Ida-Ehre-Schülerin: „Wir sind kein aggressiver Mob!“
Auf die Tritte folgte die Strafe: Nach der Auseinandersetzung zwischen Schülern und einem Polizisten vor der Ida-Ehre-Schule in Harvestehude am 19. August verdonnerte die Schulleitung die gesamte Schülerschaft zu einem Gewaltpräventionsprogramm. Elf Schüler wurden vorübergehend vom Unterricht ausgeschlossen. Die Polizei wurde mehrmals einbestellt. Eine sinnvolle pädagogische Maßnahme? Schüler und Eltern meinen: Nein!
Der Schock sitzt noch immer tief bei dem Mädchen aus dem Schüler*innenrat der Ida-Ehre-Schule, die für ihre Mitschüler und Mitschülerinnen spricht. „Wir wurden als aggressiver, gefährlicher Mob dargestellt“, beschreibt sie die Reaktionen auf den Vorfall an der Schlankreye, bei dem ein Polizist durch Fußtritte verletzt wurde. Die Äußerung der Schulleiterin Nicole Boutez, die sich „erschrocken über die Entgleisung und das Gewaltpotenzial seitens der Schüler:innen“ gezeigt hatte, weist das Mädchen entschieden zurück.
Schülerin: „Es gibt an unserer Schule überhaupt kein hohes Gewaltpotenzial“
„Es gibt überhaupt kein hohes Gewaltpotenzial an unserer Schule. Im Gegenteil: Wir lernen von klein auf, das Gespräch zu suchen statt zu streiten. Wir lernen, für andere einzustehen und Situationen gewaltfrei zu lösen“, so die Oberstufenschülerin. In der Unterstufe stehe das soziale Lernen im Vordergrund. Es gebe eine Streitschlichtungsausbildung.
Genau diese Kompetenzen seien es auch gewesen, die die Situation am 19. Oktober für die anwesenden Schüler so schwierig gemacht hätten. „Die meisten waren ja nicht von Anfang an dabei. Sie sehen einen Schüler am Boden liegen und einen Polizisten über ihm. Sie hören den Schüler sagen, dass er keine Luft mehr bekommt. Ich will das überhaupt nicht mit dem Fall George Floyd vergleichen. Aber wir haben diesen Fall in den vergangenen Monaten in der Schule viel besprochen. Wir haben die Bilder im Kopf. Uns wurde beigebracht, nicht wegzuschauen, sondern Zivilcourage zu zeigen und für andere einzustehen“, so die Oberstufenschülerin, die selbst nicht dabei war, aber mit vielen Beteiligten gesprochen hat.
Helfer statt „Gaffer“: Ida-Ehre-Schülerinnen und Schüler fühlen sich missverstanden
Ihre Mitschüler seien einfach überfordert gewesen. Soll man einen Lehrer zu Hilfe holen? Dauert das nicht zu lange? Soll ich weggehen? Mache ich mich dann nicht schuldig, falls dem Jungen etwas passiert? Das seien die Gedanken gewesen, die den Schülern durch den Kopf gegangen seien. Diese Unentschlossenheit habe mit „gaffen“, wie es die Schulleitung bezeichnete, rein gar nichts zu tun.
„Wir sind uns alle einig, dass der Fußtritt gegen den Kopf des Polizisten durch den einen Schüler vollkommen inakzeptabel war. Das verurteilen wir“, so die Schülerin. Die große Mehrheit sei da gewesen, um zu helfen. Und noch etwas ist dem Mädchen wichtig: „Es ist unsere Schule, die jetzt so in Verruf gerät. Dabei wurde die Situation ausgelöst von einem Jungen, der gar nicht an unserer Schule ist.“ Dennoch habe die Direktorin den eigenen Schülern die Schuld an der Eskalation in die Schuhe geschoben.
Hamburg: Elternrat kritisiert Ida-Ehre-Schulleitung und Schulbehörde
Auch der Elternrat der Ida-Ehre-Schule kritisiert den Umgang der Schulleitung und der Schulbehörde mit der Situation scharf. Man sei angesichts der „Schwere der formulierten Vorwürfe gegen die eigene Schüler:innenschaft betroffen und entsetzt“, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme. Es sei zu einer öffentlichen Vorverurteilung gekommen, ohne dass jemals mit den Kindern und Jugendlichen gesprochen worden sei. So sei die gesamte Ida-Ehre-Schülerschaft pauschal kriminalisiert worden, anstatt erstmal die Unschuldsvermutung gelten zu lassen, bis die Dinge aufgeklärt sind.
Das könnte Sie auch interessieren: Das System Amazon – so schlimm ist die Situation in Hamburg
„Wir erwarten, dass die Kinder und Jugendlichen in so einer Situation zuallererst in Schutz genommen werden. Das verlangt die Fürsorgepflicht von Schulleitung und Schulbehörde“, heißt es in dem Schreiben. Das sei nicht im Ansatz geschehen. Bis heute habe es keine persönliche Kontaktaufnahme seitens der Schulleitung gegeben, so die Elternvertreter. Sie fordern die Einbeziehung der Perspektive ihrer Kinder bei der Aufklärung der Geschehnisse. Und sie fordern „Empathie und pädagogisches Geschick“ anstelle von Strafmaßnahmen. Auch für die Eltern steht die Ida-Ehre-Schule für Zivilcourage. „Wir betonen: Wir möchten nicht, dass unsere Kinder einfach vorbeigehen, wenn jemand schreit: ,Ich bekomme keine Luft!’“, so die Erklärung.
Hamburger Schulbehörde weist jede Kritik zurück
Die Hamburger Schulbehörde wies die Kritik zurück: „Die Ida-Ehre-Schule hat nach den Gewaltvorfällen vor der Schule besonnen und klug gehandelt und zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Vorfälle pädagogisch angemessen aufzuarbeiten“, heißt es in einer Stellungnahme für die MOPO. Die Behörde habe die Ida-Ehre-Schule mit zahlreichen Fachkräften bei der Krisenintervention unterstützt. Das Schulleitungsteam habe zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, um den Gewaltvorfall pädagogisch angemessen in der Schule aufzuarbeiten. Dazu hätten auch Gespräche mit Eltern, Schülerinnen und Schülern und dem Kollegium gezählt. Die Suspendierung vom Unterricht, die elf Schülerinnen und Schüler betraf, sei ein „normales und vernünftiges Vorgehen“. Die Schulleitung habe „besonnen und umsichtig agiert“.
Schülerin: „Für uns alle ist das Ereignis traumatisch“
Zwar gibt die Schulbehörde den Eltern darin Recht, dass die Taten noch aufgeklärt werden müssten. Gleichzeitig geht die Behörde aber zum Gegenangriff über: In der Stellungnahme des Elternrats „fehlt eine klare Distanzierung von den Gewalttaten“. Es werde der Eindruck erweckt, als sei nicht die Gewalttat das Problem, sondern die Aufarbeitung. Gewalt habe weder im Schulleben noch im öffentlichen Leben etwas zu suchen.
Was die Behörde übersieht: Vor drei Wochen hatte sich der Elternrat in seiner ersten Stellungnahme allerdings sehr wohl deutlich von der Tat distanziert. Die Schülerinnen und Schüler der Ida-Ehre-Schule fühlen sich nach wie vor nicht gesehen: „Die Schüler*innen, die dabei waren, sind in der großen Mehrheit die Leidtragenden. Nicht die Aggressoren. Für uns alle ist das Ereignis traumatisch.“