Rinder im Ruhestand: Wie das „Kuh-Altersheim“ international berühmt wurde
Rinder sind für Karin Mück und Jan Gerdes keine Nutztiere, sondern selbstbestimmte Lebewesen. Das Paar betreibt ein „Kuh-Altersheim“ auf seinem Hof Butenland an der Nordseeküste. Das besondere Zusammenleben von Mensch und Tier faszinierte sogar die „New York Times“.
Wenn Karin Mück Hanni zum Essen ruft, dann hört sie aufs Wort. Serviert werden ihr Heu-Pellets mit lauwarmem Wasser. Hanni ist eine 18 Jahre alte Kuh und lebt auf Hof Butenland auf der Nordsee-Halbinsel Butjadingen. „Kuh-Altersheim“ steht neben einer blauen Hoftür.
Karin Mück und Jan Gerdes gehört der alteingessene Hof im Landkreis Wesermarsch. Hanni führt dort seit mehr als neun Jahren ein Leben, so frei und so lang, wie es nur wenigen Kühen vergönnt ist. Die 38 Rinder auf dem Hof werden weder gemolken noch geschlachtet, können sich frei zwischen Weiden und Ställen bewegen.
Hof Butenland, das Kuh-Altersheim
Gerdes ist auf dem einstigen Milch-Hof groß geworden und bewirtschaftet ihn in der dritten Generation. Die Umstellung auf Bio reichte ihm nicht: „Ich habe gemerkt, auch Bio-Kühe sind nicht wirklich glücklich, weil sie ja doch geschlachtet werden“, sagt er. Deshalb entschied er sich vor 20 Jahren für einen Lebenshof, der sich über Spenden finanziert.
Die Bewohner auf vier Klauen haben unterschiedliche Vorgeschichten. Viele waren jahrelang Milchkühe, angebunden in Ställen, andere kommen von Tierversuchslaboren oder wurden von Privatpersonen gehalten als zukünftiges Steak.
Kuh Chaya, die vor der Schlachtung aus voller Kehle um ihr Leben geschrien hat, wurde gar von einer mitleidigen Veterinärin nach Butjadingen gebracht. Hier darf sie sich nun als heimliche Herdenchefin fühlen, von den Menschen wegen ihrer Durchsetzungskraft liebevoll „Ramboline“ genannt. „Und dann gibt es auch einige, die sind vom Nachbarn über den Graben gesprungen und durften bei uns bleiben“, sagt der Hofbesitzer schmunzelnd und schaut auf die Kühe der „Familie Rübergemacht“.
Das Paar unterscheidet nicht zwischen Hund, Schwein oder Kuh. Hofbewohner Frederik etwa wurde als „Stuntferkel“ bundesweit berühmt, weil er hinter dem Elbtunnel von einem Tiertransporter gesprungen ist.
„Sie haben alle ihre Freundschaften, Ängste, Schmerzempfinden, die können traurig oder lustig sein“, sagt Gerdes. „Nutztier“ sei ein künstlicher Begriff, um „eine Tierqual zu verniedlichen“.
Milchkühe seien ihr ganzes Leben fast dauerhaft trächtig, kritisiert Gerdes. „Sie werden mit zwei Jahren zwangsbesamt, sind eigentlich noch Kinder und müssen schon Kälber gebären.“ Die Kälber werden nach der Geburt getrennt, damit sie die begehrte Milch nicht wegtrinken. Auf Butenland zeigen Kühe sich als hingebungsvolle Mütter mit lebenslanger Bindung an ihren Nachwuchs.
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Journalisten aus aller Welt kommen nach Butenland, berichten von dem ungewöhnlichen Zusammenleben von Mensch und Tier, kürzlich war der Hof gar auf der Titelseite der „New York Times“ zu sehen. Mehr als 180.000 Menschen folgen den warmherzig und voller Witz erzählten Geschichten aus dem Hofalltag auf Facebook und Instagram. Jedes Tier hat einen Namen, etwa „Rosa-Mariechen“, die Sau mit Diva-Allüren, der Hahn „Pavarotti“ und Pekinese „Puschek“.
Die Idee der Butenland-Betreiber: Nicht mit Schockbildern für weniger Fleischkonsum werben, sondern mit schönen Kuh-Fotos und Erzählungen die Herzen der Menschen berühren – und sie zum Nachdenken bringen.
Bei der Bauern-Lobby stoßen die „Butenländer“ naturgemäß auf Widerstand: „Regelmäßiges Abkalben ist ein ganz natürlicher Vorgang und schadet den Kühen nicht“, so der Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM), Hans Foldenauer.
Landwirte contra Butenland
Ein Landwirt sei Nahrungsmittelproduzent und müsse ein entsprechendes Einkommen für seine Familie erwirtschaften, erklärt Christine Licher, Sprecherin der niedersächsischen Landesvereinigung der Milchwirtschaft. Deshalb sei es ihm nicht möglich, Kühe zu halten, die keine oder nur noch wenig Milch geben. „Jedem Landwirt liegt das Wohl seiner Tiere am Herzen, aber er muss auch die wirtschaftliche Seite seines Betriebes berücksichtigen“, sagt die Sprecherin. Dass die Kühe heute viel mehr Milch geben als früher, sei für die Tiere nicht belastend.
Gerdes und Mück berichten jedoch von den Folgen, die die Haltung als Milchvieh für Kühe hat, etwa Arthrose. Die Hoffnung der Tierschützer: „Da wird jetzt Druck aufgebaut“, so Gerdes. Es müsse aber noch sehr viel passieren, damit es zukünftig mehr Tiere gibt, die so ein Leben führen können Hanni, Chaya und „Stuntferkel“ Frederik.
In Niedersachsen gab es im Jahr 2020 rund 2,4 Millionen Rinder. Knapp 822.200 davon waren Milchkühe. Sie haben etwa 6,2 Milliarden Liter Milch produziert.