MOPO-Interview: Rabes Abrechnung mit der Corona-Politik
In einer Woche enden die Hamburger Schulferien. Die MOPO hat aus diesem Anlass mit Schulsenator Ties Rabe (SPD) über Luftfilter, neue Maßnahmen und Impfungen für Schüler:innen gesprochen.
MOPO: Delta ist auf dem Vormarsch, Impfungen für Kinder nicht in Sicht. Machen Sie sich Sorgen um das nächste Schuljahr?
Ties Rabe: „Wir haben mit einem umfangreichen Sicherheitspaket Hamburgs Schulen vor Corona gut geschützt und fünf Maßnahmen eingeleitet: Die Impfung aller Beschäftigten, die Testpflicht – niemand darf die Schule ohne negativen Test betreten -, die Maskenpflicht in allen Schulgebäuden, die Lüftungspflicht, und jetzt werden wir flächendeckend Luftfilter anschaffen. Es gibt keinen anderen Lebensbereich, der so gut abgesichert ist wie unsere Schulen. Deswegen darf man zuversichtlich sein.“
Gibt es einen Punkt, an dem Sie die Schulen wieder schließen würden?
„Wir haben in den letzten eineinhalb Jahren gemerkt, dass nichts ausgeschlossen ist. Deswegen kann man keine roten Linien ziehen. Aber wir sollten dieses Mal die Schulen wirklich als allerletztes schließen.“
Was heißt als allerletztes – haben Sie da einen bestimmten Wert im Hinterkopf?
„Grenzwerte wurden in der Regel genauso schnell wieder aufgehoben, wie man sie ausgesprochen hatte. Die Pandemie hat gezeigt, dass es keine Klarheit im Sinne eines Fahrplans geben kann. Wichtiger als die Inzidenz wird in Zukunft die Frage werden, wie stark Menschen von der Krankheit betroffen sind und wie viele Menschen im Krankenhaus liegen.“
Niedersachsen erwägt tägliche Tests an den Schulen. Wäre das was für Hamburg?
„Wir werden uns das genauer angucken. Wir überlegen auch, ob wir im stärkeren Maße PCR-Tests einsetzen, die eine höhere Aussagekraft und eine längere Gültigkeit haben.“
Wann kommen die PCR-Tests in den Schulen zum Einsatz?
„In der zweiten Woche nach den Ferien werden wir an sieben Schulen dieses Verfahren testen. Es handelt sich um Grundschulen und Sonderschulen. Fraglich ist, ob das logistisch funktioniert. Anders als Schnelltests müssen PCR-Tests in Labore transportiert werden.“
Virologe Jonas Schmidt-Chanasit ist gegen flächendeckende Tests an Schulen. Die hohen Kosten seien die Anzahl der entdeckten Infektionen nicht wert. Was sagen Sie dazu?
„Ich finde, dass ein Schulsenator alles tun muss, um Schulschließungen zu vermeiden. Da scheuen wir keinen hohen Mitteleinsatz. Herr Schimdt-Chanasit hat an einer Stelle recht: Wir brauchen Maß und Mitte und müssen die Schule mit anderen Lebensbereichen vergleichen. Da stellen wir fest, dass in Deutschland an den Schulbetrieb ungewöhnliche harte Anforderungen gestellt werden, dort alles supersicher zu machen. In anderen Lebensbereichen wie Gastronomie, Freizeit und Einkauf machen wir das nicht.“
In den Schulen sitzen viele ungeimpfte Kinder zusammen.
„Die Kinder sind von allen Altersgruppen am besten geschützt, denn Kinder und Jugendliche erkranken sehr selten schwer. Wenn es bei Kindern einen milden Verlauf gibt, dann muss man deswegen nicht die Schulen schließen.“
Warum verlangen Sie dann weiter die Maske in der Schule? Andere Bundesländer haben an dieser Stelle gelockert.
„Weil wir als Politiker auch berücksichtigen müssen, dass in der Vergangenheit mehrfach Schulen geschlossen worden sind. Da ist es mir in der Abwägung doch lieber, dass wir hohe Anforderungen an die Sicherheit stellen, als dass die Kinder wieder nach Hause geschickt werden. Welcher medizinische Sinn dahinter steht, dass können die Geschichtsforscher dann in zehn Jahren aufklären.“
Sie zweifeln da ein wenig an den Maßnahmen?
„Ich habe gesagt, was ich zu sagen habe.“
Stehen bis Ferienende genug Luftfilter oder sind Sie zu spät dran?
„Wir sind das schnellste aller Bundesländer, deswegen sind wir nicht zu spät dran. Es gibt kein anderes Bundesland, das zur Zeit Lüftungsgeräte in so hoher Zahl bis zu den Herbstferien aufstellen will. Deshalb mache ich mir um die Geschwindigkeit keine Gedanken.“
Warum hat Hamburg so lange mit der Bestellung von Luftfiltern für die Schulen gewartet?
„Das Bundesumweltamt hat fast ein dreiviertel Jahr betont, dass die Luftfilter nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden können. Auch die Bundesregierung hat lange Zeit deutlich gemacht, dass nur dort, wo die Fenster nicht zu öffnen sind, Luftfilter eingesetzt werden sollten. Danach haben wir uns gerichtet. Jetzt ist das Bundesumweltamt zu anderen Einschätzungen gekommen. Die Bundesregierung hat ihre Leitlinie erst vor wenigen Wochen angepasst, die Förderprogramme sind auch erst vor wenigen Wochen geändert worden. Ich finde, da sind wir zügig.“
Fühlen sich die Kultusminister von der Bundesregierung schlecht informiert?
„Die Bundesregierung hat in Bezug auf die Luftfilter einen abenteuerlichen Schlingerkurs hingelegt. Der Bundesgesundheitsminister fordert jetzt in allen Klassenräumen Luftfilter, aber der Bundeswirtschaftsminister fördert sie nur in Klassenräumen, in denen man keine Fenster öffnen kann. ‚Ja was denn nun?‘, möchte man da fragen. Das Förderprogramm verdient den Namen nicht. Wenn wir es ernst nehmen, können in Hamburg von 12.000 Klassenräumen nur 67 mit einer mobilen Luftfilteranlage ausgestattet werden.“
Wie hoch ist die Impfquote bei den Lehrer:innen?
„Wir haben bundesweit in allen Schulbereichen aber auch in den Kitas dasselbe Problem. Die Beschäftigten sind nicht verpflichtet, uns Auskunft zu geben, ob sie geimpft wurden. Wir haben Stichproben vorgenommen und uns ausgetauscht, demnach rechnen wir mit einer Impfquote von 75 bis 80 Prozent.“
Gibt es Überlegungen, die Impfungen bei Lehrkräften zu intensivieren?
„Ich glaube, jetzt geht es erst mal darum, dass wir die Impfungen in Deutschland insgesamt weiter voranbringen. Eine Impfquote von 50 Prozent reicht nicht aus. Die Gefahren in der Schule sind mit den Impfungen der Lehrkräfte vermutlich deutlich stärker gebannt als die Gefahren, denen wir in der Gesellschaft ausgesetzt sind.“
Sind Sie für eine Impfpflicht für Lehrer:innen?
„Zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Aber wir haben bei den Masern durchaus eine Impfpflicht für Lehrkräfte eingeführt und wenn es am Ende nötig sein wird, um dauerhaft wieder einen krisensicheren Schulbetrieb sicherzustellen, dann ist das grundsätzlich nicht ausgeschlossen.“
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Wenn Sie eben von Gefahren in der Gesellschaft sprechen. Sind sie ein bisschen sauer auf die Altersgruppen, die sich jetzt viel stärker anstecken, als die schulpflichtigen Kinder?
„Ich finde es bei keiner Altersgruppe akzeptabel, sich nicht an die Regeln zu halten. Aber wir müssen aus den hohen Infektionszahlen von Mallorca-Touristen nicht gleich wieder eine Schuldiskussion machen. Ich finde es grundsätzlich traurig, mit welcher Leidenschaft Deutschland vor allem über Schulschließungen diskutiert. Wenn ich mir die vielen schrecklichen Todeszahlen ansehe, dann muss man schon sagen, es war im Nachhinein betrachtet nicht klug, ständig über Schule zu diskutieren und die Infektionszahlen bei älteren Menschen in dem Sinne politisch nicht so stark in den Mittelpunkt zu rücken.“
Die Schuldebatte hat in ihren Augen andere wichtige Debatten überlagert?
„Ja.“
Die Debatte dreht sich aber auch eher darum, ob Kindern das Virus weitertragen und damit sehr wohl vulnerable Gruppen gefährden.
„Und welche Erkenntnisse gibt es dazu? Es gibt derzeit ganz aktuell zwei Studien von der Charité, die widersprechen sich beide. Eine Studie von Herrn Drosten kommt zu dem Schluss, dass die Viruskonzentration im Rachen bei Kindern hoch ist. Sein Kollege Herr Mürbe kommt in seiner Studie zu dem gegenläufigen Schluss, dass die Kinder zwar viel Virus im Rachen haben mögen, aber sie sehr wenige Aerosole produzieren und deswegen lange nicht so ansteckend sind. Was macht man nun damit?“
Das ist dann tatsächlich die Aufgabe der Politik.
„Bei allen Corona-Maßnahmen fragen wir uns, in welcher Relation steht der gesundheitliche Erfolg gegenüber den vielen anderen schwerwiegenden Auswirkungen. Und da wurde sich in Deutschland bislang dazu entschieden, harte Eingriffe wie die Ausgangssperre erst sehr spät einzuführen, aber Schulen sehr früh zu schließen. Das war zum Beispiel in Frankreich genau andersherum.“
Halten Sie es denn für möglich, dass die Schulen wieder geschlossen werden?
„Es gilt der Hamburger Spruch: Man soll nie nie sagen. Aber ich habe doch den Eindruck, dass die gesellschaftliche Diskussion sich gedreht hat zu den Gunsten der Schulen. Ich bin mir sehr sicher, dass es zumindest unwahrscheinlich ist, dass wir die Schulen noch einmal schließen.“
Was halten Sie von Impfprogrammen für Schüler:innen wie sie zum Beispiel Markus Söder fordert?
„Das müssen Ärzte und Betroffene individuell entscheiden. Der Rat der Fachleute lautet: Kinder sind so wenig durch Corona gefährdet, dass eine Impfung nicht immer Sinn macht und gut überlegt werden muss. Die Debatte zeigt, dass wir in Deutschland leider nicht nur den Rat von Ärzten annehmen, sondern uns viel zu sehr leiten lassen von einer allgemein öffentlichen Angst.“
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Die Schule geht nun bald wieder los, haben Sie Programme aufgelegt, die die Lernrückstände und psychischen sowie sozialen Folgen bei den Schüler:innen abmildern sollen?
„Wir haben in den Sommerferien in der Schulbehörde zahlreiche Programme ausgearbeitet, die wir jetzt im neuen Schuljahr umsetzen wollen, um Lernrückstände zu überwinden. Erstens wollen wir die Lernferien verstetigen. Zweitens wollen wir für alle Viertklässler ein besonderes Förderprogramm auflegen, nach dem vier Kinder pro Klasse in der Regel vier Stunden in der Woche zusätzlich nachmittags Förderunterricht bekommen. Und drittens wollen wir die Förderangebote der Schulen, die es jetzt schon gibt, noch einmal um 50 Prozent aufstocken. Zusätzlich werden wir Begleitmaßnahmen in Bezug auf psychologische Unterstützung und Sozialberatung deutlich ausweiten und personell aufstocken.“