Afghanistan Friedland Evakuierung
  • Zohra, Ahmad Shah, Zainab und Oibadullah Gharibzada (v.l.) aus Afghanistan stehen vor einer Unterkunft in der Landesaufnahmebehörde in Friedland
  • Foto: Swen Pförtner/dpa

Gerettete Afghanen berichten über ihre Ankunft im Norden

Die erschütternden Bilder von verzweifelten Menschen am Flughafen Kabul gingen im August um die Welt. Nur wenige hatten das Glück, einen Platz in einer Militärmaschine zu bekommen und fliehen zu können. Einige der Geretteten landeten in Niedersachsen. Wie geht es ihnen heute?

Ramin Alzizi sitzt auf einem Holzstuhl, wie man ihn aus alten  deutschen Grundschulen kennt. Tatsächlich befindet sich der 26-Jährige in einem Klassenzimmer – dabei hat er längst einen Studienabschluss. Doch nun sitzt der afghanische Ingenieur in dem Raum der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde in Friedland bei Göttingen  und lernt Deutsch.

Der Mann aus Masar-i-Scharif gehört zu den gut 5300 Menschen, die die Bundeswehr in einer dramatischen Rettungsaktion im August aus Kabul ausgeflogen hat. Sie wurden vor den Taliban in Sicherheit gebracht. Alzizi und seine Frau Parwana (21) hatten Glück, unzählige andere Schutzbedürftige blieben zurück.

Über einen Stacheldrahtzaum am Flughafen gelang die Flucht

Sieben Jahre habe er als Ingenieur im Camp Marmal am Flughafen von Masar-i-Scharif für die Bundeswehr gearbeitet, erzählt Alzizi. Er habe zunächst versucht, dort einen Asylantrag zu stellen. Als das erfolglos war, sei er mit seiner Frau nach Kabul gereist. „Wir haben vier Tage versucht, auf das Flughafengelände zu kommen. Am Ende haben wir es über einen Stacheldrahtzaun geschafft“, sagt Parwana Alzizi, die in Afghanistan als Schneiderin gearbeitet hat. „Als ich die Stimme eines deutschen Soldaten hörte, wusste ich, dass wir es geschafft hatten.“

Im Laderaum einer Militärmaschine ging es zunächst ins usbekische Taschkent, danach weiter nach Deutschland. 210 Menschen aus Afghanistan sind im August und September in Friedland aufgenommen worden. Rund 50 Asylsuchende aus der Evakuierungsmission befinden sich noch in der Einrichtung, die ähnlich wie eine Jugendherberge funktioniert.


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Etwa 8000 Spätaussiedler kommen jedes Jahr dort an, zudem treffen hier besonders gefährdete Flüchtlinge ein, die umgesiedelt wurden, etwa Syrer aus dem griechischen Camp Moria. Friedland selbst hat eine bewegte Geschichte: Es war Ankunftsort für Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg sowie für Flüchtlinge aus der DDR.

Als die völlig erschöpften Afghanen dort eintrafen, hatten die meisten „im wahrsten Sinne nur das dabei, was sie am Leibe trugen. Außerdem hatten viele seit mehreren Tagen kein Bett gesehen“, erinnert sich Einrichtungsleiter Heinrich Hörnschemeyer. „Hier konnten wir das erste Mal zur Ruhe kommen. Es ist so friedlich hier“, sagt auch Ramin Alzizi. Für ihn und seine Frau stehen nun verschiedene Wegweiserkurse zu Sprache und Leben in Deutschland auf dem Programm. Das Ehepaar will sich ein neues Leben aufbauen, Parwana würde gerne Ärztin werden.

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Das möchte auch Zainab Gharibzada. Die 20-Jährige floh mit ihren Eltern und zwei Geschwistern aus der Region Parwan mit der Bundeswehr über Taschkent nach Deutschland. Vater Ahmad Shah sagt: „Wir haben so viel Schlimmes erlebt.“ Er sei froh, dass seine Töchter hier in Sicherheit seien, und hoffe, dass sie in Deutschland eine gute Bildung erhalten. Um die Verwandten, die zurückgeblieben sind, mache sich die Familie große Sorgen.

Die Erinnerungen an die Schreckensherrschaft der Taliban von 1996 bis 2001, unter der besonders Frauen leiden mussten, sind in Afghanistan nicht verblasst – daher sind die, die fliehen konnten, umso dankbarer, am Leben zu sein. (dpa)

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