine Stückchen“, glaubt er.
Irvine hat kein Interesse an einer Relegation gegen den HSV
Irvine verdeutlichte, welch großer Traum sich für ihn mit dem Aufstieg erfüllt habe. „Ich habe meine ganze Karriere daran gearbeitet, mal in der obersten Spielklasse zu spielen“, sagte er. Es sei „so toll, das mit diesem speziellen Klub erreicht zu haben“. Die Leistungen bislang in dieser Saison hätten „gezeigt, dass wir in die Bundesliga gehören. Und ich möchte das auch für mich persönlich zeigen. Das Tor ist noch nicht gefallen, aber ich versuche das Woche für Woche und möchte zeigen, dass ich auf dieses Niveau wirklich gehöre“.
St. Pauli habe alle Möglichkeiten, das große Ziel Klassenerhalt zu erreichen. „Wir haben ein paar schwierige Spiele vor uns, aber wir hoffen, dass wir es bis zum Ende durchhalten und dass es sich nicht erst am letzten Spieltag entscheidet gegen Bochum“, blickte der Mittelfeld-Motor des Teams voraus. Ob eine Relegation gegen den HSV nicht einen Reiz habe. „Nein, das müsste nicht sein“, findet Irvine, der im „Sportstudio“ dann einen weiteren Einspielfilm zu sehen bekam, der ihn emotional werden ließ.
Zu Fuß zum Stadion? Moderator Jochen Breyer stutzt
Seine Eltern kamen darin zu Wort. „Als die Möglichkeit kam, nach Hamburg zu St. Pauli zu wechseln, hat er sich gar nichts anderes angehört. Der Klub und Jacksons Werte, das passt haargenau“, sagte Vater Steve. Der Stolz der Eltern, er verursachte glasige Augen beim Leader des Kiezklubs.
St. Pauli ist er verfallen. „Hier kann ich von zu Hause zu Fuß zum Stadion laufen. Es gibt nicht so viele Orte, wo man das machen kann, wo man so nah am Klub dran sein kann. Der Klub hat mich so aufgenommen und ich möchte einfach ein Teil davon sein“, sagte er. Moderator Breyer stutzte. „Laufen Sie wirklich zu den Heimspielen zu Fuß zum Stadion?“, fragte er nach. „Ja“, antwortete Irvine und machte sogleich auf ein kleines Problem für den Rückweg aufmerksam. „Wenn wir gewinnen, dauert es eine Stunde, bis ich zu Hause bin, weil ich in jeden Pub reinmuss auf dem Weg.“ Ob er denn dann auch überall ein Getränk nehmen müsse, fragte Breyer. „Meistens schon.“
Irvine hat sich gerade ein Auto gekauft: einen Smart
Irvine dürfte einer der nahbarsten Bundesliga-Profis überhaupt sein. „Die meisten in der Nachbarschaft wissen, wo ich wohne. Die sehen mich ja auch im Supermarkt, wenn ich einkaufe“, sagte er. „Während der Woche kann ich alles machen wie ein normaler Typ, ab und zu sagt jemand: ,Viel Glück fürs Spiel.‘ Aber wenn dann das Wochenende ist, dann ist Fußballmodus, dann ist man der Spieler, dann ist es ein bisschen anders. Aber mir gefallen beide Seiten.“
Und dann musste Irvine noch damit aufräumen, dass er angeblich kein Auto habe. Der Fan des öffentlichen Nahverkehrs gestand: „Ich habe diese Woche eines gekauft, zum ersten Mal seit vier Jahren.“ Irvine fährt nun einen Smart, allerdings wohl weiterhin nur selten. „Ich nehme trotzdem meistens den Nahverkehr“, führte er aus. Einstellungssache. „Das ist eine Möglichkeit für mich etwas zu machen, das auch zu den Werten passt, deswegen mache ich es.“
Irvine: Fußball nutzen, um in der Gesellschaft zu helfen
In der großen, weiten Welt des Fußballs ist Irvine ein Unikum. Es gibt vielleicht keinen Spieler, der sich so aktiv einbringt. „Das kommt vor allem von meiner Familie“, erklärte er. „Ich bin in einer politisch aktiven Familie aufgewachsen. Da gab es immer starke Werte, starke Positionen und das hat sich dann auch auf mich übertragen.“ Es sei kurios, dass Fußballer oft dazu ermutigt würden, nicht unbedingt Stellung zu politisch ernsthaften Themen zu beziehen. „Viele Leute wollen, dass man sich allein aufs Spiel fokussiert“, sagte Irvine. Entsprechend glücklich sei er, dass es bei seiner Nationalmannschaft und beim FC St. Pauli nicht nur akzeptiert werde, dass er sich meinungsstark in politische und soziale Debatten einbringt, sondern dass er darin bestärkt wird.
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„Es heißt oft, dass man die Klappe halten und spielen soll. Im Fußball haben wir dieses Gleichgewicht noch nicht gefunden, damit die Fußballspieler sich trauen, sich zu wichtigen politischen Themen zu äußern“, kritisierte Irvine. „Vielleicht ist es so, dass sich einige Spieler nicht gut genug informiert fühlen und dann ist es einfacher, sich zurückzulehnen und sich nicht zu äußern. Aber es geht darum, das richtige Gleichgewicht zu finden, sich zu äußern zu Dingen, die relevant sind für einen selbst. Und den Fußball auch zu nutzen, um in der Gesellschaft und der eigenen Community zu helfen. Ich finde, Fußball ist eigentlich genau das richtige Werkzeug, um das zu machen.“
Irvine spricht über Trump und trifft an der Torwand
Die Menschenrechtslage in Katar war ein großes Thema bei der letzten WM, 2034 wird die Weltmeisterschaft in Saudi-Arabien ausgetragen, die Debatte wird erneut hochkochen. Aber nicht erst dann, fordert Irvine ein. Man müsse nicht nur mit dem Finger auf den Nahen Osten zeigen. Auch der Blick auf den kommenden Teil-Gastgeber der WM bereitet Jackson Irvine Sorgen. Seit Donald Trump Präsident der USA ist, scheint auch ihm schwindelig zu werden. Er wisse gar nicht, wo er mit seiner Kritik anfangen solle. „Es gibt so viele Themen: Frauenrechte, LGBTQ+-Rechte, da gibt es so viele Themen, die Teile des Alltags sind“, sagte er. „Wir wollen einen inklusiven Sport haben, zu dem alle Zugang haben. Wir wollen keinerlei Diskriminierung haben.“
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Es schien, als hätte Moderator Breyer noch deutlich länger mit Irvine sprechen wollen. Mit diesem umtriebigen Geist des FC St. Pauli, die Zeit im „Sportstudio“ aber war endlich. Eine Aufgabe aber stand dann doch noch an. Irvine musste an der berühmten Torwand antreten. Und dort schien sich die Seuche beim Abschluss fortzusetzen. Die ersten fünf Versuche fanden alle nicht ins Ziel, der sechste Schuss aber saß schließlich. Irvine ballte die Faust, freute sich diebisch und schien es bestens zu verschmerzen, dass er das Duell gegen den zweimal erfolgreichen Amateurspieler Tobias Artmann verloren hatte.
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