Die Krankenschwester, die versucht haben soll, ihr Kind zu ermorden
Es ist ein ungeheuerlicher Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft gegen Jennifer F. erhebt: Die 36-jährige Krankenschwester und Mutter von drei Kindern soll zunächst im Kinderkrankenhaus Wilhelmstift und kurz darauf im UKE versucht haben, ihre vierjährige Tochter mit Schlafmitteln zu ermorden. Zum Prozessauftakt wirkte die Angeklagte geschäftig und seltsam unberührt. Das Verfahren zählt zu den rätselhaftestes Prozessen der jüngsten Vergangenheit.
Jennifer F. betritt den Gerichtssaal mit schnellen Schritten, einen Aktenordner im Arm, die dunkelblonden Haare fallen glatt auf die Schultern. Die schmale Gestalt trägt eine lange Strickjacke, ihr Gesichtsausdruck ist neutral, ihre Verteidigerin begrüßt sie freundlich. Von der Anspannung vieler Angeklagter ist bei Jennifer F. nichts zu spüren. Nichts deutet daraufhin, dass sie seit Februar in U-Haft sitzt.
Mit fester Stimme nennt sie Name, Geburtsdatum und Adresse. „Ich bin Krankenschwester“, sagt sie auf die Frage nach dem Beruf. Familienstand: verheiratet, drei Kinder. Warum die Angeklagte versucht haben soll, ihr mittleres Kind zu töten, ist völlig unklar. Hinweise auf Schuldunfähigkeit oder eine psychische Störung, etwa das „Münchhausen Proxy Syndrom“, konnten bislang nicht festgestellt werden. Was bekannt ist: Jennifer F. hat selbst auch Anzeige erstattet, gegen Unbekannt. Ihr Vorwurf: Im Wilhelmstift seien Medikamente vertauscht worden. Offenbar sieht sie sich nicht als verantwortlich für den Zustand ihrer Tochter an.
Hamburg: Krankenschwester wegen Mordversuchs an Tochter angeklagt
Für die Aussage ihrer Mandantin zum Privatleben, zu Freunden, ihren Kindern und ihrem Ehemann lässt Verteidigerin Annette Voges die Öffentlichkeit ausschließen – ein eher ungewöhnlicher Vorgang für eine Angeklagte, die sich als unschuldig betrachtet.
In dem Prozess geht um ihr mittleres Kind, ein Mädchen, vier Jahre alt, das unter einer leichten Entwicklungsverzögerung leiden soll. Am 28. Dezember 2020 brachte Jennifer F. die Kleine mit Verdacht auf Schädelprellung ins Kinderkrankenhaus Wilhelmstift. Das Kind sei vom Sofa gefallen. Weil der Zustand des Mädchens sich aber verschlechterte, wurde es ans Kinder-UKE überwiesen. Wegen neurologischer Auffälligkeiten, die nicht allein durch die Schädelprellung hervorgerufen worden sein konnten, habe es dort weitere Untersuchungen gegeben, berichtete ein Gerichtssprecher. Die erschütternden Ergebnisse: In Urin- und Blutproben wurden Rückstände von Schlaf- und Beruhigungsmitteln gefunden: „Es waren sogenannte Benzodiazepine dabei, die nicht für kleine Kinder geeignet sind.“
Prozess in Hamburg: dreifache Mutter unter Verdacht
Die Ärzte erstatteten Strafanzeige. Laut Staatsanwaltschaft hat die Mutter ihrem Kind ein mitgebrachtes Mittel im Kinderkrankenhaus Wilhelmstift eingeflößt und zwei weitere Medikamente im Kinder-UKE. Die Dosis sei so hoch gewesen, dass es zu einem Atemstillstand und Lebensgefahr hätte kommen können. Die Staatsanwaltschaft geht von einem heimtückischen Mordversuch aus, weil das Kind seiner Mutter vertraute. Darüberhinaus wird Jennifer F. auch gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.
Die drei Kinder kamen vorübergehend in staatliche Obhut. Die Vierjährige hat den Vorfall ohne körperliche Folgen überstanden. Am 4. August will Jennifer F. sich zu der Anklage äußern. Ein Urteil wird nicht vor Dezember erwartet.