Spektakel im „Hexenkessel“: St. Pauli trotz Sieg in Magdeburg nicht ganz zufrieden
Nicht selten müssen sich Statistiken im Fußball dem Vorwurf erwehren, den Sport zu verwissenschaftlichen. Dass der 1. FC Magdeburg im Erstrundenspiel des DFB-Pokal aber 41 Torschüsse auf St. Paulis Kiste abfeuerte und 20 Ecken anhäufte, hat durchaus Aussagekraft und gibt einen Eindruck, welch ein Spektakel sich da – auch bedingt durch die teils arg ungeordnete Defensivarbeit des Kiezklubs – bot in der MDCC-Arena. Am Ende sind die Statistiken aber ja doch nicht entscheidend und nur eines zählt: St. Pauli steht nach dem 3:2 (2:1) beim 1. FCM in der nächsten Runde.
Philipp Ziereis grinste, wie der beinharte Innenverteidiger nicht oft grinst nach einem Spiel, ihm standen Freude und Erleichterung im wahrsten Sinne des Wortes ins Gesicht geschrieben. „Kurz zusammengefasst: Wir haben uns in alles reingeworfen, was heute reingeflogen ist“, beschrieb der Kapitän die Fußball-Schlacht treffend. Und es flog eben viel rein in St. Paulis Sechzehner. „Ich muss der Mannschaft ein Riesen-Kompliment machen: Wir haben unser Ding hier durchgezogen in diesem Hexenkessel, auch wenn es nicht immer schön aussah. Das interessiert morgen keinen mehr“, meinte er.
DFB-Pokal: Timo Schulz trotz St. Pauli-Sieg nicht zufrieden
Und hatte damit nicht ganz recht. Timo Schultz‘ Reaktion nach dem Spiel ließ erahnen, dass ihn das sehr wohl noch morgen interessieren wird und ziemlich sicher auch noch übermorgen. „Ich kann meinen Jungs keinen Vorwurf machen, was die Intensität angeht“, betonte er, um dann klarzustellen: „Alles in allem standen wir zu tief, waren zu passiv, haben zu viele Torschüsse zugelassen und können deswegen glücklich sein, dass wir trotzdem in die nächste Runde einziehen dürfen.“
Wohl wahr. Obwohl St. Pauli ja früh in Führung ging und es kurzzeitig so aussah, als werde der Zweitligist seiner Favoritenrolle gerecht: Guido Burgstaller bereitete sich durch ein Dribbling und ein Zuspiel auf Rico Benatelli im Strafraum, das er postwendend zurückerhielt, sein 1:0 per Flachschuss quasi selbst vor, der Start war geglückt.
1. FC Magdeburg wehrt sich, St. Pauli hat sichtlich Probleme
Allerdings wirkte Magdeburg davon mal so gar nicht beeindruckt und kam schnell zu ersten eigenen Abschlüssen, den ersten gefährlichen gab Connor Krempicki nach Vorlage von Ex-St. Paulianer Sirlord Conteh ab (11.). Zwei Minuten später war es erneut Krempicki, der im Strafraum zum Abschluss kam. St. Pauli zog sich weit zurück, zu weit, und ließ die Gastgeber gewähren. Im Netz landete der Ball dann aber auf der anderen Seite – nur hatte Simon Makienok nach Leart Paqaradas Flanke im Abseits gestanden (19.). Es dauerte eine Weile, bis Baris Atik eine Fackel von Schuss abfeuerte, bei der Dennis Smarsch sich erstmals auszeichnen musste und das auch tat (29.).
Was danach geschah, war einigermaßen atemberaubend und ein Chancenhagel sondergleichen: Beinahe minütlich boten sich Möglichkeiten, insbesondere für Magdeburg, das fast jeden Angriff mit einem (gefährlichen) Schuss abschloss. Der verdiente Ausgleich gelang dann Conteh, nachdem Burgstaller auf der Gegenseite das 2:0 per Kopf nach überragender Paqarada-Vorarbeit vergeben hatte. Paqarada stand dann noch vorne, als die Gastgeber konterten und der Flügelstürmer jagte den Ball ins Netz (30.).
Conteh und Burgstaller verpassen Führung, Medic erlöst St. Pauli
Dass das Spiel nicht ganz kippte, lag daran, dass Conteh wenig später aus drei Metern freistehend übers Tor feuerte (39.). Was sich ebenso rächte, wie sich Burgstallers ausgelassene Chance gerächt hatte: Aus dem vielzitierten Nichts schädelte plötzlich Jakov Medic nach Eric Smith‘ Freistoß den Ball zum 2:1 ins Tor (40.). Ein schmeichelhafter Halbzeitstand vor 14.405 frenetischen Fans.
Dass es defensiv aus St. Pauli-Sicht so nicht weitergehen konnte, war kaum zu übersehen und veranlasste Timo Schultz dazu, drei Wechsel vorzunehmen: Zur zweiten Hälfte kamen Afeez Aremu und James Lawrence für Finn Ole Becker und Rico Benatelli, aus dem 4-4-2 wurde ein 3-4-1-2 und das half. Kurzzeitig. Denn nachdem Kyereh das 3:1 liegen ließ (50.), lief erneut Conteh St. Paulis neu formierter Abwehr davon, umkurvte Smarsch und glich aus (54.).
FC St. Pauli geht erneut in Führung – Burgstaller will noch nicht jubeln
Dass nur vier Minuten später wieder St. Pauli führte, war weniger verdient als einfach nur passend zu diesem verrückten Spiel: Wieder war Guido Burgstaller zur Stelle, der diesmal nach Paqaradas Kreuzeck-Kracher zum 3:2 abstaubte und den Finger zum Jubel auf die Lippen legte: Ruhe bitte. Das erzielte logischerweise den gegenteiligen Effekt und ließ die ohnehin schon – und das ist wörtlich gemeint – ohrenbetäubende MDCC-Arena überkochen.
Die Dezibelzahlen bei einem erneuten Ausgleich, für den Conteh (80.), Atik (81.), Amara Condé (84.) und Jason Ceka (89.) die Chancen besaßen, hätten vermutlich ein Spezialgerät zur Messung der Lautstärke erfordert, das dann aber doch nicht gebraucht wurde. Stattdessen waren es St. Paulis mitgereiste 751 Fans, die jubeln durften. Um 20.25 Uhr flog das Konfetti im Gästeblock. Nicht viel, aber ein paar Hände glitzender Schnipsel waren es.
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Und die sorgten für die optische Untermalung dieses akustisch ebenso wie fußballerisch spektakulären Spiels, das St. Pauli nach dem Vorjahres-Aus gegen Elversberg mal wieder in die zweite Pokal-Runde befördert. Beachtlich, wie nüchtern Leart Paqarada da nach Spielschluss bilanzieren konnte: „Die erste Runde zu überstehen, war das Ziel. Das haben wir geschafft.“