Ex-Kammerrebellen rechnen mit Arroganz der Reichen ab
Sie mischten einst die Hamburger Handelskammer als „Kammerrebellen” auf, gehören zum besser situierten Teil der Gesellschaft – und haben nun ein Buch geschrieben. Darin kritisieren Torsten Teichert und Annett Nack-Warenycia die Reichtumsverteilung in Deutschland und beklagen, dass es kein Zukunftsversprechen mehr gibt. Die MOPO traf sie zum Interview.
Herr Teichert, Sie haben früher als Vorsitzender eines Finanzunternehmens Millionen hin- und hergeschoben. Frau Nack-Warenycia, Sie sind Chefin eines Familienunternehmens. In Ihrem Buch arbeiten Sie sich aber unter anderem an den reichen Kreisen ab. Wie kommt’s?
Teichert: Weil Einkommens- und Machtverhältnisse zwischen den Reichen und den anderen 99 Prozent völlig aus den Fugen geraten sind. Die Schere geht immer weiter auseinander. Der Cum-Ex-Skandal hat auch in Hamburg gezeigt, wie schamlos diese Umverteilung von unten nach oben funktioniert. Als man das ergaunerte Geld von der Warburg Bank hätte zurückfordern müssen, hat der Hamburger Senat leider komplett versagt.
Nack-Warenycia: In unserem Buch beschreiben wir folgende Szene: Bei einem Mittagessen in einem schönen Restaurant antwortet ein Manager auf die Frage, ob es den Menschen in Zukunft wohl besser gehen werde, breit grinsend: Unseren Kindern schon, den meisten nicht. Das bringt das Selbstverständnis und Rücksichtslosigkeit der Wirtschaftseliten ganz gut auf den Punkt.
Teichert: Warum Olaf Scholz falsch liegt
Sie zitieren den möglichen nächsten Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Satz, dass man gegen die Elbchaussee keine Wahlen gewinnen könne.
Teichert: Das glaubt er immer noch.
Sie nicht?
Teichert: Nein. Es ist doch lächerlich, wenn man als führender SPD-Politiker nicht mehr an die Entscheidungsmacht der großen Mehrheit glaubt. Die Erhöhung des Mindestlohns ist natürlich richtig. Aber jetzt wird auch deutlich, dass die zehn Millionen, die davon profitieren werden, heute immer noch weniger als 2.000 Euro brutto im Monat verdienen. Das ist das skandalöse Ergebnis vieler Jahre Groko.
Nack-Warenycia: Scholz hat im Wahlkampf auch gesagt, er glaube nicht, dass die Welt ohne Milliardäre besser wäre. Ich glaube das schon. Während wenige immer reicher werden, soll die Mehrheit den Gürtel dauernd enger schnallen. Ich fürchte, dass in der neuen Ampel-Regierung der alte Neoliberalismus aufersteht, in neuen Kleidern.
Die Menschen glauben nicht mehr an eine gute Zukunft
In ihrem Buch geht es viel um das Wort Zukunft. Sie schreiben, der Glaube an eine gute Zukunft sei bei den Menschen verloren gegangen. Wie meinen Sie das?
Nack-Warenycia: Eine Studie der Wissenschaftlerin Jutta Allmendinger hat ergeben, dass die Menschen nicht mehr daran glauben, dass ihre erhoffte Zukunft tatsächlich Wirklichkeit wird. Sie nennt das „antizipierte Erosion“. Zukunft ist mittlerweile nicht mehr mit Hoffnung besetzt, sondern mit Angst. Das ist ein Alarmsignal.
Teichert: Die Politik scheitert an der Zukunftsfrage. Während von Technik und Pharmaforschung täglich neue Weltwunder erwartet werden, sind die gesellschaftlichen Verhältnisse in Beton gegossen. Ein Corona-Impfstoff oder der Wasserstoff-LKW, gerne. Aber bitte keine Tarifverträge für alle, keine 30-Stunden-Woche, keine Gesamtschule, keine Erhöhung der Renten. Seit Jahrzehnten wird uns die Zukunft nur als Bedrohung gepredigt. Hier China, dort Klimakrise.
Apropos Klimakrise: Sie sagen in Ihrem Buch explizit, dass Sie nicht an den „Green New Deal“ glauben. Warum nicht?
Nack-Warenycia: Das ist eine Mogelpackung, auf die sich Wirtschaft und Politik geeinigt haben. Der „Club of Rome“ sprach vor über 50 Jahren von den „Grenzen des Wachstums“. Jetzt aber wollen alle wieder grenzenloses Wachstum, das diesmal grün angemalt wird. Ich glaube nicht, dass Milliarden neuer E-Autos die Lösung sind.
Teichert: Aber nur so kann der Kapitalismus überleben. Ohne Wachstum geht ihm die Luft aus.
„Der gedankliche Spielraum für Veränderungen wurde immer kleiner”
Eine Revolution für eine bessere Zukunft ohne Wachstum liegt jetzt aber trotzdem nicht gerade in der Luft.
Teichert: Das ist leider so. In den letzten Jahrzehnten wurde der gedankliche Spielraum für echte gesellschaftliche Veränderungen immer kleiner. Heute wird der Mindestlohn als Maximum des Erreichbaren gefeiert. Kleine Armut statt großer Armut.
Nack-Warenycia: Während sich hier alle über den Veggie-Day aufregen, fliegen Multimilliardäre mit ihren eigenen Raketen ins Weltall, mit Sicherheit nicht CO2-frei. Die Menschen bemerken diese Widersprüche genau, sie haben ein viel feineres Gespür für Gerechtigkeit, als die Politiker glauben.
Das könnte eine Ampel-Koalition bringen – oder auch nicht
SPD, Grüne und FDP wollen jetzt eine „Fortschrittskoalition“ gründen. Die CDU bot die „Zukunftskoalition“ an. Klingt doch gut, oder?
Teichert: … allein, mir fehlt der Glaube. Ich bin gespannt, wie die Ampelkoalition die riesigen Enttäuschungen, die es für Jusos und Grüne Jugend geben wird, kaschieren will. Es wird keine Vermögenssteuer geben, keine substantielle Erbschaftssteuer. Es wird Milliarden an Subventionen für die Wirtschaft geben, während die Inflation steigt und sich die bekannte „Lieschen Müller“ fragt, wer noch an sie denkt.
Nack-Warenycia: Die Menschen haben zu Recht Angst vor der Zukunft, sie wählen im Zweifelsfall die Partei, von der sie nicht das Allerschlimmste befürchten. Anderes bleibt ihnen nicht übrig. Wahlen sind wie ein Supermarkt: Man kann nur zwischen den Waschmitteln auswählen, die im Regal stehen. Bei dieser Wahl jedenfalls hatte keine Partei eine echte Zukunftsvision.
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Machen Sie sich Sorgen um das Verhältnis von Politik und Gesellschaft?
Nack-Warenycia: In Berlin haben über 50 Prozent dafür gestimmt, dass notfalls große Wohnungskonzerne verstaatlicht werden. Das ist reine Notwehr. Gleichzeitig aber wird Frau Giffey, die das vehement ablehnt, vermutlich Bürgermeisterin der Stadt. Die Politik ist noch nicht da, wo die Bevölkerung schon ist.
Teichert: In den kommenden Jahren stehen riesige Umbrüche an. Aber es gibt immer noch keinen überzeugenden Plan, wie die Klimafrage mit der Gerechtigkeitsfrage so verbunden werden kann, dass daraus eine bessere Gesellschaft entsteht. Aber genau darauf warten die Menschen.