Johannes Vogel
  • Johannes Vogel (39) ist Vize-Bundesvorsitzender der FDP.
  • Foto: Florian Quandt

Johannes Vogel: „Die Regierung muss endlich ein klares Ziel festlegen“

Johannes Vogel (39) ist stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. Die MOPO sprach mit ihm über Corona, die Erderwärmung und die Rolle der FDP in diesen wichtigen Politikfeldern.

MOPO: Herr Vogel, das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet, dass die Infektionszahlen in diesem Sommer früher und schneller steigen als im vergangenen Jahr. Und das bei steigender Impfquote. Besorgniserregend?

Johannes Vogel: Wenn wir uns die Zahlen etwas genauer anschauen, sehen wir: Betroffen sind vor allem junge Menschen unter 35, die noch ungeimpft sind. Was einmal mehr unterstreicht, wie wichtig es ist, sich impfen zu lassen!

Das stimmt, allerdings sieht die Realität anders aus. Im Hamburger Impfzentrum ist seit Tagen ziemlich tote Hose …

Um die Menschen davon zu überzeugen, wie wichtig der Schutz ist, muss die Bundesregierung viel kreativer werden. Kanzlerin und Ministerpräsidenten müssen da am Dienstag bei ihrem Treffen liefern.

Johannes Vogel zu Besuch in der Redaktion der Hamburger Morgenpost. Florian Quandt
Johannes Vogel
Johannes Vogel zu Besuch in der Redaktion der Hamburger Morgenpost.

Welche Antworten erwarten Sie?

Neben dem Impfen zwei Dinge: Was ist das langfristige Ziel? Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat zum Beispiel angekündigt, dass er die Maskenpflicht inzidenzunabhängig bis zum kommenden Frühjahr verlängern will. Nun ist die Maske ein mildes und wirksames Mittel, trotzdem ist ein Leben mit ihr natürlich nicht der Normalzustand. Wir müssen deshalb jetzt überlegen: Wann wird der Umgang mit Corona von einer staatlichen zu einer Privatsache? Ein klares Ziel motiviert und schafft Vertrauen. Außerdem ist offenkundig, dass die Inzidenz als alleiniger Indikator ausgedient hat. Hier brauchen wir endlich Klarheit über neue Richtwerte.

„Tests können nicht auf Dauer von der Allgemeinheit bezahlt werden“

Was würden Sie vorschlagen?

Die Begründung für staatliche Maßnahmen trotz eines Impfangebots an alle kann in meinen Augen ja nur gelten, wenn wieder eine Überforderung auf den Intensivstationen droht. Welche Indikatoren hierfür genau die Inzidenz ersetzen oder ergänzen können, müssen Gesundheitsexperten entscheiden. Jens Spahn betont zudem, dass laut RKI-Modellierungen die Impfquote rund zehn Prozent über der jetzigen liegen müsste, um das Infektionsgeschehen trotz Delta-Variante signifikant auszubremsen. Das wäre ja dann mindestens ein Ziel, auf das die Regierung sich festlegen sollte.

Während Sie von einer Art Pandemie-Privatisierung sprechen, fordert Ihr Parteikollege Wolfgang Kubicki genau das Gegenteil: Er will, dass Corona-Tests weiterhin vom Staat bezahlt werden. Das passt doch nicht zusammen.

Ich bin der Meinung, dass die Tests nicht auf Dauer von der Allgemeinheit bezahlt werden können. Aber bis man sie kostenpflichtig macht, müssen zwei Dinge gewährleistet sein: Wir müssen sicher sein, dass alle, die wollten, auch wirklich schon zweifach geimpft sind und den vollen Schutz haben. Und wir müssen unbürokratisch garantieren, dass es für diejenigen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können, weiterhin kostenlose Tests gibt.

Wolfgang Kubicki kritisiert die Bundesregierung für eine vermeintliche Impfpflicht und spricht von „Wortbruch“. picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt
Wolfgang Kubicki
Wolfgang Kubicki (FDP) kritisiert die Bundesregierung für eine vermeintliche Impfpflicht und spricht von „Wortbruch“.

Wolfgang ist für spitze Formulierungen bekannt, aber er ist auch Jurist und Innenpolitiker. Und er weist zurecht darauf hin, dass Verfassungsrechtler eine Differenzierung zwischen Getesteten und Geimpften schwierig finden. Denn wenn wir über Grundrechtseinschränkungen sprechen – und nichts anderes sind die Corona-Maßnahmen – kann der Maßstab nur sein: Ist man eine Gefahr für sich und andere? Wenn das Geimpfte und Getestete gleichermaßen wahrscheinlich nicht sind, dann ist eine Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich kaum zu rechtfertigen.

„Die Regierung droht lieber statt Anreize zu schaffen“

Wolfgang Kubicki interpretiert die Abschaffung der kostenlosen Tests allerdings als Impfpflicht durch die Hintertür. Er hat sogar von einem „dreisten Wortbruch der Bundesregierung“ gesprochen. Tests haben zum Teil eine hohe Fehleranfälligkeit…

Ich habe von Karl Lauterbach gelernt, dass die Tests bei Delta sogar genauer als bisher sind, weil Delta-Infizierte eine höhere Viruslast in sich tragen. Eine Ungleichbehandlung überzeugt mich deshalb nicht. Die Bundesregierung droht lieber anstatt Anreize zu schaffen.

Anreize wie die Bratwurst in Thüringen? Kann uns Bratwurst vor der vierten Welle bewahren?

Es gibt Befragungen von Ungeimpften, die uns zeigen: Ein ganz deutlicher Teil lehnt die Impfung gar nicht grundsätzlich ab. Das heißt, dass Anreize und Aufklärung wirken können.

Was wäre Ihr Weg, um die Herdenimmunität zu erreichen?

1. Klarstellen, was abgesehen vom Schutz für Leib und Leben die enormen Vorteile des Impfens etwa beim Reisen sind. 2. Sich nicht über die Bratwurst lustig machen, sondern anerkennen, dass solche Anreize helfen. Das Impfzentrum in Thüringen hat mit der Bratwurst-Aktion die Impfzahlen an dem Tag verdoppelt. Außerdem müssen wir flächendeckend da hingehen, wo junge Leute sind. Warum impfen wir nicht stärker an ÖPNV-Knotenpunkten? Warum nicht noch mehr in Clubs? 3. Brauchen wir mehr Aufklärung. Ich treffe immer noch Bürger, die grundsätzlich offen fürs Impfen sind, die aber Vorbehalte gegenüber den mRNA-Impfstoffen haben.

Brauchen wir nicht beides? Zuckerbrot und Peitsche? Es gibt schließlich von staatlicher Seite eine Pflicht zur Gefahrenabwehr.

Warum droht die Regierung, bevor wir es mit Überzeugen überhaupt richtig versucht haben? Ich finde, dass da ein merkwürdiges Menschenbild hintersteht. Als Liberaler sage ich zudem: Die Verfassung gilt auch in der Pandemie.

Haben Sie eigentlich das Gefühl, dass dieser merkwürdige Pannen-Wahlkampf die Lösungsfindung in der Pandemie überlagert?

Ich habe das Gefühl, dass wesentliche Fragen in diesem Wahlkampf generell überlagert werden. Wir reden über 1001 Nebensächlichkeiten und widmen uns viel zu wenig zentralen politischen Herausforderungen unserer Zeit, wie dem Klimaschutz, der Rente oder der Digitalisierung.

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Die FDP hat in ihrem Wahlprogramm als einzige Partei erst das Datum 2050 für die Klimaneutralität Deutschlands stehen. Gleichzeitig brennen Wälder, kämpfen wir mit den Folgen der Jahrhundertflut. Ist Ihr Ziel nicht viel zu wenig ambitioniert?

Wenn die Debatte so weiterläuft, dass sich alle mit irgendwelchen Zieldaten unterbieten, statt über den konkreten Weg zur Klimaneutralität zu sprechen, dann bringt das für den Klimaschutz gar nichts. Ankündigungsweltmeisterei hilft niemandem. 

Sondern?  

Wir müssen den CO2-Ausstoss aus allen Lebensbereichen verbannen. Das 1,5-Grad-Ziel von Paris ist für uns die Richtschnur.

„Wir brauchen eine harte Klimaordnungspolitik“

Aber konkrete Vorgaben scheut Ihre Partei … 

Das 1,5-Grad-Ziel von Paris ist eine sehr konkrete Vorgabe und steht in unserem Wahlprogramm. Um es zu erreichen, brauchen wir endlich eine harte Klimaordnungspolitik und einen dichten Deckel für Emissionen. Beim Treibhausgas FCKW hatte die Politik damals auch nicht planwirtschaftlich geregelt, welches Kühlmittel künftig in Kühlschränke soll, sondern ein Ende des FCKW festgelegt und die Industrie wusste, dass sie liefern muss.  

Allerdings ist das Problem heute weit komplexer als damals beim FCKW …   

Umso wichtiger, sich anzuschauen, was funktioniert: Unser Vorschlag des CO2-Deckels mit Zertifikatehandel ist die einzige Klimaschutzmaßnahme in Europa, die ihre Ziele übertrifft. Es gibt sie nur bisher nicht für alle Lebensbereiche. Wir brauchen natürlich auch zusätzliche Maßnahmen: Der Staat muss zum Beispiel Schnellladesäulen für E-Mobilität viel entschiedener fördern. Und Nordafrika könnte uns Wasserstoff aus Sonnenenergie liefern, den wir in großen Mengen für klimaneutrale Technologien beim Fliegen oder der Stahlproduktion brauchen.

Für Johannes Vogel ist der Klimawandel die größte politische Herausforderung dieser Zeit. Florian Quandt
Johannes Vogel (FDP)
Für Johannes Vogel ist der Klimawandel die größte politische Herausforderung dieser Zeit.

Also nicht Vorgaben, sondern die Technologie soll es regeln? 

Also, wenn die Reduktion des CO2-Ausstoßes auf Null keine knallharte Vorgabe ist, dann weiß ich auch nicht. Die gute Nachricht ist: Die für die Klimaneutralität notwendige Technik gibt es heute schon. Wir müssen ihr aber stärker zum Durchbruch verhelfen.

Was halten Sie von der Grünen-Idee eines Klimaschutzministeriums mit Vetorecht?

Mich überzeugt das Vetorecht nicht. Es reicht längst nicht mehr aus, nur Quatsch zu verhindern. Dafür ist die Aufgabe zu groß. Die Erderwärmung zu stoppen, ist die größte politische Herausforderung unserer Zeit. Deutschland muss ein Beispiel geben, dass Wohlstand und Klimaschutz zusammengehen. Sonst werden uns die Schwellenländer nicht folgen. Aber wenn große Regionen aus dem Klimaschutz aussteigen, sind wir gescheitert – das darf nicht passieren!

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