Virologe Drosten rechnet mit neuen Einschränkungen
Die deutsche Impfkampagne ist ins Stocken geraten, die erstrebte Impfquote längst nicht erreicht. Was hat das für Auswirkungen auf den kommenden Herbst? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie viele Menschen in Deutschland sind bislang geimpft? Bislang hat erst 61 Prozent der Gesamtbevölkerung den vollständigen Schutz. Das Problem: Im August hat die Impfquote nur noch um rund 10 Prozentpunkte zugenommen. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) haben von den über 60-Jährigen bislang nur 83 Prozent den vollen Impfschutz. Bei den Erwachsenen zwischen 18 und 60 Jahren liegt die Quote bei 65 Prozent. Bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 sind es 21 Prozent.
Nach RKI-Berechnungen müssen aber mindestens 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen und 90 Prozent der Senioren ab 60 Jahren vollständig geimpft sein. Nur so kann eine neue Welle mit vollen Intensivstationen im Herbst und Winter verhindert werden.
Corona-Welle verhindern: Impfquote in Deutschland muss erhöht werden
Kann die Politik die Impfquote durch weitere Angebote erhöhen? Der Berliner Charité-Virologe Christian Drosten bezweifelt das. Durch Impfangebote alleine könne Deutschland keine akzeptable Impfquote in der Corona-Pandemie erreichen. Hauptgrund sei eine gewisse Gleichgültigkeit in der Bevölkerung, sagte Drosten.
In Amerika versucht man die Menschen durch Geschenke zu locken: Geld, ein Jeep, Joints – je nach Bundesstaat sehen die Präsente anders aus. Zudem werben Promis für die Corona-Impfungen. In Bayern gibt es Bratwürstchen, in Hamburg lockte man Ungeimpfte mit Musikprogramm und Drinks in die Messehallen. Auch in der Elbphilharmonie sowie beim FC St. Pauli wurde schon geimpft.
Doch letztendlich müsse die Dringlichkeit der Immunisierung vermittelt werden, so Drosten. Er glaubt, es gebe eine grundsätzliche Offenheit fürs Impfen: „Ich würde nur ganz wenigen nicht geimpften Personen im Moment unterstellen, dass die jetzt vollkommen verrückte Geschichten glauben.“
Warum ist die Impfquote in Portugal (75,40) oder Spanien (72,60) höher? Für Drosten ist klar: Aufgrund der härteren Erfahrungen während der Pandemie. „Die haben eine schreckliche gesamtgesellschaftliche Erfahrung hinter sich. Viele Tote und einen richtigen Lockdown, wo man nur zum Einkaufen mit Begründung nach draußen darf, und auf der Straße patrouilliert das Militär,“ so der Virologe. Das sei ein wirklicher Lockdown. „Das haben wir in Deutschland nicht erlebt.“
Drosten: Kontaktbeschränkungen im Herbst möglich
Was bedeutet die stockende Impfquote für die kommenden Monate? Deutschland werde im Herbst „mit Sicherheit“ wieder Kontaktbegrenzungen brauchen, so Drosten. „Gelassen in den Herbst zu gehen, ist eine gewagte Vorstellung“, sagte er. Die Politik habe eine schwere Aufgabe vor sich und müsse bald konsequente Entscheidungen treffen.
Mit Blick auf die Zahl von Corona-Patienten in Krankenhäusern zeigte sich Drosten ebenfalls wenig optimistisch. Er rechne damit, dass die Entwicklung sowohl Intensivstationen als auch die anderen Stationen und Notaufnahmen belasten werde. Für Ungeimpfte über 60 Jahre sei es ein „riesiges Risiko“, ungeimpft in diesen Herbst zu gehen.
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Wie reagiert der Gesundheitsminister? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat noch zögernde Bürger dazu aufgerufen, Angebote für die Impfungen möglichst bald wahrzunehmen. „Jetzt im September entscheiden wir darüber, und zwar in Deutschland und Europa, wie sicher wir durch Herbst und Winter kommen“, sagte Spahn am Sonntag in Rom am Rande eines G20-Treffens der Gesundheitsminister. Um sicher durch die nächsten Monate zu kommen, brauche es „noch fünf Millionen Impfungen und mehr in Deutschland“. Er betonte, Impfen schütze nicht nur einen selbst, sondern auch andere und insbesondere die Schwächeren in der Gesellschaft. (vd)