Taliban
  • Ein Taliban-Kämpfer in Kabul
  • Foto: picture alliance/dpa/AP

Wie stehen Taliban, IS und Al-Kaida zueinander?

Nach den Anschlägen vor dem Kabuler Flughafen, bei dem Stand Freitagabend laut „New York Times“ 170 Menschen starben, darunter 13 US-Soldaten, wird dem Westen immer klarer: Die Lage in Afghanistan ist noch komplexer, verworrener und gefährlicher als so manche sich das ausgemalt haben. Nicht nur sind die Taliban wieder an der Macht, nun droht auch noch ein Comeback des „Islamischen Staates“ (IS), der sich zu den Anschlägen bekannt hat. Und dann wären da noch Al-Kaida und die Rebellen im legendären Pandschirtal. Ganz zu schweigen von ausländischen Playern.

Unter den Todesopfern der beiden Explosionen am Donnerstag sollen auch mindestens 28 Taliban gewesen sein. Dies erklärte zumindest ein Sprecher der neuen Machthaber, damit hätten sie mehr Einsatzkräfte verloren als die USA. Experten befürchten nun nicht nur die Folgen der Herrschaft der fundamentalistischen Taliban, sondern zeichnen das Schreckensbild einer bürgerkriegsähnlichen Situation, bei der verschiedenste Gruppen sich gewaltsam bekämpfen und sich gleichzeitig radikalisieren. So nannte Afghanistan-Experte Thomas Ruttig vom „Afghanistan Analysts Network“ beim Sender Phoenix die Taliban und den IS „Rivalen auf dem Kampffeld“.

Taliban, IS und Al-Kaida lehnen alle „westliche Werte“ ab

Also, wie stehen die islamistischen Gruppen zueinander? Was Taliban, IS und Al-Kaida verbindet: Sie lehnen all das ab, was gemeinhin als „westliche Werte“ bezeichnet wird. Die USA sind der Erzfeind, die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau wird abgelehnt. Grundlage gemeinschaftlichen Lebens soll die Scharia sein, das islamische Recht.

Was den IS fundamental von Al-Kaida unterscheidet: Sie waren nie mit den Taliban verbündet. Die hatten einst Al-Kaida und Osama bin Laden unterstützt und ihnen Zuflucht in ihrem Land gewährt. „Der IS ist ein Feind der Taliban“, sagte etwa Terrorismus-Forscher Peter Neumann in den Tagesthemen der ARD. Sie verträten einen „Alleinvertretungsanspruch“. Eine Kritik an den Taliban: Sie seien zu moderat geworden, zu verweichlicht, einige IS-Mitglieder dürften sie gar als „Ungläubige“ sehen.

IS-Ableger für etliche Anschläge der vergangenen Jahre verantwortlich

Der afghanische Ableger des IS soll für etliche Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul und anderen Großstädten des Landes wie Masar-e Scharif verantwortlich gewesen sein. Ursprünglich wurde der „Islamische Staat – Provinz Khorasan“ von islamistischen Taliban aus Pakistan gegründet. Das war im Jahr 2015. Bald schlossen sich IS-Kämpfer aus Syrien und Irak an.

Gestützt wurde die Gruppe vermutlich auch vom pakistanischen Staat, zumindest aber geduldet. Gleichzeitig soll der pakistanische Geheimdienst aber auch weiter die Taliban unterstützt haben. „In Pakistan überwiegt die Freude über den Sieg der Taliban, denn Pakistan ist deren Ziehvater“, sagte jüngst Südasien-Experte Christian Wagner in der „Taz“. Und warum stützte der östliche Nachbar sowohl Taliban als auch IS? Beide waren Feinde der afghanischen Regierungen nach 2001. Die wiederum alle ein gutes Verhältnis zu Indien pflegten, dem Erzfeind Pakistans.

Wie mächtig ist der IS in Afghanistan?

Und wie mächtig ist der afghanisch-pakistanische IS-Ableger? Erst Anfang Mai starben bei einem Dreifach-Anschlag auf eine Mädchenschule in Kabul mehr als 90 Menschen. Alle Opfer gehörten der schiitischen Volksgruppe an, weswegen schnell der Verdacht auf den IS fiel. Die sunnitische Gruppe attackierte die vergangenen Jahre gezielt Schiiten in der Region.

In den vergangenen Jahren unterstützte das US-Militär teils sogar indirekt Taliban, die gegen IS-Splittergruppen vorgingen, etwa mit Drohnen-Angriffen. Im April 2017 bombardierten sie IS-Rückzugsgebiete in der östlichen Provinz Nangarhar, die daraufhin von Taliban angegriffen wurden. Die Einschätzungen zur Mannstärke des IS-Ablegers gehen teils stark auseinander. Manche sprechen von nur 500 bis 1500 Kämpfern. Zugleich hieß es in einem Bericht an den UN-Sicherheitsrat aus dem Juli dieses Jahres, dass sie überall im Land Schläferzellen unterhielten. Auch der Anschlag in Kabul war im Vorfeld fast schon erwartet worden. Zuletzt hatte US-Präsident Joe Biden vergangenen Dienstag vor der Möglichkeit gewarnt.

Afghanistan könnte im Chaos versinken

Während Al-Kaida derzeit (noch) geschwächt erscheint, könnte also nun ein Machtkampf in Afghanistan ausbrechen zwischen den Taliban und dem IS. China und Russland, die im Gegensatz zu den westlichen Mächten ihre Botschaften weiter besetzt halten und auf Diplomatie und Wirtschafts-Beziehungen zu den Taliban setzen, haben da eine klare Erwartungshaltung: Die neuen Machthaber sollen den IS zurückdrängen. Wladimir Putin etwa fürchtet, dass mutmaßlich islamistisch eingestellte Tschetschenen beim IS ausgebildet werden könnten. Die wiederum Anschläge in Russland verüben könnten.

Im Pandschirtal indes, nordöstlich von Kabul, haben sich ehemals regierungstreue Rebellen versammelt. Offenbar wollen einige nun doch zurückschlagen, nachdem das Land zunächst kampflos an die Taliban übergeben wurde. Die Milizionäre sollen große Teile des legendären Tals bereits zurückerobert haben. Legendär übrigens, weil es schon zu Zeiten der sowjetischen Besatzung als nahezu uneinnehmbar galt.

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Das Land droht im Chaos zu versinken. Von Stabilität dürfte lange keine Rede sein. Aus westlicher Sicht könnte dies vor allem die Gefahr von erstarkten Terror-Gruppen mit sich bringen. Dann wäre auch in diesem Punkt der Afghanistan-Krieg nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt gewesen.

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