Bizarre Weltsicht: Warum die Corona-Zahlen in den USA explodieren
Kurz nach der Amtsübernahme von US-Präsident Joe Biden sanken die Corona-Zahlen in den USA merklich: Von einer Sieben-Tage-Inzidenz von 530 Mitte Januar fiel der Wert innerhalb von sechs Monaten auf etwa 25. Doch seit Juli klettern die Zahlen wieder steil nach oben. In einigen Südstaaten gilt weiter die Devise: Wir lassen uns gar nichts vorschreiben – erst recht keine Corona-Regeln.
Jede dritte Corona-Infektion in den USA wird derzeit aus nur zwei Bundesstaaten gemeldet: Florida und Texas. Dennoch wettern die regierenden Republikaner gegen Corona-Vorschriften. Obwohl sich die Intensivstationen der Krankenhäuser füllen, erlassen die Gouverneure Verfügungen, mit denen sie zum Beispiel jede Art von Maskenpflicht an Schulen verbieten.
Delta-Variante hat Florida und Texas fest im Griff
Dabei hat die von Delta angeheizte Corona-Welle beide Staaten fest im Griff: Jeder vierte Patient, der in den USA derzeit wegen einer Infektion mit dem Virus stationär behandelt wird, liegt in einer Klinik in Florida – obwohl in dem Bundesstaat nur sieben Prozent der US-Bevölkerung leben. Fast jeder fünfte Corona-Test fällt positiv aus, im Schnitt sind es rund 18.000 Neuinfektionen pro Tag – so viele wie auf dem Höhepunkt der Pandemie im Januar, als fast niemand geimpft war.
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Doch Floridas Gouverneur Ron DeSantis lehnt neue Corona-Auflagen ab. Als die Gesundheitsbehörde CDC jüngst erklärte, Schulkinder sollten wegen Delta Masken tragen, wehrte sich der Republikaner. „Kinder zu zwingen, eine Maske zu tragen, ist schlechte Politik“, erklärte er – und verschärfte eine Verfügung, die Schulen verbietet, das Tragen von Masken anzuordnen. Bei Zuwiderhandlung werden staatliche Mittel gestrichen.
Bizarre Weltsicht von Floridas Gouverneur
Für den Anstieg der Infektionen hat der Gouverneur eine skurrile Erklärung – oder besser gesagt zwei. Zum einen sei das gute Wetter Schuld: Hohe Temperaturen trieben die Menschen nach drinnen in klimatisierte Räume. Zum anderen sei Bidens angeblich laxe Politik an der Grenze zu Mexiko für die Corona-Explosion verantwortlich. Biden habe durch „die offene Südgrenze mehr Virus aus aller Welt importiert“, sagte DeSantis. Bizarr: Die Großstädte Floridas sind fast 2000 Kilometer von der Grenze zu Mexiko entfernt.
Der Demokrat Biden machte dagegen klar, dass die zugespitzte Lage in den Bundesstaaten nicht der Regierung in Washington anzulasten sei: Einige Gouverneure seien nämlich nicht bereit, das Richtige zu tun, um die Pandemie zu bekämpfen, sagte er jüngst und erwähnte ausdrücklich Texas und Florida. „Wenn Sie schon nicht helfen, dann gehen Sie wenigstens den Leuten aus dem Weg, die versuchen, das Richtige zu tun“, forderte Biden. „Nutzen Sie Ihre Macht, um Leben zu retten.“ Bidens Sprecherin Jen Psaki erklärte mit Blick auf DeSantis, es sei eine Tatsache, dass dieser „Schritte unternommen hat, die im Widerspruch zu den Gesundheitsempfehlungen stehen“.
„Texaner werden selbst entscheiden, ob sie Masken tragen“
Auch in Texas mit knapp 30 Millionen Einwohnern stieg die Zahl der Neuinfektionen zuletzt rasant an und liegt nun durchschnittlich bei rund 11.000 pro Tag. Doch Gouverneur Greg Abbott unterschrieb vergangene Woche eine neue Verfügung, um Corona-Beschränkungen und eine Maskenpflicht zu verhindern. Der Republikaner warf der Regierung vor, „noch mehr drakonische Kontrollen von US-Bürgern“ zu planen. „Wir müssen uns auf die individuelle Verantwortung stützen, nicht auf Gebote der Regierung. Texaner werden selbst entscheiden, ob sie Masken tragen und ihre Geschäfte öffnen“, so Abbott.
Die Delta-Variante hat in den ganzen USA mit seinen 330 Millionen Einwohnern zu einem drastischen Anstieg der Neuinfektionen geführt. Ihre Zahl ist von rund 10.000 pro Tag im Juni auf inzwischen fast 90.000 im Durchschnitt hochgeschnellt. Die täglich gemeldeten Todesfälle sind im Wochenvergleich um knapp 40 Prozent auf 381 Tote pro Tag angestiegen.
Skurrile Entwicklung der Impfbereitschaft in den US-Südstaaten
Problematisch ist die Lage auch, weil die Impfbereitschaft zuletzt merklich nachließ und vor allem die Südstaaten noch weit von der Herdenimmunität entfernt sind. In Texas etwa sind knapp 44 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, in Florida 49 Prozent. In Louisiana und Arkansas sind sogar nur 37 Prozent, in Mississippi sind nur 35 Prozent der Bevölkerung voll immunisiert. Landesweit sind es 50 Prozent.
Einige Experten führen die schlechte Impfbilanz auch auf hohe Einschaltquoten des vor allem bei Republikanern beliebten Fernsehsenders Fox News zurück. In den dortigen Programmen war im Zusammenhang mit den Impfungen oft von „Terror“, „Taliban“ oder „Apartheid“ die Rede. Doch dann, berichtet die „Tagesschau“, geschah etwas Merkwürdiges: Einer der schärfsten Wortführer des Senders, Sean Hannity, riet plötzlich zur Impfung. „Nehmen Sie Covid ernst“, appellierte er. „Zu viele Menschen sind gestorben. Ich glaube an die Wissenschaft und an die Impfung.“
Was den Sinneswandel ausgelöst hatte, blieb unklar. Was jedoch klar ist: Hannitys Auftritt zeigte Wirkung. Wenige Tage später stiegen in den Südstaaten Arkansas, Florida, Louisiana und Missouri die Impfquoten an. (mik/dpa)