Die Stunde der Kanzlermacher
Für Rot-Grün-Rot hat es nicht gereicht. Wenn die Große Koalition – eigentlich der Ausnahmefall einer Demokratie – nicht einfach weiterregiert, ist klar: Die Wähler haben FDP und Grüne in die Rolle der Königsmacher gewählt. FDP-Chef Christian Lindner und die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck entscheiden darüber, ob Olaf Scholz oder Armin Laschet ins Kanzleramt einzieht.
Die FDP wäre die entscheidende Partei für eine Ampel-Koalition mit SPD und Grünen unter einem Regierungschef Scholz. Die Grünen könnten sich entscheiden, einen Koalitionsvertrag mit Union und FDP zu unterschreiben – und Laschet so zum „Jamaika“-Kanzler machen.
Distanz gehalten zu den beiden „Großen“
Die Grünen hatten sich im Wahlkampf nicht auf eine Koalitionsaussage festgelegt. Allerdings hatte Baerbock wiederholt klargemacht, dass sie am liebsten mit Scholz und seiner SPD paktieren würde. Habeck war weniger eindeutig: Er gilt bei den Grünen eher als Anhänger von Schwarz-Grün oder eben eines Jamaika-Bündnisses. Ob Baerbock noch die Macht innerhalb der Grünen hätte, ihre Partei auf Gedeih und Verderb auf die „Ampel“ einzuschwören, ist offen. Gemessen an den ursprünglichen Kanzler-Ambitionen ist das Grünen-Ergebnis enttäuschend.
Anders als früher hatte die FDP in diesem Wahlkampf gleichermaßen Distanz zu Union und SPD gehalten. Das ermöglicht ihr nun, den Preis für ihre Kanzlermacher-Rolle maximal in die Höhe zu treiben. „Die Mehrheiten ergeben sich aus den Inhalten“, sagte Partei-Vize Alexander Graf Lambsdorff am Wahlabend. „Wir werden mit allen reden. Es kommt nicht auf die Reihenfolge an.“
Sprechen zunächst FDP und Grüne miteinander?
Für eine solche Situation gäbe es in Deutschland auf Bundesebene kein Vorbild. Vier Parteien, die eine Dreier-Koalition untereinander aushandeln müssen. Daraus ergäben sich ganz praktische Fragen: Wer lädt wen zu ersten Sondierungsgesprächen ein? Finden diese nacheinander oder gleichzeitig statt? Verhandeln womöglich Grüne und FDP erst einmal untereinander, bevor sie sich überhaupt mit den beiden „Großen“ befassen?
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Lindner neigt persönlich wohl eher zu einer Koalition mit der Laschet-Union. Er hatte bereits in Nordrhein-Westfalen mit ihm koaliert. Allerdings bremsen zwei Aspekte die liberale Euphorie etwas: Trotz des zweistelligen Ergebnisses der FDP sind die Grünen die deutlich stärkere Partei. Lindner hatte der FDP das Wahlziel gesetzt, vor den Grünen zu landen. Das hätte ihm eine noch stärkere Position verschafft.
Lindner darf sein Blatt nicht überreizen
Zum anderen darf Lindner sein Blatt auch nicht überreizen. Bereits nach der letzten Bundestagswahl 2017 war er aus Koalitionsverhandlungen zu „Jamaika“ ausgestiegen. „Besser nicht regieren als schlecht regieren“, war damals sein Motto. Würden Verhandlungen noch einmal an der FDP scheitern, wäre die Partei wohl erledigt – weil sie einmal zu oft vor der Verantwortung geflohen wäre.
Zusätzlich erschwert wird die Situation durch die persönlichen Ambitionen Lindners. Er hatte bereits im Wahlkampf offensiv das Amt des Bundesfinanzministers für sich reklamiert – ein Schlüssel-Ressort, weil es bei der Verteilung des Geldes ein gehöriges Wort mitredet.
FDP und Grüne werden Zugeständnisse machen müssen
Von dieser Forderung wird der 42-Jährige wohl auch nicht abrücken. Seine Haltung ist eine Lehre aus dem Jahr 2013: Damals flog die FDP nach einer Koalition mit Angela Merkels Union komplett aus dem Bundestag. Interne Analysen, die damals vor allem von Hermann Otto Solms (dem Mentor von Lindner) betrieben wurden, kamen zu dem Schluss: Wir sind für unser Steuerkonzept gewählt worden, haben es dann aber nicht umgesetzt. Der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle wurde Außen- statt Finanzminister.
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Politisch werden Grüne oder FDP aber in jedem Fall Zugeständnisse machen müssen, um mitzuregieren. Aber ohne die Überwindung der Schützengräben wird eine zukunftsfähige Koalition kaum möglich sein. Der Kompromiss ist nunmal das Wesen der Demokratie.