Jugendliche impfen? Der Nutzen überwiegt die Risiken, sagt Hamburger Ärztin
Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat sich nicht drängen lassen, sondern sich für die Empfehlung, jetzt auch Jugendliche ab zwölf Jahren gegen Covid-19 impfen zu lassen, Zeit genommen. Viele Eltern waren verunsichert. Politiker aus allen Parteien wollten eine schnelle Entscheidung, die Ärzte waren abwartend. Über die Entscheidung und die Risiken einer Impfung für Jugendliche haben wir mit Dr. Birte Jungfer gesprochen. Sie ist Fachärztin für Gefäß- und Herzchirurgie im Cardiologicum in Wandsbek.
MOPO: Zunächst einmal: Wie kommt eine Gefäß- und Herzchirurgin zum Impfen?
Dr. Birte Jungfer: Seit im April dieses Jahres alle Facharztpraxen aufgerufen wurden, sich an der Impfkampagne zu beteiligen, sind wir dabei. Als große kardiologisch und gefäßmedizinisch orientierte Praxis ist bei uns der Altersdurchschnitt der Patienten sehr hoch. Zu Beginn der Impfkampagne sollten die älteren Menschen geimpft werden. Wir waren uns im Cardiologicum schnell einig, dass wir bei der Impfkampagne dabei sein wollen. Mir war und ist es auch ganz persönlich ein Anliegen, möglichst bald aus dieser Pandemie heraus und wieder zu einem normalen Leben zurückzufinden. Ich bin überzeugt, dass dieses nur mit Impfungen möglich ist.
Wie viele Menschen konnten bei Ihnen schon geimpft werden?
Durch unsere große Praxisstruktur mit vielen Kolleginnen und Kollegen waren wir in der Lage, ein großes Impfangebot zu starten – aktuell können wir bis zu 1000 Impfungen pro Woche durchführen. Seit Beginn haben wir über 10.600 Menschen geimpft.
Die STIKO hat sich lange Zeit gelassen mit ihrer Entscheidung, die Impfung jetzt auch für Zwölf- bis 17-Jährige zu empfehlen. Bislang wurde die Impfung nur für bestimmte Jugendliche empfohlen, die etwa Vorerkrankungen haben. War das für Sie auch die Nachricht der letzten Tage?
Persönlich hätte ich mir die Entscheidung auch früher gewünscht. Die Inzidenzen sind aktuell vor allem bei Jugendlichen hoch und steigend. Außerdem ist das Ausmaß ernster Verläufe durch die Delta-Variante noch nicht absehbar. Erste Hinweise aus den USA sind hier auch für Jugendliche bedenklich und auch die Krankenhäuser füllen sich. Die Sommerferien sind zu Ende und alle sind aus der Ferien in die wieder vollständig geöffneten Schulen zurückgekehrt. Mit steigenden Zahlen unter Schülern ist zu rechnen. Hamburg ist durch den frühen Schulbeginn dieses Jahr der Vorreiter. Aber: Ich habe mich sehr über die neue Bewertung der STIKO gefreut.
Laut STIKO gibt es neue wissenschaftliche Daten aus dem Impfprogramm der USA. Ist es plausibel, dass diese Daten den Ausschlag geben?
Ja. In den USA wird schon länger und mehr geimpft, vor allem auch Jugendliche, sodass hier schon mehr Daten hinsichtlich Impfreaktionen und Impfnebenwirkungen vorliegen. Es gibt Meldungen über Herzmuskelentzündungen bei Jugendlichen nach der Impfung mit einem mRNA-Impfstoff. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum viele Sorge hatten, ihre Kinder impfen zu lassen. Aber: Letztlich wurde jetzt herausgefunden, dass das Risiko einer Myokarditis nach einer Infektion mit dem Coronavirus bei jungen Männern sechs Mal, bei gleichaltrigen Mädchen sogar 20-mal höher ist als nach einer Impfung. Daher spricht eigentlich nichts mehr gegen eine Impfung.
Leiden auch Jugendliche an Long-Covid?
Bislang war die Einschätzung, dass Corona Kindern und Jugendlichen vergleichsweise nicht so viel anhaben kann. Nur 0,01 Prozent der bekannten Infizierten in dieser Altersgruppe mussten auf die Intensivstation. Auch die Todesfälle liegen im einstelligen Bereich. Was hat nach Ihrer Einschätzung den Ausschlag gegeben, nun doch die Impfung zu empfehlen? Hat es vielleicht mit Long-Covid zu tun?
Es ist zweierlei. Bei Jugendlichen haben 50 Tage nach einer Erkrankung noch zwei Prozent angegeben, unter Symptomen zu leiden. Dazu gehören Luftnot, eingeschränkte Belastbarkeit, Konzentrationsschwäche sowie Störungen des Geschmacks- und Geruchssinns. Dauern diese Beschwerden länger als vier Wochen an, spricht man vom Long-Covid-Syndrom. Nicht zu vergessen ist auch, dass auch Jugendliche ein Risiko haben, einen schweren Krankheitsverlauf zu nehmen. In den letzten 2,5 Monaten wurden 408 Jugendliche mit dem PIMS, dem pädiatrischen inflammatorischen Multiorgansyndrom, in Deutschland gemeldet. Das heißt, dass mehr als ein Organ durch die Infektion betroffen war und einige diese Kinder und Jugendlichen auch auf der Intensivstation behandelt werden mussten. Machen wir uns nichts vor: Virologen wie Christian Drosten erwarten, dass jeder Mensch mit dem Coronavirus in Kontakt kommen wird – entweder durch die Impfung oder durch eine Infektion. Anders gesagt: Wer nicht geimpft ist, wird sich infizieren und ggf. auch erkranken. Und wir wissen jetzt durch viele Zahlen, was eine Erkrankung anrichten kann. Eine Impfung hat im Vergleich dazu ein wesentlich geringeres Risiko – nämlich nur seltene und gut behandelbare Nebenwirkungen. Ich rate jedem, der kann, sich impfen zu lassen.
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Hat die STIKO zu lange gewartet?
Die STIKO hat sich nicht drängen lassen. Sie benötigt valide Studien mit ausreichenden Zahlen für ihre Empfehlung. Die Flut an neuen Erkenntnissen in dieser Pandemie ist ja sehr eindrücklich. Da gibt es täglich Neues. Was ich aber in der Diskussion um die Impfung von Jugendlichen sehr unglücklich fand, war, dass die STIKO nicht mitgeteilt hat, dass die fehlende Empfehlung nicht mit einem Impfverbot gleichzusetzen war. Der Impfstoff von Biontech ist seit Ende Mai für Jugendliche ab 12 Jahren zugelassen und darf entsprechend auch verimpft werden.
Haben Sie schon Jugendliche geimpft?
Ja. Seit Zulassung von Biontech haben wir schon Jugendliche geimpft. Bisher ist die Resonanz der Eltern und auch der Jugendlichen ausschließlich positiv. Die meisten Eltern haben sich gefreut, jemanden gefunden zu haben, der die Impfung bei ihren Kindern durchführt.
Was empfehlen Sie Eltern, die noch unsicher sind?
Wichtig ist die Aufklärung durch einen Arzt oder eine Ärztin des Vertrauens. Das kann der Kinderarzt oder der Hausarzt sein.
Kann sich ein Jugendlicher nur in Begleitung seiner Eltern impfen lassen?
Der aufklärende Arzt oder die Ärztin muss sich ein Bild über die Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen machen. Bei den 16- bis 17-Jährigen kann man üblicherweise davon ausgehen, dass sie diese Entscheidung selbstständig und eigenverantwortlich treffen können. Ebenso bei vielen 12- bis 15-Jährigen. Rein juristisch ist die Einwilligung der Eltern, wenn man als Arzt von der Einsichtsfähigkeit überzeugt ist, aber nicht zwingend notwendig. Wir im Cardiologicum wünschen uns aber die Anwesenheit der Eltern.
Sind bald die unter 12-Jährigen dran?
Wann kommt die Impfung für die unter 12-Jährigen?
Es laufen Studien dazu, aber noch gibt es keine konkreten Hinweise, wann mit einer Zulassung eines Impfstoffes für unter Zwölfjährige zu rechnen ist. Soweit ich weiß, erwartet Biontech erste Ergebnisse im September. Wichtig ist derzeit vor allem, dass zum Schutz der Kinder alle Erwachsenen und Jugendlichen geimpft werden.
Bei den Geimpften gibt es zwei Gruppen: Die einen hatten Impf-Nebenwirkungen, die anderen nicht. Jetzt fragen sich vielleicht diejenigen, die gar nichts gemerkt haben, ob sie ausreichend geschützt sind. Kann man das überprüfen lassen?
Nein, überprüfen kann man das nicht. Man kann allerdings Antikörper im Blut bestimmen. Aktuell fehlen jedoch die notwendigen Daten, um mit den gemessenen Werten Aussagen über mehr oder weniger Infektionsschutz treffen zu können. Es macht also keinen Sinn, jetzt zum Arzt zu laufen und sich Blut abnehmen zu lassen. Man geht davon aus, dass auch bei einem niedrigen Antikörper-Titer ein guter Impfschutz besteht. Neben der Bildung von Antikörpern spielen auch noch weitere Mechanismen in unserem Immunsystem eine Rolle. Bei einer Grippe-Impfung ist es ja genauso: Nicht alle liegen mit heftigen Krankheitssymptomen flach.
Wann müssen wir alle zu einer dritten Impfung?
Gibt es schon ausreichende Informationen darüber, ob wir alle zu einer Auffrischung müssen? Wenn ja, wann?
Nach aktuellem Stand ist die dritte Impfung erst einmal für Corona-Risikopatienten vorgesehen. Das RKI hat gerade gemeldet, dass es bei insgesamt 50 Millionen Impfungen zu etwa 11.000 so genannten Impfdurchbrüchen gekommen sei. Also Geimpfte sind trotzdem an Corona erkrankt. Bei den über 60-Jährigen mussten dann 750 ins Krankenhaus. Da macht man sich dann schon Gedanken und ich denke, es ist auch sinnvoll, zunächst den über 60-Jährigen eine 3. Impfung anzubieten. Geimpft werden soll mit einem Abstand von sechs bis zwölf Monaten nach der zweiten Impfung. Soweit ich informiert bin, haben die Gesundheitsminister von Bund und Ländern beschlossen, diese Auffrisch-Impfungen im September zu starten. Ich persönlich glaube aber, dass wir alle zu einer weiteren Impfung aufgerufen werden.
Es besteht ja kein Impfzwang in Deutschland. Aber es wird immer mehr Einschränkungen für Nicht-Geimpfte geben. Ist das aus medizinischer Sicht sinnvoll? Die 2G-Regel wird ja schon vielerorts angewandt.
Das ist eigentlich keine medizinische Frage. Ich hatte es schon gesagt: Es ist zu erwarten, dass sich jeder Ungeimpfte früher oder später mit dem Virus infiziert. Die Geschwindigkeit dieser Durchseuchung wird möglicherweise reduziert, wenn Ungeimpfte nicht an allen Aktivitäten teilnehmen können. Die 2G-Regel sorgt eigentlich eher für einen Schutz der Ungeimpften und gibt Geimpften ihre Freiheit zurück. Noch einmal: Man muss sich klar werden, dass man diesem Virus nicht entkommen kann.
Hören Sie auch den Podcast dazu
Dieses Interview ist ein Auszug aus der aktuellen Folge des MOPO-Gesundheitspodcasts „Butter bei die Nierchen“. Diesen hören Sie überall, wo es Podcasts gibt, und auch gleich hier unten. Klicken Sie einfach auf den Player. Dort geht Dr. Birte Jungfer noch näher auf mRNA als Wirkstoff ein, den es eigentlich schon seit 2017 gibt, und erklärt die Wirkungsweise.