Legales Kiffen? Experten und Polizei schlagen Alarm
Es gibt nicht viele Gemeinsamkeiten zwischen Grünen und FDP, aber in einem Punkt sind sie sich einig: Cannabis soll legalisiert werden. Sollte eine Ampel-Koalition mit der SPD zustande kommen, gilt dieser Schritt – den viele für längst überfällig halten – als sehr wahrscheinlich. Polizeigewerkschafter dagegen laufen Sturm – und auch Mediziner warnen.
Ein kurzer Besuch auf Twitter in diesen Tagen verdeutlicht, wie relevant das Thema Cannabis-Legalisierung in Deutschland gerade ist. Sowohl der Hashtag „Legalisierung“ als auch „Einstiegsdroge“ und „Freigabe“ landen regelmäßig unter den Top-Trends.
Über lockerere Regeln für den Umgang mit Cannabis wird in Deutschland schon länger diskutiert – nun könnte das auch politisch Formen annehmen. In Berlin verhandeln SPD, Grüne und FDP derzeit über eine mögliche Koalition. Wenn diese zustande kommt, rückt eine Legalisierung von Cannabis-Konsum und -Besitz in greifbare Nähe. Während der SPD eine „regulierte Abgabe“ an Erwachsene in Modellprojekten vorschwebt, sind FDP und Grüne für eine grundsätzliche Legalisierung von Cannabis beziehungsweise den „Verkauf in lizenzierten Fachgeschäften“.
Millionen Deutsche kiffen laut Studien mindestens gelegentlich – und machen sich damit eigentlich strafbar. Genau da setzen die Befürworter einer Legalisierung an: Die Entkriminalisierung bewahre Polizei und Justiz vor unnötigen Aufgaben, so die Argumente, die auch FDP und Grüne anbringen. Zudem lockten Steuereinnahmen in Milliardenhöhe, wenn Cannabis legal verkauft würde. Und: Durch den Kontakt zu Drogendealern steigen viele Konsumenten früher oder später auf härtere Mittel um – was die Legalisierung von Cannabis womöglich verhindere.
Cannabis erhöht Risiko für psychische Krankheiten
Die Argumente für das legale Kiffen sind nachvollziehbar – deshalb halten auch zahlreiche Juristen die Entkriminalisierung von Cannabis schon lange für überfällig. Selbst die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig findet: „Vertretbar wäre aus meiner Sicht eine Grenze von sechs Gramm – und zwar bundesweit“, sagte die CSU-Politikerin dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
Andere beobachten die Entwicklung in Richtung Legalisierung mit Sorge. Regelmäßiger Konsum sei gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden sehr gefährlich, erklärte etwa Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am UKE.
Eine kürzlich vorgelegte Studie habe gezeigt, dass die Entwicklung des Gehirns unter dem Einfluss des Cannabis-Wirkstoffs THC Schaden nehme. Die Folge seien nicht nur verminderte Intelligenz, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit. Auch die Gefahr, an einer Psychose zu erkranken, erhöhe sich, und zwar um den Faktor 3,2; bei starkem Konsum von Cannabis mit einem Wirkstoffgehalt von mehr als zehn Prozent sogar um den Faktor 4,8.
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Eine Studie aus Ulm zeige, dass sich die Zahl der stationären Behandlungen wegen psychotischer Störungen durch Cannabis-Konsum in der dortigen psychiatrischen Uni-Klinik zwischen 2011 und 2019 verachtfacht habe. „Das ist schon sehr beeindruckend“, sagte Thomasius. Es sei aber auch die einzige Studie aus Deutschland zu dem Thema, die er kenne.
Gewaltdelikte: Polizei warnt vor Cannabis-Legalisierung
Bedenken meldeten auch die deutschen Polizeigewerkschaften an. Sie warnten die Unterhändler von SPD, Grünen und FDP vor einer Legalisierung des Kiffens. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, sagte der „NOZ“, es mache keinen Sinn, neben dem legalen, aber gefährlichen Alkohol die Tür für eine weitere „gefährliche und oft verharmloste“ Droge zu öffnen. Es müsse „Schluss damit sein, den Joint schönzureden“, sagte er.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, sagte der Zeitung, Cannabis sei nicht nur eine gefährliche Einstiegsdroge, sondern wegen der Unkontrollierbarkeit der Zusammensetzung insbesondere für junge Menschen eine Gefahr. Vor allem im Straßenverkehr befürchtet Wendt fatale Folgen: „Wenn demnächst auch noch Bekiffte am Straßenverkehr teilnehmen, bekommen wir ein Problem.“ Schon jetzt komme es wegen Cannabis-Konsums immer wieder zu Unfällen mit Verletzten; die Kontrolle durch die Polizei sei völlig unzureichend.
„Wenn Bekiffte am Straßenverkehr teilnehmen, bekommen wir ein Problem“
Wie es gehen kann mit dem legalen Konsum, zeigt Portugal: Vor 20 Jahren hat das Land Drogen zumindest teilweise entkriminalisiert. Bis zu einer bestimmten Menge ist der Besitz und Konsum eine Ordnungswidrigkeit – wie etwa Falschparken –, keine Straftat. Wer erwischt wird, den verhaftet die Polizei nicht, sondern schickt ihn zur Suchtberatung.
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Das System funktioniert: Während in den 1980er- und 1990er-Jahren rund 350 Menschen pro Jahr an einer Überdosis gestorben sind, sind die Todesfälle im Jahr 2019 auf 63 gesunken, berichtet der Deutschlandfunk. Und nicht nur das: Seitdem das liberale Drogengesetz verabschiedet wurde, haben Polizei und Justiz mehr Zeit, den wirklich großen Deals nachzujagen. Und es gibt mehr finanzielle Ressourcen, die nun auf Beratungszentren, Drogenersatzprogramme mit Methadon und eine groß angelegte Präventionsarbeit in Schulen umverteilt werden. (mp/dpa)