Prozess wegen versuchten Mordes an eigener Tochter
  • Jennifer K. im Gericht. Während der Urteilsverkündung weinte die Angeklagte.
  • Foto: dpa | Markus Scholz

Mordversuch an Tochter (4): Mutter muss mehrere Jahre in Haft

Vier Jahre und 10 Monate Haft wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung, so lautet das Urteil des Landgerichts gegen die Mutter, die ihrer vierjährigen Tochter im Krankenhaus hochdosierte Beruhigungsmittel verabreicht hat. Jennifer K. (36) brach in Tränen aus.

Was am 28. und 29. Dezember 2020 geschah, ist so ungeheuerlich wie rätselhaft. Die Angeklagte weint, drückt sich während der Urteilsbegründung am Montag ein Taschentuch an die Augen. Auch im Zuschauerraum ist Schluchzen zu hören. Mehrere Angehörige hatten Jennifer K. bei ihren Eintreten in den Gerichtssaal hinter der Trennscheibe zugewunken. Auf die lange Haftstrafe reagieren sie erschüttert, eine Frau weint bitterlich.

Hamburg: Krankenschwester gab Kind Schlafmittel

Für die Kammer steht fest, dass Jennifer K., Krankenschwester und Mutter von drei Kindern (2/4/7), ihrer mittleren Tochter während eines Aufenthalts im Kinderkrankenhaus Wilhelmstift (Rahlstedt) am 28. Dezember Schlafmittel verabreicht hat. Die Mutter aus Farmsen-Berne hatte das Kind nach einem Sturz vom Sofa mit dem Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma in das Kinderkrankenhaus gebracht. Als das Mädchen immer schwächer wurde, schließlich zusammensackte, befürchteten die Ärzte eine Hirnblutung, ließen die kleine Patientin mit Blaulicht ins UKE überführen.

Der Verdacht bestätigte sich nicht, das Kind erholte sich zusehends. Eine UKE-Krankenschwester berichtete dem Gericht, dass das kleine Mädchen am 29. Dezember wach in seinem Bett saß, spielte, malte und sich munter mit ihr unterhalten habe.


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Nur 45 Minuten später jedoch fiel die Kleine erneut in Bewusstlosigkeit. Statt den Notknopf zu drücken, nahm die Mutter den leblosen Körper auf die ausgestreckten Arme und trug ihn schweigend über den Krankenhausflur, vorbei an einer Ärztin. Diese erkannte den Notfall sofort, rief Kollegen und Schwestern zu Hilfe – und ordnete ein Drogen-Screening ein.

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Jennifer K. klärte die Ärztin nicht darüber auf, dass sie dem Kind Schlafmittel gegeben hat: „Sie hat ihr Herrschaftswissen nicht preisgegeben“, so der Vorsitzende Richter. „Durch diese Passivität hat sie die goldene Brücke in die Straflosigkeit nicht verdient.“ Erst das toxikologische Ergebnis der Blutprobe brachte Klarheit: Das Kind hatte extrem  hohe Dosen von zwei Schlaf- und Beruhigungsmitteln im Blut. „Für die Ärzte war das ein erschreckendes Bild“, so der Vorsitzende. Bereits bei zwei Blut- und Urinproben vom Vortag war ein Schlafmittel entdeckt worden, das dem Kind im Wilhelmstift verabreicht worden sein musste, in der ärztlichen Dokumentation aber nicht auftauchte. 

Prozess in Hamburg: Mutter bestreitet Mordversuch

„Die Angeklagte hat bestritten, die Medikamente gegeben zu haben“, so der Vorsitzende Richter: „Das nehmen wir ihr nicht ab. Es gibt keinerlei Hinweise auf andere Personen, auf Ärzte oder Dritte aus dem familiären Umfeld.“ Möglicherweise war die Tat der Beginn eines Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms, bei dem Eltern ihren Kindern schaden, um sich dann als besonders aufopferungsvoll zu präsentieren. Sicher sei das aber nicht. Als Krankenschwester hatte die Angeklagte Zugang zu den Medikamenten. Sie habe den Tod ihrer Tochter billigend in Kauf genommen, auch wenn für das Kind tatsächlich keine Lebensgefahr bestanden habe. 

Hinweise auf eine krankhafte seelische Störung sah ein Gutachter nicht. Ärzte hatten vor Gericht bestätigt, dass die zahlreichen Behandlungen und auch Krankenhausaufenthalte der Kinder alle medizinisch begründet waren. Nur wenige Wochen zuvor war die Mutter etwa mit ihrer ältesten Tochter und dem zweijährigen Sohn im Krankenhaus, weil eine „krankhafte Geschwister-Rivalität“ vorgelegen habe. 

Warum Jennifer K. ihrer Tochter Schlafmittel für Erwachsene verabreicht hat, gar in doppelter Dosis, bleibt ein Rätsel. Der Vorsitzende: „Wir wissen es nicht und das ist unbefriedigend.“ Die Kammer sei sich bewusst, was das Urteil für die Angeklagte, aber auch für ihre Kinder bedeute. Jennifer K. suche die Schuld derzeit nur bei anderen, wichtig sei es, Einsicht zu entwickeln: „ Zum Lernprozess gehört auch, anzuerkennen, dass die UKE-Ärzte Mutter und Kind vor Schlimmeren bewahrt haben.“ 

In ihrem letzten Wort hatte Jennifer K. einen Hauch von Reue gezeigt: „Wenn ich krank sein sollte, brauche ich Unterstützung, weil ich zu meiner Familie zurückkehren will.“ Bei guter Führung und unter Anrechnung der U-Haft könnte sie in zweieinhalb Jahren auf Bewährung entlassen werden.

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