Bushaltestelle Briefkasten
  • An dieser Bushaltestelle wird niemals ein Bus halten.
  • Foto: Freya M. Baier

An dieser Haltestelle hält nie ein Bus

Ein weißes Schild mit einem grünen H auf einem gelbem Kreis – kennt man. Es kennzeichnet eine Bushaltestelle. Nervig, wenn sich der Bus mal verspätet oder gar ausfällt. Aber für zwölf Seniorinnen und Senioren einer Wohngemeinschaft in Henstedt-Ulzburg (Kreis Segeberg) ist das kein Problem. Sie sitzen seelenruhig an einer Haltestelle und warten auf einen Bus, der niemals kommen wird. Die Bewohner:innen sind dement.

Die Vorstellung, ein Familienmitglied, Freunde oder Verwandte könnten an Demenz erkranken, möchte sich niemand ausmalen. Betroffene erinnern sich an vieles nicht mehr, vergessen Namen oder gar die Existenz ihrer Liebsten. Viele Demenzkanke leben mit fortschreitender Erkrankung mehr und mehr in der Vergangenheit und möchten aus der für sie nun ungewohnten Umgebung flüchten. Sie büxen deshalb oft aus.

„Menschen mit kognitiven Einschränkungen können oft noch Informationen über ihr Langzeitgedächtnis abrufen. Viele haben früher auf den Bus gewartet, um nach Hause zu kommen“, so Petra Henry-Könnemann, Teamleitung einer Demenz-WG an der Kreuzkirche der Diakonie Altholstein. „Mit der Scheinhaltestelle möchte die Diakonie Altholstein es den Bewohner:innen ermöglichen, den Drang sich „wegzubewegen“ zu verringern und eine sichere Umgebung zu schaffen“, erklärt Jacqueline Hille, ebenfalls Teamleitung der Demenz-WG.

Adolf Evers, ein Bewohner der Wohngemeinschaft, und Jacqueline Hille, Teamleitung, gehen gemeinsam zur Scheinbushaltestelle. Freya M. Baier
Adolf Evers, ein Bewohner der Wohngemeinschaft, und Jacqueline Hille, Teamleitung, gehen gemeinsam zur Scheinbushaltestelle.
Adolf Evers, ein Bewohner der Wohngemeinschaft, und Jacqueline Hille von der Teamleitung gehen gemeinsam zur Scheinbushaltestelle.

Petra Henry-Könnemann hatte eine Beobachtung gemacht, die sie auf die Idee der Scheinbushaltestelle brachte. Ihr fiel auf, dass einige der Bewohner:innen öfter auf einer Bank im Eingangsbereich saßen. „Immer wenn ich gefragt habe, warum sie denn da sitzen, sagten sie mir, dass sie auf den Bus warten“, berichtet die Betreuerin. Daraufhin kam ihr die Idee einer Scheinbushaltestelle. In Zusammenarbeit mit den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein (VHH) entstand dann die Haltestelle. „Demenz ist ein Thema, das uns alle angeht. Denn die Krankheit kann jeden treffen. Wir freuen uns, wenn wir mit so einfachen Mitteln dazu beitragen können, dass es Betroffenen, zumindest für einen Moment, besser geht“, sagt Susanne Rieschick-Dziabas, VHH-Marketingleiterin. Nun steht im Garten der Demenz-WG ein typisches Haltenstellenschild.

Neben der Scheinhaltestelle befindet sich auch ein Scheinbriefkasten

Auf dem Weg zur Bushaltestelle können die Frauen und Männer aus der Demenz-WG zudem noch ihre Post wegbringen, denn die Deutsche Post spendete einen großen gelben Briefkasten. „Die Deutsche Post ist überall in der Region zu Hause. Wir übernehmen sehr gerne soziale Verantwortung. Wenn wir hier durch das Aufstellen eines Briefkastens dazu beitragen können, dass die Bewohner:innen der diakonischen Einrichtung gewohnte Alltagssituationen wie das Einwerfen von Briefen erleben können, tun wir dies sehr gerne“, sagt Gerrit Karp, Betriebsleiter für die Brief- und Paketzustellung des Zustellstützpunktes Pinneberg der Deutschen Post.

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Rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland leben laut Bundesgesundheitsministerium mit einer demenziellen Erkrankung. Die Idee, eine Scheinbushaltestelle zu errichten, um den Betroffenen eine vertraute Umgebung zu schaffen, ist nicht neu. In Eidelstedt wurde ein solcher Busstopp ebenfalls im Garten einer Seniorenresidenz eingerichtet. Auch in Schwerin, Rostock-Evershagen, Düsseldorf, Fürth, Wuppertal, Dortmund, München und Köln heißt es bereits: „Endstation: Scheinhaltestelle“.

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