„Richtig schlecht“, aber „wichtig“: St. Pauli macht in Kiel großen Schritt
Strahlender Sonnenschein, blauer Himmel, braun-weißer Jubel an der Kieler Förde. Das Nordduell der Aufsteiger: Ein ziemlicher Grottenkick. Die eigene Leistung: Eine der schlechtesten der Saison. Es war die mit Abstand schönste miese Leistung. Mit dem glücklichen 2:1 (1:1)-Sieg des FC St. Pauli bei Schlusslicht Holstein Kiel haben die Kiezkicker einen großen Schritt in Richtung Klassenerhalt gemacht, denn auch auf den anderen Plätzen wurde für St. Pauli gespielt – am Sonntag könnten die wichtigen drei Punkte endgültig zu absolut fetten Big Points werden.
Egal. Total egal. Wer fragt in dieser Phase der Saison, der sogenannten „Crunch Time“ noch nach der Leistung, wenn das Ergebnis stimmt? Sportchef Andreas Bornemann hatte schon vor der Partie gesagt, dass es schließlich keine Punkte für die B-Note gebe und die Hamburger deshalb insgesamt weniger Zähler auf dem Konto haben als angesichts der gezeigten Leistungen möglich und auch verdient gewesen wäre.
Mit dem Dreier im Holstein-Stadion war St. Pauli mehr als gut bedient, denn die gut 90 Minuten „hätten keinen Sieger verdient gehabt“, wie Trainer Alexander Blessin nach der nicht sonderlich ansehnlichen Partie bei frühsommerlichen Temperaturen sagte. „Es war ein richtig schlechter Kick.“
Blessin: Spiel „hätte keinen Sieger verdient gehabt“
Der Jubel der Braun-Weißen nach dem Schlusspfiff war eine Mischung aus Freude und purer Erleichterung – vielleicht auch, weil es endlich vorbei war. Das Spiel war nicht schön, aber der Blick auf die Anzeigetafel schon.

„Jetzt geht es einfach nur um Punkte“, betonte Keeper Nikola Vasilj. „Und heute haben wir zwar nicht so gut gespielt, aber wir haben es geschafft, zu gewinnen. Und wenn man solche Spiele gewinnt und diese wichtigen drei Punkte einfährt, dann musst du glücklich darüber sein.“
Glücklich sein müssen. Das trifft es irgendwie gut. Das ist im Klassenkampf fast Luxus.
Auch schön: der Blick auf die Tabelle. Mit nunmehr 29 Punkten steht St. Pauli weiter auf Rang 15, hat aber wieder neun Vorsprung auf die direkten Abstiegsplätze, weil Bochum spät 1:2 gegen Augsburg verlor. Auf den Relegationsrang und Heidenheim beträgt das Polster jetzt vorerst wieder sieben Zähler – plus das deutlich bessere Torverhältnis gegenüber allen Konkurrenten im Keller. Wenn die Heidenheimer am Sonntag bei Eintracht Frankfurt nicht gewinnt oder sogar verliert, dann wird aus einem guten ein perfekter Spieltag.
Kieler Geschwill trifft ins eigene Tor
Es war viel Glück dabei – das Glück des Tüchtigen, wenn man die vergangenen Wochen betrachtet.
Das vom eingewechselten Noah Weißhaupt erzwungene Eigentor durch den Kieler Geschwill in der Nachspielzeit zum 2:1 stand exemplarisch für Fortunas späte Gunst. Draufgegangen, nachgesetzt, den Ball irgendwie reingewollt.
Der ehemalige Kieler Hauke Wahl wollte die Leistung vor 15.034 Zuschauenden im ausverkauften Stadion nicht schönreden und trotz des wichtigen Sieges nicht die Defizite verschweigen. „Ich glaube, dass wir ein schwaches Spiel gemacht haben“, kritisierte der Abwehrchef und benannte diverse Defizite, wie zu große Abstände, zu wenig Struktur, zu wenig Zugriff, nicht konsequent, nicht zwingend und auch nicht griffig genug.

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Was bei der berechtigten (Selbst-)Kritik fast unterging, war der Fakt, dass es den Kiezkickern erstmals in dieser Saison gelungen war, ein Spiel komplett zu drehen und aus einem Rückstand noch einen Sieg zu machen. Sehr spät in dieser Spielzeit und doch im richtigen Moment, vielleicht dem entscheidenden.
Das frühe 0:1 durch den Kieler Bernhardsson (21.), der mit einem platzierten Linksschuss von der Straftraumgrenze Vasilj keine Chance gelassen hatte, war noch vor der Pause von Danel Sinani egalisiert worden (34.), der nach einer von Kiel-Torwart Dähne nicht konsequent geklärte Flanke gedankenschnell den Ball mit links in die Maschen geschossen hatte.
Die Gastgeber reklamierten zunächst ein Foul von Afolayan an Dähne, doch St. Paulis Angreifer hatte den Schlussmann im Luftkampf zwar entscheidend gestört, aber nicht gefoult, weshalb der Holstein-Keeper später von einem „Kacktor“ und nicht von einer Fehlentscheidung sprach.

Das goldene Tor war dann auch alles andere als schön, trug aber aus braun-weißer Sicht das Prädikat „besonders wertvoll“. Nachdem Dähne Weißhaupts Volley-Knaller zunächst parieren konnte, setzte St. Paulis Stürmer nach, brachte den Ball im zweiten Versuch auf die Kiste und Geschwill beförderte die Pille bei einem verunglückten Klärungsversuch entscheidend über die Linie. Gerade so, aber ausreichend, wie die Torlinientechnik bewies. Abstiegskampf ist manchmal Zentimetersache.
Kaum ein Kiezkicker hatte die Szene richtig gesehen und erst als Schiedsrichter Benjamin Brand auf den Anstoßpunkt zeigte, löste sich die kollektive Verwirrung in Jubel auf – auf dem Rasen, auf der St. Pauli-Bank und auch im prall-gefüllten Gästeblock des Stadions.
Wahl: „Wir müssen uns nicht dafür schämen“
„Das Resultat ist es, worum es geht“, betonte bei allen kritischen Worten dann auch Wahl. „Wir haben nicht gut gespielt, aber wir müssen uns nicht dafür schämen, dass wir drei Punkte holen. Wir haben so häufig gut gespielt und dann nichts mitgenommen oder nur einen Punkt. Es ist gerade eine Phase, die extrem wichtig für uns ist. Und da ist einfach jeder Punkt wichtig.“
Für Holstein ist der Abstieg nach der Niederlage im Strohhalm-Spiel so gut wie besiegelt, für St. Pauli der Ligaverbleib aber noch längst nicht sicher. Von einem vorentscheidenden Sieg wollte niemand sprechen. „Wir wissen, dass wir einen Schritt in Richtung Klassenerhalt gemacht haben, aber mehr auch nicht“, sagte Philipp Treu. „Wir wissen, es kann noch eng werden. Es war wichtig, gegen einen direkten Konkurrenten ein Zeichen zu setzen, aber wir sind trotzdem gewarnt und wissen, was für Brocken noch auf uns warten.“
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Schon nächste Woche geht es gegen einen der besagten Brocken, am Ostersonntag. Dann gibt sich Meister Bayer Leverkusen am Millerntor die Ehre. Mit dem Sieg in Kiel haben sich die Kiezkicker die Ausgangslage ermöglicht, gegen Leverkusen für eine Überraschung sorgen zu können – aber nicht zu müssen.
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