• Oxiliene Morency weint vor Trauer, nachdem die Leiche ihrer siebenjährigen Tochter Esther Daniel aus den Trümmern ihres durch das Erdbeben zerstörten Hauses in Les Cayes, Haiti, geborgen wurde.
  • Foto: Joseph Odelyn/AP/dpa

Mehr als 700 Tote bei Erdbeben: Warum immer wieder Haiti?

Erst das politische Drama, jetzt ein Erdbeben: Haiti ist ein zerstörtes Land. Immer wieder verlieren die Menschen hier das Wenige, was sie besitzen – oder sogar ihr Leben durch Naturkatastrophen. Mehr als 700 Menschen starben, als am Samstag wieder die Erde bebte. Dass das ausgerechnet hier immer wieder passiert, überrascht Experten allerdings nicht.

„Das Land liegt am Rande einer großen tektonischen Platte, der Karibischen Platte“, erläutert Marco Bohnhoff vom Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ). Die bildet eine Art „Knautschzone“ zwischen vier wesentlich größeren tektonischen Platten – vor allem der Nordamerikanischen Platte.

Entscheidend für die Stärke des Erdbebens, dessen Zentrum zehn Kilometer unter der Oberfläche lag, ist laut Bohnhoff die Bruchfläche: Sie beträgt auf einer Länge von 70 Kilometern senkrecht etwa 20 Kilometer. „Das Problem ist, dass das Beben fast bis an die Oberfläche gereicht hat.“

Eine Frau steht vor einem zerstörten Haus nach einem Erdbeben in Les Cayes. Duples Plymouth/AP/dpa
Eine Frau steht vor einem zerstörten Haus nach einem Erdbeben in Les Cayes.

Das Erdbeben mit der Stärke 7,2 hat die Karibische Platte um etwa 1,5 Meter verschoben – „hauptsächlich zur Seite, aber mit einer vertikalen Komponente“. Dabei wurde schlagartig Energie freigesetzt, die sich durch die jahrelange Bewegung der Nordamerikanischen Platte nach Westen mit etwa 20 Millimetern pro Jahr zur Karibischen Platte aufgestaut hatte.

Haiti ist extrem verwundbar

Aber Haiti liegt tektonisch gesehen nicht nur unglücklich – es ist auch über der Erde extrem verwundbar. Das liegt einmal an der Bevölkerungsdichte und auch an der Bauweise. Das Zentrum des ähnlich starken, verheerenden Erdbebens von 2010 in Haiti lag unter der Hauptstadt Port-au-Prince – einem Ballungsraum mit mehr als zwei Millionen Einwohnern.

Bei der furchtbaren Katastrophe vor elf Jahren wurden 230.000 Menschen getötet, 300.000 verletzt und große Teile der Infrastruktur erheblich beschädigt. Bei dem aktuellen Beben ist als große Stadt Les Cayes mit mehr als 90.000 Einwohnern in etwa 35 Kilometern Entfernung zum Epizentrum betroffen.

Haiti: Ein Viertel der Menschen lebt unter der Armutsgrenze

Das Problem: Die Menschen in Haiti sind extrem arm. Und wer nicht weiß, wie er seine Familien ernähren soll, kann sich eine erdbebensichere Bauweise schon gar nicht leisen. Tragisch: Zum Schutz vor Tropenstürmen sind Häuserdecken in vielen Gebäuden besonders massiv – was im Falle eines Erdbebens fatal ist.

Haitis Armutsquote liegt nach den aktuellsten offiziellen Statistiken aus dem Jahr 2012 bei 25 Prozent. Das Pro-Kopf-BIP lag 2017 bei nur 766 US-Dollar – das entspricht weniger als einem Zehntel des Durchschnitts in Lateinamerika und der Karibik. Schätzungsweise 2,6 Millionen der etwa elf Millionen Haitianer:innen waren laut Care International im Jahr 2019 auf humanitäre Hilfe angewiesen. Doch Not und Elend der Menschen scheinen den Rest der Welt kaum zu interessieren – wenn gerade keine großen Katastrophen in Haiti passieren, bleiben die Probleme des Landes größtenteils unbeachtet.

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Dem „Spiegel“ berichtet die Menschenrechtsaktivistin Rosy Auguste Ducena von ihren Erlebnissen. Sie gehört einem Netzwerk an, das die Situation vor Ort beobachtet. „Die Verantwortlichen im Land haben aus den Erfahrungen des Jahres 2010 nicht viel gelernt. Es herrscht immer noch Amateurismus und die Zentralregierung tappt immer noch im Dunkeln“, erzählt sie.

Und die Lage wird schlimmer, nicht besser: Der Zivilschutz hat darauf hingewiesen, dass der Tropensturm „Grace“ auf Haiti zurast. Der Sturm könnte das gebeutelte Land nochmals furchtbar treffen.

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