Hamburgs Bürgermeister Tschentscher: Vom „Mini-Scholz“ zum Ausnahmepolitiker
Als Peter Tschentscher 2018 Bürgermeister wurde, weil es Olaf Scholz nach Berlin zog, ächzten die Hamburger Journalisten, die sich schon von Berufs wegen anderes wünschen: „Meine Güte, ist der dröge …“ Und nicht, dass sie durch das jahrelange Auftreten des Scholzomaten besonders verwöhnt gewesen wären. Heute, sieben Jahre später, hat der Mediziner und ehemalige UKE-Oberarzt sein Image erfolgreich feinjustiert – und bietet inzwischen das Beste aus allen Welten. Wenn wir so einen als Kanzler hätten, hätten wir deutlich weniger Sorgen.
Denn: Er macht das einfach ziemlich gut. Bei den zahlreichen Wahlkampf-Duell-, -Triell- und -Solo-Auftritten zeigte der Bürgermeister sich auf den entscheidenden Feldern inhaltlich stets souverän. Die theoretisch große Angriffsfläche bei den Themenfeldern Mieten und Verkehr moderierte er meist mit leichter Hand ab, war bestens vorbereitet: Sind wir dran. Ist in Arbeit. Müssen wir konsequent weiterführen. Im Ton stets sachlich und freundlich.
Erst als Dennis Thering und die CDU im Wahlkampfendspurt im Ton provokanter wurden und aus Sicht des Amtsinhabers inhaltlich in Teilen unfair, gönnte sich Tschentscher auch mal einen süffisanten Unterton. Unvergessen sein „Lob“ an Thering am Ende des Triells von „Zeit“ und „Radio Hamburg“, als jeder etwas Nettes über seine Konkurrenten sagen sollte. Tschentscher fiel zu Thering ein: „Man merkt bei Herrn Thering, dass er wirklich Bürgermeister werden will.“ Das sei doch toll in Zeiten von weit verbreiteter Politikverdrossenheit …
Fegebank und Tschentscher arbeiten gern miteinander – das ist auch hinter den Kulissen spürbar
Tschentscher, der Labormediziner, ist kein Typ für die Galerie. Er schätzt die seriöse Arbeit. Und das kollegiale Miteinander mit den Grünen, die man bei der SPD für ihre „Loyalität“ während der vergangenen Legislatur lobt. Katharina Fegebank und Tschentscher arbeiten gern miteinander, das ist auch spürbar, wenn keine Kameras laufen.
Dass Tschentschers Parkplatz-Moratorium – er versprach, den bei vielen Hamburgern verhassten Abbau von Stellplätzen vorerst zu stoppen – dann dennoch ein kleiner Tritt vors Schienbein des grünen Verkehrssenators Tjarks war: das wird dieser verschmerzen können, weil man sich bei den großen Fragen eben einig ist.
Verloren hat die SPD in Hamburg kräftig
Der Herr Doktor aber zeigt bei solchen Themen, dass er auch einen Sinn für die Schmerzen seiner Anvertrauten hat. Bei allem Bemühen um Seriösität und Sachlichkeit klingt er dann beizeiten auch mal: empathisch. Etwas, das dem „Ziehvater“ des einstigen Finanzsenators im Scholz-Senat bis zum Schluss nie so richtig gelungen ist.
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Verloren hat die SPD in Hamburg zwar kräftig – gerade vor dem Hintergrund des Sonntags davor ist das Ergebnis allerdings ein klarer Erfolg. Der Jubel bei der Wahl-Party der Genossen sprach Bände – sie wissen, wem sie das zu verdanken haben.
Tschentscher will nicht polarisieren
Tschentscher will nicht polarisieren, das ist nicht sein Stil. Er will solide arbeiten und mit Problemlösungen punkten. Dass er schwierige Themen wie die Verkehrswende dabei nicht ausblendet, deren Früchte erst in vielen Jahren zu ernten sind, und die heute vor allem Ärger machen, zum Beispiel durch viele Baustellen, kann man ihm durchaus anrechnen. Er spricht die Probleme in der Migrationspolitik an, aber findet gleichzeitig die richtigen Worte, um die Einheit und Solidarität in der Stadt zu beschwören, auf die viele Hamburger stolz sind.
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Tschentscher steht für eine Art Pragmatismus mit Herz. Das kriegen heute erstaunlich wenige Politiker hin. Seine Zustimmungswerte zeigen, wie sehr die Menschen ihn dafür schätzen und wie groß die Sehnsucht danach ist.
Friedrich Merz jedenfalls täte gut daran, sich davon einiges abzugucken.
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